Silvia Hacherman (Mimsy Farmer) führt ein recht angenehmes Leben in Rom. Sie ist mit dem gutaussehenden Geologen Roberto (Maurizio Bonuglia) liiert, hat einen anspruchsvollen Job als Chemikerin in einem Laboratorium, und über einen Mangel an Freunden kann sie sich ebenso wenig beklagen wie über Geldsorgen. Alles scheint im Lot zu sein. Doch plötzlich geschehen beunruhigende Dinge. Silvia sieht in ihrer Wohnung eine schwarzgekleidete Frau im Schaukelstuhl sitzen, die sich mit Parfüm bestäubt und ihren erschrockenen Blick ungerührt erwidert. Als Roberto nachsieht, gibt es jedoch keine Spur mehr von der mysteriösen Fremden. Und das ist noch nicht alles. Silvias Nachbarn und Freunde verhalten sich irgendwie seltsam, ein schöner Strauß Blumen verwelkt über Nacht ohne ersichtlichen Grund, die passionierte Frühaufsteherin schläft bis in den Nachmittag, und dann taucht auch noch ein junges Mädchen auf und beginnt sie zu nerven. Ist die Arme etwa so überarbeitet, daß ihr die Nerven fiese Streiche spielen? Oder melden sich nun die Dämonen der Vergangenheit zu Wort, da sie in ihrer Kindheit etwas Schreckliches getan hat? Sollte ihre Paranoia gar berechtigt sein und es ist eine großangelegte Verschwörung gegen sie im Gange? Treiben eventuell Geister ihr Unwesen? Oder wird sie schlicht und einfach nur langsam wahnsinnig?
Francesco Barillis Il profumo della signora in nero hat mich nun schon zum zweiten Mal sehr begeistert. Als ich den Film vor einigen Jahren das erste Mal sah, saß ich am Ende paff vor der Glotze, da mich das krasse Ende völlig überrollt hat. Jetzt, in Kenntnis der Auflösung (was dazu führte, daß ich den Film mit völlig anderen Augen sah), überraschte mich der Streifen damit, wie verflucht gut er doch als Ganzes ist. Il profumo della signora in nero entwickelt sich so unglaublich langsam, als hätte Barilli alle Zeit der Welt, um die Geschichte zu erzählen. Silvias Geschichte, um genau zu sein, steht die fragile, blonde Frau mit Kurzhaarschnitt doch so sehr und so eindrucksvoll im Zentrum, daß man glatt denkt, sie wäre in jeder einzelnen Szene des Filmes zu sehen. Als kleine Sensation entpuppt sich die damals knapp dreißigjährige Mimsy Farmer (4 mosche di velluto grigio). Mit ihrer Performance steht und fällt der Film, und was sie hier in der Hauptrolle abliefert, ist trotz ihrer begrenzten Ausdrucksfähigkeit atemberaubend. Aber auch der Rest der Cast ist toll. Wie Mario Scaccia als kauziger Nachbar mit Vorliebe für Flußpferde, Nike Arrighi als blindes Medium Orchidea, Jho Jhenkins als Robertos Freund aus Afrika, oder Lara Wendel (Ghosthouse) als das Mädchen, das plötzlich in Silvias Leben tritt. Sehr stark sind auch die Charakterköpfe, die in kleineren Rollen zu sehen sind und Silvia manchmal wissende und/oder bedeutungsschwangere Blicke nachzuwerfen scheinen.
Auch wenn Barilli mit Versatzstücken des Genres spielt, so ist Il profumo della signora in nero in meinen Augen kein Giallo. Vielmehr erinnert der Film stark an die frühen Arbeiten von Roman Polanski (Repulsion und - vor allem - Rosemary's Baby), gespickt mit zahlreichen Anspielungen auf Alice in Wonderland und inszeniert mit viel Sinn und Gespür für Ästhetik, wodurch man sich oft an die Giallos von Dario Argento und Mario Bava erinnert fühlt. Mario Masinis Kameraarbeit ist famos; die Kamerafahrt mit Kran zu Beginn ist z. B. schon zum Niederknien. Fast zärtlich gleitet die Kamera dahin, belichtet großartige Bilder (visuell ist der Film eine wahre Wucht) und schafft es spielerisch, sowohl die Protagonistin als auch die anderen Figuren immer ins rechte Licht zu rücken. Manche Einstellungen möchte man glatt ausdrucken und an die Wand hängen, so sehr verzaubern sie (der am 4. Februar 1943 in Parma geborene Francesco Barilli ist ja auch ein begabter Maler). Aber nicht nur die starke Optik überzeugt, auch die musikalische Untermalung des Geschehens von Nicola Piovani ist ganz formidabel und verstärkt die bizarre, beunruhigende und doch nicht wirklich greifbare Grundstimmung enorm. Überhaupt ist der Streifen ein exquisites Mood Piece, dessen schauderhaft-bedrohliche Atmosphäre gleichermaßen hypnotisiert wie fasziniert. Obwohl das Geschehen nicht sonderlich spannend ist und auch die Figuren nur oberflächlich charakterisiert sind, so wird durch diese Stimmung eine seltsame, fast schon magische Anziehungskraft entfacht, der man sich kaum entziehen kann.
Eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Geschichte spielt der Sex, der hier alles andere als schön dargestellt wird und manchmal eher an eine Vergewaltigung als an zärtlichen Geschlechtsverkehr erinnert. Mimsy Farmer ist kurz völlig nackt zu sehen, und auch ein Schauspieler ist sich nicht zu schade, sein Glied vor der Kamera zu entblößen. Das ist schon sehr gewagt, da diese Szene auch ein Kind beinhaltet und sich der nackte Mann diesem bedrohlich nähert. Am Ende unterläßt es Barilli, der die Geschichte zusammen mit Massimo D'Avak aus zwei verschiedenen Drehbuchentwürfen entwickelt hat, glücklicherweise, den Erklärbären auf den Zuschauer zu hetzen. Im Verlauf des Streifens gibt es zwar einige Andeutungen (unter anderem auch auf die schockierende Schlußszene), aber im Grunde muß man sich die Auflösung selbst erarbeiten, die hingestreuten Puzzlestücke quasi selbst zusammensetzen. Daß die Grenzen zwischen Realität, Wahn, Erinnerungen und Halluzinationen andauernd verwischen, erschwert diese Aufgabe beträchtlich. Il profumo della signora in nero ist ein herausragender Psychothriller, welcher sich im Erinnerungszentrum des Gehirns so sehr festsaugt, daß man ihn kaum mehr wieder loswerden kann. Italienische Thriller gibt es viele. Il profumo della signora in nero zählt zu den allerbesten.