John McNaughtons „Henry – Portrait of a Serial Killer“ kann getrost als wütender Gegenentwurf auf die von Hollywood ikonisierte Sicht des "Psycho-Killers" gesehen werden. Wenn auch „Henry“ bereits 1986 erschien und damit den aufschwappenden Boom von „Serienkiller-Filmen“ der 90er Jahre allerhöchstens erahnen konnte, ist bereits hier der Bruch mit dem überhöht mystifizierenden Umgang des Serienkillers im Mainstreamfilm deutlich zu erkennen. John McNaughton setzt den kultivierten, hochintelligenten, selbstbewussten sowie beneidenswert freigeistigen Mördern aus Filmen wie u.a. „Seven“, „Silence of the Lambs“, „Manhunter“ inkl. Remake, oder auch Serienerfolg „Dexter“ den stumpfen, un- wie asozialen, triebgesteuerten, apathischen und schwerfälligen Mörder Henry Lee Lucas vor.
Es mag eine gewisse Anrüchigkeit hinter solchen Filmprojekten stecken, die es sich zum Ziel gemacht haben das Leben und (zynisch ausgedrückt) Schaffen eines Serienmörders zu „dokumentieren“. Hinter der Mehrzahl ähnlich gearteter Produktionen ist durchaus die Bestrebung überdeutlich zu entdecken, ein niederes, voyeuristisches Verlangen zu stillen. Gierig lechzt die Masse nach immer grausameren und morbideren Details, reimt sich daraus küchentischpsychologische Täterprofile zusammen und erschauert dabei wohlig. Die zu den realen Mördern gedrehten Filme sind dabei sicherlich nicht kritisch überzubewerten (wenn sie dennoch zu hinterfragen sind), spiegeln allerdings die fast schon perverse und himmelschreiend zynisch-pietätlose Neugier und Faszination wider. Auch „Henry“ kann sich diesem Vorwurf weitgehend nur schwerlich verwehren, recht plakativ diese fragwürdige Sensationsgier zu bedienen. Doch es ist kein wohliges Erschauern, oder gar Gruseln, das einem beim Betrachten dieses Films durchfährt.
Die Welt durch die Augen von Henry Lee Lucas, der laut eigenen Angaben hunderte wenn nicht tausende Menschen ermordet haben will. Diese „Geständnisse“ konnten allerdings längst widerlegt werden. Doch darf man nicht vergessen, dass der Film auf dem Stand von 1986 ist, und sollte somit vielleicht als eine fassungslos staunende Reaktion auf seine Verhaftung (1983) mit seinen hochtrabenden Aussagen gesehen werden. Nicht umsonst heißt es im Vorspann, dass dieser Film ausschließlich auf den (Falsch-)Aussagen von Henry basiert und nicht auf dessen tatsächlich nachgewiesenen Verbrechen.
Dieser also fiktive Film ist auf keinen kurzweiligen Thrill ausgelegt, sondern lässt durch die Möglichkeit der dichten Portraitierung einen bedrückenden, höchst unangenehmen Blick auf diese Thematik zu. Brutal offen, fast schon mit intimer Intensität, werden einem die Taten von Henry (Michael Rooker in seinem beängstigend guten Debüt) und Otis (Tom Towles) mit all ihrer obszönen Neugier an der Zerstörung des Körpers und des Geistes gezeigt. Seinen abscheulichen Höhepunkt erreicht der Film, wenn er Otis und Henry zeigt, wie sie ihre, auf Videokamera aufgezeichneten, Schandtaten wieder und wieder lustvoll konsumieren und dabei sexuell stimuliert werden. Die Vergewaltigung und anschließende Auslöschung einer Familie, die auf jenem Videoband zu sehen ist und geifernd von Otis kommentiert wird, versetzt das Publikum in die verstörende Situation der unwillig voyeuristischen Mittäterschaft. Als hätte man neben den Beiden auf der Couch Platz genommen und würde in der Position des stummen Zeugen (oder gar Partners) in ihren perversen Kreis wie selbstverständlich aufgenommen werden. Der Zuschauer wird somit auf die gleiche Ebene der beiden mordlüsternen Menschen gezogen und gleichzeitig brutal bis an die Scherzgrenze mit seinem eigenen lechzenden Voyeurismus konfrontiert. Ein interessanter wie intelligenter Einwurf in der leidenschaftlich geführten Debatte um den Konsum medialer Gewalt.
Es ist die gleiche Augenhöhe, auf der wir diesen abstoßenden Menschen begegnen. Wir verweilen mit ihnen in ihren erbärmlich schäbigen Behausungen, hören ihre ungerührt menschenverachtenden Gespräche und gehen mit ihnen auf Opfersuche. Nur die Schwester von Otis, Becky (Tracy Arnold), die unwissend in die Wohnung von Otis und zu Henry zieht, verschafft dem in dieser grauen Welt verzweifelt nach einem empfindsamen Rettungsanker suchenden Zuschauer ein wenig Normalität und Menschlichkeit. Doch diese hat in jener Umgebung keine Überlebenschance. Die zarten Gefühle, die in Becky für Henry aufsteigen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Henrys klägliche wie ungelenke Versuche auf ein Leben mit Becky, enden in kalter, nüchterner Trostlosigkeit und erweisen sich letztlich als hilflos gegen seine manischen Triebe.
Auch wenn auf die tragische, von Misshandlungen gezeichnete Kindheit, der drei alleingelassenen, traurigen Figuren eingegangen wird, versucht der Film keine erklärenden Worte daraus zu formen, sondern entwickelt einen für diese dunkle Geschichte nur konsequenten Backround, der nachvollziehbar aber niemals interpretierend fungiert. Es wird auch kaum, oder nur in lapidaren Ansätzen auf die Beziehung von Henry zu seiner Mutter eingegangen, die er nachweislich ermordet hat.
Man mag sich über den inhaltlichen Nährwert solcher Filme streiten, und angesichts der betont tristen Bilder und Eindrücke, stellt sich auch die Frage, ob man sich vorsätzlich deprimieren lassen will. Aber hinsichtlich der steten Romantisierung und Mythologisierung des psychopathischen Mörders seitens der Filmindustrie, bietet der Film eine erfrischend alternative, sprich ehrlichere Sicht, und mutet mit seinen subversiv-verstörenden Hammerschlägen den neugierig sensationsgeilen Zuschauern zuweilen mehr zu als dieser gewillt ist auszuhalten.
McNaughtons Film muss wohl in Anbetracht der längst widerlegten Taten von Henry Lee Lucas (in Wahrheit waren es wohl 3 Morde die man ihm anlasten kann), als unangenehme aber letztlich erfundene bzw. aus seinen Aussagen interpretierte Milieustudie gesehen werden. Bestenfalls betrachtet man „Henry“ als wütendes, trostlos beklemmendes sowie erstaunlich reflexives Psychogramm eines soziopathischen Schlächters, sowie als eine bittere Studie seines nahen Umfeldes. Hoffnung lässt uns McNaughton keine, nur in Mord, Zerstückelung und reinem Nihilismus endende Versuche in einer tristen, dreckigen Welt, in der Mord zu etwas obszön alttäglichem wurde.