kurz angerissen*
Kaum hat man die Szenerie von "Raising Cain" betreten, fühlt sich bereits alles irreal und beklemmend an. Es ist nur ein harmloser Laden, den man mit der Hauptdarstellerin und ihrem Ehemann betritt, aber die Stimme aus einem Fernseher dringt verschwommen wie in einem Traum ans Ohr, Weichzeichner lassen die Konturen einer Hochglanz-Marmortheke in einer Ansammlung schillernder Prismen verschwinden und die Gesichter zweier Darsteller in einem ohnehin bereits unangenehmen Dialog werden in penetranten Close-Ups studiert, so unerträglich lange, dass man selbst die Position von einem der beiden Gesprächspartner einzunehmen scheint, immer noch betäubt davon, wie falsch und inszeniert alles wirkt.
Auch "Raising Cain" ist also wieder ein typischer Psychothriller der Marke De Palma, der versucht, mit effekthascherischen Stilmitteln unter die Hirnrinde zu kriechen und dabei nicht im Traum daran denkt, jemals wieder daraus hervorzukommen. Nicht nur die omnipräsente Hitchcock-Affinität, die man ihm stets unterstellt, auch die Beharrlichkeit in seinem Vorgehen lässt ihn zum Besessenen werden, der Bild und Ton mit Drastik einsetzt, um Dinge zu unterstreichen und vor allem bestimmte Situationen permanent im Unterbewusstsein zu verankern.
So arrangiert er den Blick auf einen Kinderspielplatz wie ein Karussell, das sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht und nur noch schemenhafte Umrisse der Umwelt abbildet, in der sich zeitgleich Dinge ereignen, die für den Plot von zentraler Bedeutung sind. De Palma frönt ungehemmt seiner Vorliebe für Trugbilder, nutzt das im Grunde bereits durch Cronenberg & Co. abgetragene Motiv des Zwillings mit einem Enthusiasmus, den man anfangs vermutlich eher nicht teilt, der aber ansteckt wie eine gähnende Person. Schlüsselorte werden mehrfach besucht, immer aus einer anderen Blickwinkel; keiner von ihnen kann so etwas wie dokumentarische Objektivität für sich beanspruchen. Je stärker John Lithgow in einer seiner vielen Rollen involviert ist, desto verrückter werden die Perspektiven; von Schrägoben bis Extrem-Aufsicht ist alles dabei, beinahe schon könnte man sagen, Lithgow tänzelt mitten in die wunderbare Welt des Terry Gilliam, ohne dass De Palma ganz dessen Exzess in Sachen Ausstattung erreichen würde. Wo Lolita Davidovich involviert ist, wird es wiederum auf eine andere Art paranoid; Schemen im Hintergrund, verräterische, schnelle Bewegungen wie in einem klassischen Thriller der bodenständigen Art nahezu, würde Lithgow mit seinen tausend Gesichtern vom perfekten Familienvater über die coole Socke mit Sonnenbrille bis zum Mad Scientist und Transvestiten nicht immer wieder eine herrliche Farce machen aus dem eigentlich doch eher dem Horror als der Komödie zugehörigen Gefühl des Verfolgungswahns.
So ganz bei Trost ist aber ohnehin der gesamte Film nicht. De Palma intoniert derart grell, dass man die Virtuosität brillanter Einzelmomente wie mit dickem Neonmarker umkreist empfindet, der Unzulänglichkeiten verbergen soll und das finale Werk folglich wie eine große Scharade dastehen lässt, ein Schattenspiel vielleicht, das "Psycho" und "Wenn die Gondeln Trauer tragen" zu einer einzigen verkrüppelten Kreatur deformiert. "Raising Cain" ist dadurch aber nicht einfach nur der misslungene Versuch des Regisseurs einer an sich selbst vorgenommenen Therapiesitzung (beziehungsweise einer Selbstanalyse seiner cineastischen Obsessionen), sondern eben auch ein fabelhaftes Guilty Pleasure, das ungefragt seine Abdrücke in der Erinnerung lässt. Denn von De Palmas Psychothrillern bewahrt man am besten nur die kunst- wie lustvoll gesteigerten Klimaxe auf. Das Drumherum gilt als Verpackung und wird nicht mitgegessen.
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