Eine Trilogie soll es werden und gleichzeitig Lars von Triers allumfassende Abrechnung mit der Weltpolizei, den Vereinigten Staaten von Amerika. Mit „Dogville“ begann der Vater des Dogma-Manifestes sehr eindrucksvoll und stellte die bisherigen Konventionen des Dogma-Kinos völlig auf den Kopf, hebelte sogar sämtliche klassische Mechanismen zur Filmgestaltung aus und verzichtete vollständig auf richtige Kulissen. Wer „Dogville“ gesehen hat, der hat ihn garantiert nicht vergessen, entweder man liebt es oder man hasst es, was der exzentrische Däne hier fabriziert hat. Doch war „Dogville“ mit einem beeindruckend innovativem Konzept, ungeheurer atmosphärischer Dichte und einer bis ins letzte Detail ausgefeilten Dramaturgie, zumindest künstlerisch über jeden Zweifel erhaben, so standen schon die Vorzeichen für die Fortsetzung schlechter.
Den größten Fehler begeht der Regisseur und Drehbuchautor schon in der Figurenzeichnung und daraus resultierend auch in der Besetzung. So war es überhaupt nicht nötig die konsequent abgeschlossene Storyline aus „Dogville“ künstlich zu verlängern und uns mit Grace auch wieder wie selbe Hauptprotagonistin zu liefern. Aufgrund dieser Tatsache scheitert der Film gleich in mehreren Punkten: Zunächst einmal wäre da die Verkörperung der Grace. Nicole Kidman interpretierte den Charakter auf die denkbar beste Art, bewies Einfühlungsvermögen und konnte mit einer Mischung aus ergreifender Sensibilität und gefühlloser Kälte nachhaltig überzeugen. Nun die wesentlich jüngere Bryce Dallas Howard („The Village“) als Grace zu besetzen erweist sich als fataler Fehler, da die Vergleiche mit Kidman eigentlich zwangsläufig erfolgen. Und genau hier versagt Howard, Kidmans Fußstapfen sind einfach zu groß, die vorgelegte Leistung einfach zu intensiv für eine noch so junge und unerfahrene Schauspielerin. Es ist nicht mal ihre Schuld, die Figur ist einfach zu groß und deshalb wirkt die Tochter von Ron Howard hier einfach nur hilflos und blass, kann keinerlei schauspielerische Akzente setzen. Doch auch der Charakter selbst hat eine unglaubwürdige Wandlung durchgemacht, was Bryce Dallas Howard ihre Aufgabe noch zusätzlich erschwert: Grace ist auf einmal eine selbstlose Samariterin und hat nichts anderes im Kopf als den Menschen von Manderlay zu helfen. Bedenkt man das Ende von „Dogville“, wird man schnell merken, dass dieser idealistische Ansatz einfach nicht zu Grace passt, besonders nicht nach den Ereignissen in Dogville. Willem Dafoe ersetzt James Caan und spielt den mächtigen Vater von Grace – während in „Dogville“ Caan’s Gastauftritt für einen Knalleffekt sorgte und auch erst spät platziert war, so ist Dafoe hier völlig verschenkt
Vordergründig ist „Manderlay“ eine weitere Attacke auf die amerikanischen Wertvorstellungen und der daraus resultierenden Politik. Die Allmachtsansprüche der USA inklusive der heuchlerischen Helfer-Komplexe und die Weltverbesserungsabsichten – all jene beliebten Angriffspunkte finden sich mehr oder weniger offen dargestellt im Film und werden selbstverständlich mit harten Sarkasmus kommentiert. Unterhalb der provozierenden Oberfläche zielt Lars von Trier aber darauf ab einen Abgesang auf die menschliche Seele in der Politik allgemein zu inszenieren. So erzählt „Manderlay“ ebenso vom Scheitern der Demokratie als auch die Sinnlosigkeit sozialistischer Systeme. Das pessimistische Menschenbild, welches auch schon im Vorgänger die Marschrichtung vorgab, bleibt auch hier unerschüttert und somit findet der philosophische Ansatz auch nur eine marginale Weiterentwicklung. Auch der äußere Rahmen bekommt keine Innovationen, wieder verlässt sich von Trier auf die Wirkung seines reduktionistischen Kinos – leider bleibt diesmal der Überraschungseffekt aus und die leere Bühne erweist sich kaum als etwas Besonderes. Immerhin kann der zynisch vorgetragene Off-Kommentar von John Hurt noch genauso überzeugen wie im Vorgänger und auch Peter Fricke übersetzt das Ganze erneut kongenial auf deutsch.
Auf dem Papier mag von Triers zweites reduktionistisches Experiment vielleicht hervorragend funktionieren, als fertiger Film fehlt aber eindeutig die Inspiration. Deutlich wird das an den zahlreichen vorhersehbaren Wendungen deren Wirkung einfach nicht so emotional packt wie „Dogville“ es in einigen kontroversen Szenen geschafft hat, zum Beispiel in der verstörenden Hinrichtung der Kinder am Ende. Die Geschichte um die Sklaven, welche sich nicht bereit für die Gesellschaft fühlen und letztlich wieder beherrscht werden wollen, bietet zwar enormen Spielraum, dennoch bleibt die Radikalität des Vorgängers außen vor, im Vergleich wirkt „Manderlay“ zahnlos und weniger konsequent.
Fazit: „Manderlay“ wird dem genialen Vorgänger in keinster Weise gerecht und Lars von Trier überrascht mit einer ungewohnten Kontinuität, welche den Vorwurf des Selbstplagiats ziemlich nahe rückt. Letztlich ist auch der zweite Teil der Amerika-Trilogie sehenswert, unterhaltsam und intellektuell herausfordernd geworden, die epische Wucht des Originals bleibt aber unerreicht. Wäre „Dogville“ nicht so perfekt gewesen, so könnte ich mich vielleicht besser mit den leichten Unzulänglichkeiten Manderlays abfinden…
6,5 / 10