Mehr Thriller, weniger halli gialli
„Occhi di cristallo", oder zu Deutsch „Eyes of Crystal - Die Angst in deinen Augen", wird rezeptionell als gelungener Neo-Giallo empfohlen, der sich aber nicht in rückwärtsgewandter Romantisierung ergeht und das bekannte Sujet zeitgemäß dem nahesten Verwandten, dem Serienkiller-Film, öffnet. Dem würde ich auch zustimmen.
Der Erstling des nicht allzu fleißigen Regisseurs Eros Puglielli bettet die bekannten Muster seiner Psychomörder-Hatz in eine moderne Optik ein, sodass zumindest auf der ästhetischen Ebene hier und da mal der Vergleich zu David Finchers düsterem und durchgestyltem „Sieben" gezogen wurde, der letztlich ja 1997 „Das Schweigen der Lämmer" als non plus ultra im Genre ablöste. Dem kann man in Teilen auch zustimmen, wobei Puglielli seinem Film jedoch eine visuelle Eigenständigkeit verleiht und man nicht das Gefühl hat, einen europäischen Abklatsch vorgesetzt zu bekommen. Gerade die Außenaufnahmen empfand ich als gelungen und beim ersten Mord erinnerte mich „Eyes of Crystal" eher an Finchers „Zodiac", der ja erst drei Jahre später entstehen sollte.
Die Story von Argentos Stammautor Franco Ferrini ist in ihrer Konstruktion zwar nicht typisch für den Giallo, allerdings finden sich hier die größten Parallelen, wenn die Mordserie auf einem vergangenen, tragischen Ereignis gründet, das den Mörder auf seine schrägen Ideen bringt, wenn er aus seinen Opfern offenbar eine Puppe basteln möchte. Jeder braucht ein Hobby...
Jedoch haben wir es hier im Gegensatz zum Helden durch Zufall vieler Gialli mit dem klassischen Ermittler Giacomo Amaldi (Luigi Lo Cascio) zu tun, der ein an die Heldensubstanz gehendes Ereignis mit sich herumschleppt, was ihn zu dem unrund laufenden Charakter macht, den wir ja in den meisten, verbitterten Zeitgenossen auf der Seite von Recht und Gesetz vorfinden. Lo Coscio mag kein Ausbund an Ausstrahlung und Charisma sein, aber er spielt der Rolle dienlich und schafft es, dem Ermittler einen menschlichen Anstrich zu verpassen, der auch immer die Möglichkeit des Scheiterns mit einbezieht, wodurch der Film auch eine grundsätzliche Spannung aufbauen kann.
Sein Love-Interest Giuditta (Lucía Jimenéz) erfüllt ihre Aufgabe für den Plotverlauf, aber schafft darüber hinaus durch die schauspielerische Leistung und Ausstrahlung auch das ungute Gefühl, die ansehnliche Dame (Sie erinnert an Ivanka Trump, ist aber eben keine Kreatur des Bösen) könnte es nicht über die Ziellinie schaffen.
In den Nebenrollen fielen mir besonders José Angel Egido und natürlich Simón Andreu auf. Ersterer durch eine grundsympathische Ausstrahlung, letzterer natürlich wegen seiner Darbietungen in diversen Gialli der goldenen Genre-Ära, unter anderem in den Filmen von Luciano Ercoli.
Neben den gelungen fotografierten Bildern von Luca Coassin gibt es in Teilen eher zweckdienliche Musik von Francesc Gener, die mir aber mit dem merkwürdigen Gesang im Vorspann eher ein Lachen entlockte, statt mich auf die drohende Düsternis einzustimmen.
Ein weiterer und recht elementarer Aspekt des Giallos ist auch die oftmals überbordend dargestellte Mischung aus Sex und Gewalt, mal mehr Sex, mal mehr Gewalt, die hier ganz klar zugunsten der Gewalt gewichtet wurde. Die Frauen gehen hier deutlich weniger mit ihrer Körperlichkeit hausieren, was wohl auch mit Blick auf das Produktionsjahr zu erklären ist. Sleaze konnte ich hier nicht ausmachen und auch wenn dieser mich oftmals eher nervte als faszinierte oder gar erotisierte, fehlt er dann doch zu sehr, um „Eyes of Crystal" als Neo-Giallo bezeichnen zu können. Jedoch werden dann eben die Mordszenen, oder vielmehr ihre Ergebnisse, sehr drastisch in Szene gesetzt und das eingebundene Thema der Tierpräparation liefert sein Übriges, um eine sehr morbide Grundstimmung zu schaffen. Heutzutage hätte wohl auch eine FSK 16 gepasst, aber das spielt hier nun wirklich keine Rolle, weil Puglielli ein gutes Maß an Makaberem findet, das dem Sujet durchaus angemessen ist.
Fazit
„Occhi di cristallo" ist ein doch gelungener Thriller, der sich klar an dem zeitgenössischen Serienkiller-Filmen seiner Entstehungszeit orientiert und hier und da Elemente des klassischen Giallos in sich aufnimmt, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt ein Retrowerk sein zu wollen. Was aber typisch für das italienische und hier auch spanische Genrekino früherer Zeiten ist, ist die fehlende Vertiefung der psychologischen Dimension des Killers, die hier zwar Raum findet, aber recht nebensächlich in einen sehr gradlinigen Film eingebunden wird, der wenig überrascht, aber dafür den Genrefreund mit bewerten Zutaten und solidem Handwerk auf erhöhtem Niveau zu unterhalten weiß. Und das ist für einen europäischen Thriller, dazu noch ein Erstling, aus dem Jahr 2004 doch schon allerhand. Bisher hatte ich noch nie von dem Film gehört und das wird ihm irgendwie nicht gerecht, denn im Genre gibt es deutlich schlechtere Filme und auch deutlich teurere, schlechtere Filme.
Was allerdings die Nähe zum Giallo wieder vergrößert, sind die kleinen Unsinnigkeiten, wenn beispielsweise zwei Kinder, die maximal zwei Jahre auseinanderliegen zu scheinen, später dann einen Altersabstand von mindestens 10, eher 20 Jahren aufweisen. Exponentiell wachsender Altersabstand - Fast schon wieder sympathisch...