„Das Haus in der Carroll Street“ ist ein in der McCarthy-Ära Anfang der 50er Jahre angesiedelter Politthriller mit der attraktiven Kelly McGillis in der Hauptrolle. Als wegen vermeintlicher Verbreitung kommunistischen Gedankenguts entlassene Journalistin Emily kommt sie einer Gruppe rechter Politiker auf die Schliche, die ehemalige Naziverbrecher ins Land schmuggelt.
Das ist Stoff, aus dem ein kurzweiliger Nervenkitzelabend hergestellt wird, möchte man meinen, aber leider kommt der Film von Peter Yates letzten Endes nicht über routiniertes Mittelmaß heraus. Das ist insofern schade, weil er im positiven Sinne altmodisch wirkt und das Flair der guten alten Filmproduktionen aus den 50ern überzeugend auf den Bildschirm transportieren kann, nur wäre es halt noch schöner gewesen, hätte Walter Bernstein ein besseres Drehbuch abgeliefert.
Daß die politischen Aspekte der Geschichte nicht weiter vertieft werden, sondern nur den Rahmen für einen oberflächlichen Thriller bilden, habe ich nicht anders erwartet, und es hat mich auch nicht gestört, zumal etwaige tiefgründigere filmische Ausflüge in die finsteren Machenschaften der Buhmänner den geradlinigen Plot höchstwahrscheinlich nur aufgehalten hätten. Der Wissensstand des Zuschauers soll laut Skript stets auf dem von Emily belassen und an keiner Stelle darüber hinaus gehoben werden, weshalb so gut wie keine Szene ohne die Hauptfigur stattfindet. Mit ihr kommen wir Stück für Stück hinter die Wahrheit - blöd nur, daß diese größtenteils schon aus der Inhaltsangabe bekannt ist und Bernstein es nicht schafft, die knapp über 90 Minuten mit etwas anzureichern, was man als halbwegs überraschend bezeichnen könnte. Wendungsreichtum ist wahrlich nicht die Stärke des Films, zu schnell sind die Fronten geklärt, zu schnell ist klar, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht (daraus wird gar kein Geheimnis gemacht), stattdessen ein sattsam bekannter Handlungsverlauf mit allen nötigen Zutaten: ein widerwilliger Mitwisser aus Deutschland, der von der Organisation nichts mehr wissen will und sich Emily anvertraut, wird aus dem Weg geräumt; die intensiv nachforschende Emily selbst bleibt nicht unentdeckt und ist sich bald ihres eigenen Lebens nicht mehr sicher (logo); Jeff Daniels’ sie aufgrund ihrer Vergangenheit beschattender FBI-Agent Cochran schlägt sich ab Filmmitte auf Emilys Seite - und die unvermeidliche (und in diesem Fall eher überflüssige) Love-Story zwischen den beiden darf da natürlich auch nicht fehlen. Für letztere scheint sich Yates am Ende fast mehr zu interessieren als für den Fortlauf der Thriller-Handlung, die kurzzeitig fast vollständig zum Stillstand zu kommen scheint, bis sich dann doch noch der Showdown anschließt, wo alle Gruppen vollzählig zusammentreffen.
Das Wenig an Handlung versucht der Regisseur, mit möglichst zahlreichen Spannungssequenzen aufzufüllen. Die sind auch passabel inszeniert, was vor allem für die Verfolgungsjagd durch die Bibliothek und durchs Theater sowie für den fraglosen Höhepunkt im Grand-Central-Bahnhof in schwindelnder Höhe gilt, und atmen phasenweise (nur phasenweise!) Hitchcock-Luft, ohne sich aus dem Meer der Konventionen erheben zu können. Das ist halt alles nicht mehr sonderlich neu und bietet nichts, was man nicht bereits anderswo gesehen hätte, um wirklich zu fesseln. Dazu hat man sich einfach zu wenig einfallen lassen. Immerhin halten sie bei Laune und gestalten den Film zumindest im Unterhaltungsbereich konstant im Plus.
Richtig Chemie mag zwischen McGillis und Daniels nicht aufkommen (zu lange haben sie einfach zu wenig gemeinsame Szenen), dafür lassen sie sich eindeutig in die Schublade der Sympathieträger einordnen (Daniels ist mit seinem angeborenen treuherzigen Gesicht sowieso von Haus aus nicht in der Lage, KEINEN sympathischen Eindruck zu hinterlassen), daran ändert auch nicht wirklich etwas, daß McGillis’ Journalistin bei ihren Recherchen doch einen Tick zu unvorsichtig und neugierig vorgeht, so daß es den Nachspionierten ein Leichtes ist, auf sie aufmerksam zu werden. Aber gute Journalisten haben eine gewisse Risikobereitschaft für eine heiße Story nun einmal im Blut, denke ich. Freuen kann man sich über ein Wiedersehen mit Jessica Tandy („Die Vögel“), die jedoch ausschließlich dazu da ist, das Geschehen ins Rollen zu bringen, indem sie erstens die jobsuchende Emily als Vorleserin einstellt und zweitens zufällig dem titelgebenden ominösen Haus in der Carroll Street, das Emily als Treffpunkt der Altnazis ausmacht, gegenüber wohnt, ohne selbst Entscheidendes für den Plot leisten zu müssen. Zur Hälfte ist sie dann schon ohne Abschied aus dem Film verschwunden. Auszeichnen mußte sie sich dabei wirklich nicht.
Somit wäre „Das Haus in der Carroll Street“ ein Film, der nie vorgibt, sich ernsthaft kritisch mit der US-Politik der 50er auseinandersetzen zu wollen (ein Plädoyer für die Demokratie schimmert wohl nur durch, wenn man unbedingt in jedes Werk eine Aussage hineininterpretieren möchte), sondern auf pure Unterhaltung setzt. In der Hinsicht funktioniert er ganz gut und katapultiert den Zuschauer mit schönen Bildern von Michael Ballhaus obendrein erfolgreich zurück in eine längst verjährte Zeit, nur reicht das allein nicht, um meine Erwartungen, die ich mittlerweile an einen Thriller stelle, zu erfüllen. Dazu hätte man mir kein Drehbuch anbieten dürfen, das der Autor einfach vom Fließband abgegriffen hat. Muß man nicht viele Worte drüber verlieren. 5/10.