Wenn man schon sehr viele Filme gesehen hat, gibt es eigentlich ganz wenige Dinge, die einen noch überraschen können. „Mysterious Skin" hat es seit langer Zeit mal wieder geschafft. Und wie. Ich habe den Film ohne die Handlung zu lesen einfach mal auf Verdacht mitgenommen, als ich die sensationell hohen Bewertungen hier bei ofdb gesehen habe. Und da Thriller (steht tatsächlich auf der Rückseite als Vermerk) eh mein bevorzugtes Genre ist, dachte ich, hier vielleicht einen spannenden Film zu sehen, doch davon ist dieses Werk hier aber so was von weit entfernt. Es handelt sich nämlich um ein lupenreines Drama, das auch an keiner Stelle irgendwie spannend ist. Doch wer jetzt glaubt, dass nun ein Verriss folgt, der wird sich im Laufe der nächsten Abschnitte getäuscht sehen.
Der Film handelt von zwei 8-jährigen, aber doch sehr unterschiedlichen Jungen. Der schüchterne Brian (mit süßer riesengroßer Brille) wacht eines Tages mit blutender Nase im Keller seines Elternhauses auf und weiß nicht, was in den letzten Stunden vorgefallen ist. Im Laufe der Zeit und der Jahre verstärkt sich seine Vermutung, dass er in dieser Zeit von Außerirdischen entführt wurde. Als er dann auch noch Avalyn kennen lernt, die eine ähnliche Erfahrung gemacht hat, scheint die Sache klar zu sein. Doch wer ist der Junge, der immer in seinem Traum erscheint? Was hat er mit dieser Sache zu tun? Neil macht eine Erfahrung ganz anderer Sorte. Er verliebt sich nämlich in seinen Baseballtrainer. Seine Liebe wird von diesem auch erwidert und es kommt zu sexuellen Handlungen. Seitdem weiß Neil, dass er schwul ist und verdient sich in den nächsten Jahren sein Geld als Stricherjunge, trotz vieler Warnungen seiner Freunde Brian und Wendy. Als er seine beste Freundin in New York besucht, gerät er an einen perversen Typen, der ihn vergewaltigt und schlägt. Er flüchtet daraufhin an Weihnachten zu seiner Mutter nach Kansas und erhält überraschend Besuch...
Im Endeffekt kann man sich eigentlich schon denken, auf was dass alles hinausläuft. Aber das ist in diesem Falle absolut unwichtig, denn ich kann mich nicht erinnern, dass es ein Regisseur jemals auch nur annähernd geschafft hat, eine solch komplizierte und unangenehme Geschichte, die sich ja schließlich um Kindesmisshandlung und deren Folgen dreht, so gefühlvoll und klischeefrei in Szene zu setzen. Trotz sehr niedrigem Budget baut er hier mit viel Phantasie wunderschöne Traumsequenzen ein, die dem Zuschauer manches Geheimnis allmählich näher bringen.
Der Film basiert auf einem Roman von Scott Heim, der aufgrund des brisanten Themas eigentlich als unverfilmbar galt. Doch Regisseur Araki gelingt dieses Kunststück auf eindrucksvolle Weise.
Die beiden Hauptdarsteller Brady Corbett und Joseph Gordon-Lewitt erweisen sich zusätzlich als absolute Glücksgriffe. Insbesondere letzterer verleiht seinem Charakter eine enorme Intensität, und obwohl er ja eigentlich „nur" eine „männliche Hure" spielt, ist er für den Zuschauer ein absoluter Symphatieträger und hat von beiden auch die weitaus schwierigere Rolle. Trotzdem spielt auch Corbett seinen Charakter als schüchterne, unscheinbare „Brillenschlange" sehr überzeugend.
Was den Film so interessant macht, ist, dass die Geschichte beider Jugendlicher parallel erzählt wird, wobei Regisseur Araki zwischen beiden Entwicklungen hin- und herspringt. Erst gegen Ende laufen die beiden Geschichten der Jungs zusammen und beide stellen sich gemeinsam ihren (für Brian sehr unangenehmen) Erinnerungen. Die Schlussszene ist einfach fantastisch und bildet einen absolut würdigen Abschluss für dieses einfühlsame, kleine Meisterwerk.
Da hier durchaus etwas härtere Szenen gezeigt werden (auf Hardcoresex hat man aber dann doch verzichtet, ist aber auch nicht nötig und würde dem Film eher etwas an Qualität stehlen), ist die FSK 18-Freigabe übrigens nicht ganz ungerechtfertigt, wird aber natürlich nochmals dazu beitragen, das der Film auch auf DVD kein großer Verkaufsschlager werden wird, es sei denn durch Mundpropaganda
Fazit. Hier zeigt sich wieder mal, dass eine gute Story und eine einfühlsame Regie, sowie engagierte Darsteller, kein großes Budget benötigen. Ein ungewöhnliches und bewegendes Werk, das den Zuschauer noch lange nach dem Abspann beschäftigt.
Kleiner Gruß an „deadlyfriend", den kannst Du Dir guten Gewissens blind zulegen.
9 von 10 Punkten