Mit "Im Rausch der Tiefe" ("Le grand bleu") realisierte Regisseur Luc Besson einen langgehegten Traum und schuf ein wahrlich schönen Film über das Apnoetauchen und zwei Figuren, die dieser Extremsportart verfallen sind.
Die Story: Jacques (Jean-Marc Barr) und Enzo (Jean Reno) kennen sich schon seit Kindertagen. Beide sind schon, als sie noch kleiner sind, dem Freitauchen zugetan. Eines Tages stirbt Jacques Vater bei einem Tauchunfall. Jahre später haben sich die Wege der Männer getrennt. Während Jacques für Wissenschaftler an Tauchexperimenten teilnimmt, ist Enzo mehrmaliger Weltmeister im Freitauchen in der Tiefe. Die Amerikanerin Johana (Rosanna Arquette) folgt den beiden Männern...
Was Besson mit seiner Ode an das Meer anstellt, ist ein einziger wunderschön anzuschauender Bilderrausch, der einen wahrlich gefangennehmen kann.
"Im Rausch der Tiefe" ist allerdings auch ein Film, über den man sich eine eigene Meinung bilden muss, denn er hat genügend Punkte, die man kritisieren kann. Wenn man es denn überhaupt möchte.
Besson beschreibt in seinem Drehbuch, das sich lose auf das echte Duell zwischen den Tauchern Jacques Mayol und Enzo Maiorca bezieht, vor allem, was Extremsport bedeuten kann. Aus dem Adrenalinkick wird die lebenserhaltende Sucht nach der Herausforderung. Das gilt heutzutage für das Tauchen, wie auch für das Fallschirmspringen oder das Base-Jumping.
Dabei präsentiert uns Besson zwei ungemein interessante, weil grundverschiedene Figuren. Jacques ist ein schüchterner und zurückhaltender Mensch, der nach dem Tod des Vaters (die Mutter ist in die Staaten zurück, als er noch klein war) keine Bezugsperson mehr hat und nur noch für das Tauchen lebt. Seine einzigen "Freunde" sind die Delfine, mit denen er schwimmt.
Demgegenüber ist Enzo ein charismatischer und recht impulsiver Zeitgenosse, der - und das ist die einzige, aber titelgebende Gemeinsamkeit - sich im Leben dem Meer verschrieben hat. Er taucht vor allem für den Ruhm und führt dementsprechend ein sehr offenes Leben.
Dass diese Figuren vor allem so hochinteressant erscheinen, liegt auch an dem Spiel der Darsteller. Barr und Reno strahlen eine fantastische Aura aus, beide jeweils auf ihre Art. Vor allem Jean Reno ist in seiner Rolle derart cool, dass er hier schon mal einen Stempel für seine zukünftigen Rollen setzen konnte.
Eingerahmt wird das Duell der beiden verschiedenen Persönlichkeiten von Rosanna Arquette, die einfach unfassbar süß aussieht und unwiderstehlich zu spielen weiß. Für Jacques wird sie nach Jahren wieder eine Bezugsperson.
Im Grunde genommen ist "Im Rausch der Tiefe" ein Unterwassermärchen, dass aber glücklicherweise auf Meerjungfrauen verzichtet. Zumindest kommen keine Fabelwesen vor, aber der Film zeigt mit den Delfinen eine Art Meerjungenfrauenersatz, die für Jacques zu einer Familie werden. Besson erzählt seinen Film recht ruhig, so wie man es von ihm ja schon seit Jahren nicht mehr gewohnt ist. Er nimmt sich viel Zeit für die Figuren und die Orte, die sich besuchen, lässt auch Momente ohne handelnde Personen einfach im Raum stehen und wirken. Dass der Film trotz stattlicher Lauflänge (im Extended Cut noch mal deutlich länger) nicht langweilig wird, liegt einfach an der suchtmachenden Wirkung des Films. Und weil man wissen will, wer in dem Wettstreit gewinnen wird.
Entsprechend schön und eindrucksvoll ist dieser Film fotografiert. Luc Besson zeigt verschiedene Orte der Welt (hauptsächlich auch dort gedreht), im Mittelmeer, der Atlantik, selbst Peru. Dabei ist stets das Meer präsent. Lediglich New York, wo Johana als Repräsentantin des Inlandes lebt, wird davon ausgenommen.
Im Film sind neben beeindruckenden Weitaufnahmen und Heli-Shots vor allem die Unterwasseraufnahmen eine Wucht.
Bemerkenswerterweise mussten Jean Reno und Jean-Marc Barr selbst tauchen. Natürlich gab es keine Aufnahmen in 100 Meter Tiefe, aber bis 40 oder 50 Meter ging er hinab, was man in der entsprechenden Dokumentation zum Film sehen kann. Dafür gibt es einen dicken Respekt, denn ganz ungefährlich ist das ganze natürlich nicht.
Die Bilder, die Besson unter Wasser einfängt, sind derart eindrucksvoll, dass sie die Rauschhaftigkeit der beiden Hauptfiguren nochmal unterstreichen. Immer tiefer soll es gehen, immer weiter hinein in das Dunkelblaue des Ozeans. Und man möchte als Zuschauer gleich mit.
Der Soundtrack von Eric Serra ist sicherlich gewöhnungsbedürftig. Er reichert ihn wie so oft mit Synthesizern an, mischt noch einheimische Klänge der jeweiligen Location im Film unter. Allerdings passt sein Score zu den hypnotisierenden Bildern wie die Faust aufs Auge. Ob seine geschaffene Musik schön klingt, ist und bleibt Ansichtssache, aber einzigartig ist sie allemal.
Fazit: Ich denke, diesen Film lernt man vor allem dann schätzen, wenn man selbst Schwimmen und Tauchen liebt. Luc Besson wandelt in seinem Epos überaus gekonnt zwischen Humor und Tragik. Es gibt viel zu lachen, aber eben auch Stellen, die einem den Hals zuschnüren können. Das Ende, das hier nicht verraten werden soll, ist so traurig wie konsequent und unterstreicht nur die Einzigartigkeit dieses Werkes.