Ich muss gestehen, dass mich „Cry_Wolf“ positiv überrascht hat – etwas, das von Jahr zu Jahr immer wenigeren Filmen gelingt. Versprachen die Previews dem geneigten Betrachter einen gradlinigen, harten und direkten Slasher, verkündeten diverse Reviews im Zuge der Kinoveröffentlichung (sich darauf berufend) verärgert, es handele sich um einen enttäuschend harmloses (sprich: unblutiges) Werk, das zudem die Genre-prägenden Mordsequenzen unspektakulär präsentieren und somit sträflich vernachlässigen würde. Ich muss gestehen, dass ich mich davon habe beeinflussen lassen, weshalb ich bis zum Erscheinen auf DVD mit der Bildung einer eigenen Meinung gewartet habe – und dann die erwähnte Überraschung, welche mich angesichts der von manchen Rezensenten genannten Kritikpunkte unweigerlich den Kopf schütteln ließ: Es handelt sich überhaupt nicht um einen Slasher im klassischen Sinne, und dementsprechend wird den vorhandenen Tötungen schon vom Grundkonzept her keine entscheidende Gewichtung zugesprochen! Ich sehe ein, dass die komplette Vermarktung, von der Inhaltsbeschreibung bis hin zum Covermotiv, irreführend ist, weshalb falsche Erwartungshaltungen nur allzu verständlich sind, doch es ist schon etwas traurig, dass man sich nach dem Erkennen dann nicht diesen neuen, tatsächlichen Bedingungen anzupassen sowie die anschließende Beurteilung dementsprechend auszurichten vermag… Nachdem Owen Matthews (Julian Morris) aus seiner letzten Schule rausgeworfen wurde, weil er sich dort mit dem falschen Mädchen eingelassen hat, markiert der Einstieg seinen ersten Tag an der elitären Westlake Preparatory Academy. Ihm ist bewusst, dass er diese Chance nur den Beziehungen seines einflussreichen Vaters (Gary Cole) zu verdanken hat, welcher sich nach den jüngsten Eskapaden seines Sohnes allerdings bewusst von diesem distanziert (beispielsweise nimmt er seine Anrufe nicht mehr entgegen und versucht den Kontakt auf ein nötiges Minimum zu beschränken). Bei seiner Ankunft trifft er auf die hübsche und gleichermaßen intelligente Dodger (Lindy Booth), welche gerade einen Vortrag schwänzt. Sie kommen ins Gespräch, und es lässt sich leicht nachvollziehen, weshalb sie Owen fortan nicht mehr aus dem Kopf geht. Kurz darauf wird er von seinem neuen Zimmergenossen Tom (Jared Padalecki) nachts zu einem Treffen in der Campus-Kapelle mitgenommen, angeblich auf Dodgers Wunsch hin. Dort findet sich regelmäßig der so genannte „Liars Club“ zusammen, bestehend aus einer Gruppe Schüler (neben den genannten noch Randall (Jesse Janzen), Regina (Kristy Wu), Mercedes (Sandra McCoy), Lewis (Paul James) und Graham (Ethan Cohn) als „harter Mitglieder-Kern“), welche ihre Fähigkeiten in den Bereichen Rhetorik, Lügen und Manipulation in Form eines Spiels schärfen, bei dem man die anderen Beteiligten unter Verwendung geschickter Argumentationsweisen von einer bestimmten Tatsache überzeugen und sie im Zuge dessen gegeneinander ausspielen muss. Owen gelingt es auf Anhieb, eine Runde für sich zu entscheiden, was ihm ein gewisses Maß an Anerkennung (fast aller) einbringt, doch bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass ihm das eventuell nur dadurch gelang, da sich die anderen inzwischen einfach schon zu gut kennen, ihn hingegen halt noch nicht richtig einschätzen können. Diese Erkenntnis stellt für sie einen gravierenden Faktor dar, schließlich spielen sie hauptsächlich, um der Langeweile ihrer Schulzeit zu entgehen – daraus entwickelt sich jedoch das Bestreben, die Sache auf ein deutlich höheres Level zu übertragen: Gemeinsam nehmen sie die (echte) Ermordung einer