Review

Das ist Henry. Henry ist ein durchschnittlicher Mittdreißiger: Er sieht gerne fern, trinkt gerne Bier und hat irgendwann mal seine Mutter umgebracht. Henry ist aber eher ein Psychopath von der stillen, zurückhaltenden Sorte. Er wohnt zusammen mit seinem Freund Otis in einer herunter gekommenen Wohnung in Chicago. Beide kennen sich aus dem Knast. Otis hält sich mit ein paar krummen Geschäften über Wasser. Als Otis Schwester Becky auf der Flucht vor ihrem prügelnden Ehemann bei den Beiden Asyl findet, belebt dies zunächst das WG-Leben. Als Henry jedoch anfängt, Gefühle für Becky zu entwickeln, rutscht er in alte Verhaltensweisen ab...

HENRY beginnt mit Bildern von Blut verschmierten Frauenleichen und frischen Tatorten. Eine Verbindung zu dem schüchternen, friedlich wirkenden Henry wird noch nicht aufgebaut, und dennoch weiß man als Zuschauer von Minute Eins ab, dass Henry der Killer ist. "...Klar, verrät ja der Titel schon, du Torfkopp!", mag der ein oder andere jetzt zurecht meinen. Sache ist jedenfalls, dass Henrys Bedrohlichkeit sich nur ganz schleichend anpirscht und erst zuschlägt, wenn man als Zuschauer schon begonnen hat, Sympathien zu hegen.

HENRY schildert den Alltag der drei Loser. Henry und Otis vertreiben sich die Zeit mit Gaunereien, die mehr und mehr an Brutalität und Gewissenlosigkeit zunehmen. Nach einer durchzechten Nacht sind zwei Prostituierte hinüber. Ein Ladenbesitzer muss für einen neuen Fernseher sterben und, weil er sich im Ton vergreift. Der Part, in dem Henry und Otis mit der Videokamera spielen, dürfte als Vorbild für diverse Fake- bzw. Found-Footage-Snuff-Schinken wie AUGUST UNDERGROUND und MORDUM gedient haben.
Der Film versucht nicht einmal ansatzweise in die Psyche von Henry einzutauchen, sondern beschränkt sich auf das Pseudodokumentarische. Die Motive und Beweggründe des Serienkillers bleiben vollkommen unklar und spekulativ. Wahrscheinlich auch besser so, denn genau diese Willkür, diese absolute Gefühllosigkeit und Kälte sind es, was einen beim Betrachten bei den Eiern packt und langsam zuquetscht.

HENRY mit Serienkiller-Streifen wie DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER oder SIEBEN zu vergleichen, ist schwierig, handelt es sich bei HENRY doch um ein ziemlich siffiges Low-Budget-Filmchen. Vom Gestörtheits- und Härtegrad her passt er jedoch perfekt neben Filme wie William Lustigs MANIAC oder CLEAN SHAVEN.
HENRY gilt als Opus Magnum von Regisseur John McNaughton, der nach HENRY wenige gute (WILD THINGS) und viele mittelpraechtige Filme (ALIENKILLER) fabrizierte. Auch Darsteller Michael Rooker (CLIFFHANGER, SLITHER) kam im späteren Verlauf seiner Karriere kaum mehr an die Intensität der hier zu bewundernden Darbietung heran.

Ergo: Alles Schlampen außer Mutti! ...Nein halt! Mutti war ja die Oberschlampe, die es immer mit jedem getrieben hat und Klein-Henry zwang beim Bimsen zuzuschauen. Is' ja voll krank, ey!

Fazit:
Der "Norman Bates" der Generation X. Harter Tobak. Verdammt harter Tobak.

Details
Ähnliche Filme