jungen Frau in der örtlichen Umgebung als Ausgangsmaterial und konstruieren um die bekannten Fakten eine fiktive Geschichte über einen Serienkiller, der sich „the Wolf“ nennt und sich eventuell auf dem Campus aufhält. Sie dichten ihm noch weitere Taten an, führen seine Vorgehensweise sowie Beschreibung auf (er benutzt ein Jagdmesser und trägt eine neon-farbige Skimütze plus Tarnjacke) und verschicken die Ausführungen per Kettenbrief an alle Personen an der Schule, von wo aus die E-Mail immer weitere Kreise zieht und die Gerüchteküche überzubrodeln beginnt. Es dauert nicht lange, bis der Journalismus-Dozent Walker (Jon Bon Jovi) Owen als Absender ausfindig macht und ihn anschaulich über die negativen Auswirkungen einer Verbreitung solcher Angaben belehrt – die Mutter des Opfers erhielt nämlich irgendwann ebenfalls die Mail. Nur weil sich die Behauptung, er hätte den Text auch nur weitergeleitet, nicht widerlegen lässt, werden ihm keine Strafmaßnahmen auferlegt. Während die Paranoia innerhalb der Institution stetig wächst, erhält Owen plötzlich „Instant Messages“ von einer Person, die sich „Wolf“ nennt und anscheinend gut über die Sache Bescheid weiß. Anfangs hält man das bloß für einen fortführenden Scherz, doch schon bald häufen sich die mysteriösen Vorfälle (verwüstete Zimmer etc), bis gar einer aus der Gruppe spurlos verschwindet. Als sie schließlich zudem von einer Gestalt in genau der von ihnen beschriebenen Aufmachung angegriffen werden, stehen sie vor einer Vielzahl fragen: Spielt ihnen einer einen Streich, ist das der echte Killer, der es jetzt auf sie abgesehen und sich ihrer Story angepasst hat, oder gar ein Nachahmungstäter, welcher unter dem präsentierten Deckmantel seine eigenen blutigen Gelüste auslebt? Fortan werden sie bedroht, verfolgt und fallen dem Angreifer einer nach dem anderen zum Opfer… Zum Glück ist „Cry_Wolf“ kein 08/15-Vertreter des durch Craven´s „Scream“ ausgelösten, inzwischen jedoch abgeklungenen Trends moderner Slasher-Pics a la „Valentine“ oder „I still know what you did last Summer“ (obwohl sich die Verantwortlichen, warum auch immer, sichtlich Mühe gegeben haben, ihn derart zu vermarkten), sondern eher ein Mystery-Thriller auf der Basis der wohl jedem bekannten „a Boy who cried Wolf“-Geschichte bzw Fabel. Statt die Morde in den Blickpunkt zu rücken, was kontraproduktiv zum gesamten Aufbau gewirkt hätte, verlässt sich der Film auf seine durchaus raffinierte Story, welche den Zuschauer auf eine fast altmodisch erscheinende Weise miträtseln lässt und nur in bestimmten Momenten mit Blut oder Tötungen konfrontiert, dann aber ohne diese reißerisch auszuschlachten. Rückwinkend vertrete ich sogar vehement die Behauptung, dass diese Annäherungsweise die einzig sinnvolle war! Einige erinnern sich gewiss noch an den unterschätzten 2000er „Gossip“ – die Ausrichtung hier ist ähnlich. Statt Gore steht der Plot im Zentrum, die Spannung wird aus den Verstrickungen, Unklarheiten und Twists generiert sowie zusätzlich mit traditionellen Mitteln (Stalking-Motive, Verfolgungen, hastige Angriffe des bewaffneten Täters, wechselseitige Verdächtigungen etc) angereichert – ein aktives Mitdenken und Miträtseln bildet den Reiz. Die falschen Fähren und überwiegend in Sackgassen endenden unsicheren Vermutungen erfüllen ihren Zweck gut und münden nach einem recht Action-reichen Schlussakt in einem fast schon obligatirischen, aber trotzdem raffinierten Kniff am Ende, welcher sogar Sinn ergibt und sich sehr schön entfaltet. Vielseher und geübte Denkspiel-Fans dürften nicht allzu viele Probleme damit haben, einige der falschen Fährten als solche noch vor der Bestätigung zu entlarven, dennoch bieten sie (angesichts ihrer Qualität und Quantität) über die gesamte Lauflänge hinweg anständige Unterhaltung. Ein weiterer Pluspunkt der Produktion ist ihre Besetzung, welche keinerlei negative Ausfälle aufweist, selbst wenn einige Clubmitglieder etwas blass bleiben und Gary Cole (“the Gift“/TV´s“Amercan Gothic“) unterbeschäftigt wurde. Sogar Jon Bon Jovi (“the Leading Man“/“U-571“) schlägt sich wacker als Tweed-Jacke (plus Akademiker-Brille) tragender Professor und meistert den eigentlich wenig zu ihm passenden Part mit bravouröser Zurückhaltung, so dass man nie offensichtlich daran erinnert wird, wie der Mann normalerweise seinen Lebensunterhalt verdient. Jared Padalecki (“House of Wax“/TV´s“Gilmore Girls“) überzeugt in seiner Klischee-Rolle als kumpelhafter, aber nicht ganz mustergültiger Zimmergenosse, Julian Morris (“Young Arthur“/TV´s“Fish“) wurde vom Können und Aussehen her optimal besetzt, doch seine Figur lässt leider den letzten Schliff vermissen, was natürlich nicht seine Schuld ist. Er ist derjenige, der die neue Ausrichtung des Spiels vorschlägt, nur um folgend alles daran zu setzen, die daraus resultierenden Ereignisse unbedingt wieder in den Griff zu bekommen. Lindy Booth (“Wrong Turn“/“Dawn of the Dead“) ist der wohl größte Trumpf, denn sie spielt die interessante und vielschichtige Figur der Dodger extrem nahe der Perfektion. Sie fühlt sich den anderen klar überlegen („You´re all playing Checkers – and I'm playing Chess“), ist sehr intelligent und vermag ihre Mitmenschen (nicht nur mit Hilfe ihrer Sexualität) zu manipulieren, ohne dabei letztendlich unsympathisch zu wirken. Im Verlauf ändert sich das allerdings in bedeutsamen Bereichen. Lindy besitzt eine starke Leinwandpräsenz und beherrscht all ihre Szenen, weshalb man diese junge Dame zukünftig unbedingt im Auge behalten sollte. Insgesamt vermitteln die Kids keinen nervenden Eindruck, obwohl es sich bei ihnen ja erneut um gelangweilte Teens aus gutem Hause handelt – im Gegensatz zu vielen Artgenossen sind sie aber nicht hoffnungslos verzogen. Heutzutage leidet beinahe jeder Film darunter, dass alles schon mehr als einmal da gewesen ist – wie also unter diesen Voraussetzungen zu einem kreativen Ergebnis gelangen? Oft erweist es sich als nützlich, zurück in Richtung der „Basics“ zu tendieren, diese dann neu aufzuarbeiten oder mit Elementen aus anderen Bereichen zu kombinieren – so wie es Wes Craven im Jahre 1996 gelang. Auch „Cry_Wolf“ folgt diesem Pfad, orientiert sich an dem Kult-Hit „April Fool´s Day“ und ergänzt den Stoff (u.a.) mit deutlichen Einflüssen von Kevin Williamson (psychoanalytische Eigenbeurteilungen oder die bewusste Wahrnehmung verschiedener Medien) sowie Motiven aus „Urban Legend“, „Cruel Intentions“ oder „Taboo“. Wirkliche inhaltliche Innovationen sucht man dennoch vergebens, was den Gesamteindruck genauso ein Stück weit trübt wie halbherzige Versuche, die sozialen Hintergründe per Einbeziehen der gestörten Beziehung zwischen Owen und seinem Vater zu integrieren. Die begrenzte Location einer mehr oder minder isolierten Schule ist gleichwohl ausnehmend bekannt, selbst wenn sie so vorzüglich daherkommt wie die hier verwendete „University of Richmond“ (Virginia). Die gängigen zum Einsatz kommenden Stilmittel (z.B. Flash Cuts) sind okay und erfüllen ihren Zweck, der mit den Erwartungen spielende Verlauf macht Spaß, wird gegen Ende allerdings konventioneller und tendiert stärker in die Richtung typischer Genre-Abfolgen. Was ich schade fand, ist dass einige Hinweise gegeben werden, die man sich nicht selbst durch Kombinieren spezieller Informationen erschließen muss und auf diese Weise leicht zuviel verraten. Ferner ist es im Grunde unnötig zu erwähnen, dass die Clubmitglieder ethnisch und charakteristisch hervorragend ausbalanciert sind… Newcomer Jeff Wadlow, welcher den Posten des Regisseurs (plus einen gewaltigen Budget-Zuschuss) beim „Chrysler Million Dollar Film Competition“ gewann/erarbeitete (im Gegenzug fährt Bon Jovi halt nen Crossfire), hat seine Sache fest im Griff: Die Inszenierung ist hochwertig, die Angriffe des Killers kommen realistisch und keineswegs übertrieben daher, die Stalking-Sequenzen ebenfalls – besonders gelungen ist eine auf einer Halloween-Party oder eine andere im Bibliothekenkeller, wo sowohl die offensichtlichen (Spannungsaufbau, Beleuchtung usw) als auch tiefergehenden Aspekte stimmen (Dodger und Owen stehen (gezwungenermaßen) nahe beieinander, wobei die Kombination aus Intensität und erotischer Anziehung ideal zu den Figuren passt, inklusive ihrer Denk- und Handlungsweisen). Die Kameraarbeit von Romeo Tirone ist solide und verzichtet auf die sonst meist üblichen kalten Blautöne zugunsten wärmerer, nämlich in bedeutsamen Einstellungen die Farben Grün und Orange, welche der Optik des Killers angeglichen sind. Das Drehbuch von Wadlow und Beau Baumann ist auf verschiedenen Ebenen deutlich findiger jene der breiten Masse artverwandter Werke. Angefangen bei diversen punktgenauen Dialogzeilen, die versteckte Hinweise auf Hintergründe liefern und erst zeitlich folgend vollends aufgedeckt werden, über durchdachte Finten und subtile Insider-Gags, etwa dass die Gruppe leider nicht mit zum Ferienhäuschen eines Kumpels an einem See fahren kann, bis hin zu der Thematisierung der Erschaffung und Verbreitung von Mythen seitens der Medien. Hinzu kommt das Meta-Wissen der Kids, denn sie kombinieren themenspezifische Einfälle, Gelüste sowie Erkenntnisse, die sie aus Bücher, TV und Kino verinnerlicht haben, zu einem „eigenen“, dem gewollten Profil entsprechenden Serienmörder. Besonders gelungen ist die Einbindung der modernen Kommunikationstechnologien in die Handlung: Die anonyme Verbreitung von Gerüchten per Internet, ohne sich groß über die Folgen Gedanken zu machen, wird thematisiert, genauso wie die Selbstverständlichkeit, immer und überall per Handy erreichbar zu sein. Gleich die erste Szene zeigt das virtuos auf: In Form eines wohligen „old school“-Gefühls erleben wir, wie ein Mädchen von einer vermummten Gestalt unbarmherzig durch ein Waldstück gehetzt wird, bis es ihr irgendwann gelingt, sich vor ihrem Verfolger im Gestrüpp zu verstecken – da ruft dieser sie ganz gezielt per Mobiltelefon an, so dass das Klingeln und Leuchtdisplay ihre Position verraten, was ihr das Leben kostet. Den Autoren gelingt es durchweg, diese neuen, allgemein verbreiteten Technologien (PDA´s, Instant Messaging, Zugang zum World Wide Web etc) sinnvoll ins Geschehen einzubetten, wodurch sie dieses beständig vorantreiben und somit zu bedeutsamen Komponenten des Gesamtbildes werden – wie als Mercedes ein Handy-Bild von sich selbst schießt und jenes ihrem Freund zuschickt, der darauf hinter ihr eine schemenhafte Gestalt ausmacht… Fazit: Letzten Endes ist „Cry_Wolf“ zwar weder besonders originell noch ein Slasher im klassischen Sinne, dafür aber ein cleverer, zeitgemäßer sowie gut gespielter und inszenierter Thriller, der dank seines klar oberhalb des Genre-Durchschnitts einzustufenden Skripts gekonnt mit den Erwartungen und Überlegungen des Zuschauers spielt … knappe „7 von 10“.