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Es gab in der gesamten Geschichte des Films wahrscheinlich keine bedeutsamere Zeitenwende als den Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm. Keine jedenfalls, die den Film in seiner erzählerischen Funktion, in seinen medialen Eigenschaften, maßgeblicher verändert hätte. Karrieren großer Stars gingen zu Bruch, als die Leinwände Anfang der 1930er Jahre durch die Talkies flächendeckend zu sprechen begannen. Neue Karrieren wiederum blühten auf. Nur wer überaus wandlungsfähig war, konnte sich in beiden Zeiten behaupten. Während Literatur und Kino entgegen ursprünglicher Prognosen letztlich zur Koexistenz fähig waren, galt das offensichtlich nicht für den Stumm- und Tonfilm. Der eine musste sterben, damit der andere leben konnte.

Wohl deswegen schwingt immer eine besondere Form von Jenseitigkeit mit, wenn man sich doch mal wieder an diese frühe Unterart des filmischen Mediums erinnert. Anders als andere ausrangierte Standards, die durch technische Weiterentwicklung im Laufe der Zeit auf dem Abstellgleis gelandet waren, denken wir etwa an den Schwarzweißfilm, den 4:3-Standard oder das Technicolor-Verfahren, ist der Stummfilm kaum mehr in irgendeiner Form mit der Gegenwart verknüpft; er scheint im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben. Es werden zwar bis ins 21. Jahrhundert hinein vereinzelt noch Stummfilme gedreht („The Artist“, 2011, „Blancanieves“, 2012, „Return to Babylon“, 2013), die man aber als Ausnahmen von der Regel betrachten muss. Und wenn sie zustande kommen, dann sind sie nicht einfach nur Stilmittel, sondern drehen sich auch inhaltlich konkret um Sujet und Metier. Letztlich sind es immer Historienfilme, und sie gehören meistens der Gattung „Filme über das Filmemachen“ an, welche sich üblicherweise aus den Kategorien Satire, Parodie und Hommage bildet.

Mel Brooks’ „Silent Movie“ weicht davon keinen Millimeter ab; wie könnte er auch bei den Anlagen des Schöpfers. Der hat Genres ja schließlich schon immer im Ganzen mit dem Schaufelbagger ausgehoben; den Western in „Der wilde wilde Westen“ oder den klassischen Horrorfilm in „Frankenstein Junior“. Sich als nächstes des Stummfilms in all seinen Schattierungen anzunehmen, ohne darin direkt zwischen Genres oder Strömungen unterscheiden zu wollen, passt zu der groben, bei genauerem Hinsehen dann aber doch oft erstaunlich feinfühligen Vorgehensweise.

Dass die Unvereinbarkeit von Ton- und Stummfilm zu seinen zentralen Themen gehört, macht Brooks von Anfang an im Formalästhetischen deutlich. Er lässt zum Einstieg einen Oldtimer langsam gen Kamera steuern und verzichtet dabei vollständig auf Ton, so dass der Zuschauer trotz des Wissens um die Thematik kurzzeitig irritiert sein könnte; schließlich ist man selbst aus frühesten Anfangstagen wenigstens musikalische Begleitung gewohnt, und sei sie auch nur live mit den Bildern synchronisiert anstatt untrennbarer Teil des Films. Der Fokus wird also augenblicklich auf die Einschränkungen des Mediums selbst gelenkt, das anhand seiner technischen Eigenarten die Form und den Inhalt des Erzählens vorgibt, was durch kaum eine Maßnahme deutlicher werden könnte als durch den Entzug des Grundrauschens, oder auch: das Hinzufügen von Stille.

„Silent Movie“ versucht sich aber ohnehin nicht – ganz anders als die eingangs genannten Beispiele der 2010er – an einem täuschend echten Imitat der Stummfilm-Ästhetik, sondern rührt dessen Bestandteile unter zeitgenössische Merkmale. Der Oldtimer, der da auf einer mit Palmen bepflanzten Straße in Hollywood angebraust kommt, ist nicht etwa in Graustufen lackiert, sondern in einem satten Kanariengelb, während der Himmel in deckendem Blau erstrahlt. Und während seine Insassen, die Filmemacher Mel Funn (Mel Brooks), Marty Eggs (Marty Feldman) und Dom Bell (Dom DeLuise) in den nun folgenden Episoden etliche Stars für ihren Stummfilm zusammentrommeln, treffen sie nicht etwa auf Doppelgänger von Douglas Fairbanks, Mary Pickford oder Harold Lloyd, sondern auf aktuelle Hollywood-Stars der 70er: James Caan („Der Pate“), Burt Reynolds („Beim Sterben ist jeder der Erste“), Liza Minnelli („Cabaret“), Anne Bancroft („Die Reifeprüfung“) und Paul Newman („Flammendes Inferno“).

Was Ende des 19. Jahrhunderts noch als bestmögliches Ergebnis einer weniger weit entwickelten Technologie verstanden wurde, wird hier zum bewusst eingesetzten Stilmittel. Um nachzuweisen, dass der Stummfilm trotz und gerade wegen seiner technischen Limitationen unersetzliche Eigenschaften besitzt, muss Brooks diese Eigenschaften also nun zum Vorschein bringen, indem er Situationen erschafft, die mit Dialog und Effektspur nicht zu bewerkstelligen wären.

Entsprechend stark vertraut „Silent Movie“ auf seine formale Ebene. Visuelle Gags dominieren den Bildausschnitt, der nicht auf altmodisches 4:3, sondern auf modernes amerikanisches Breitwandformat maskiert ist. Wie Comicstrips aus der Tageszeitung versuchen sie, mit ihrer Farbe und ihrer Verrücktheit gegen die Textlawinen um sie herum die Aufmerksamkeit des Lesers zu erringen. Die braunen Texttafeln, die mit ihren einfach strukturierten, inhaltlich oft moralisch simplen Aussagen schon damals eher Mittel zum Zweck waren, sind dies für Brooks gleichermaßen. Sie kontextualisieren das Nötigste, sollen die Bilder aber letztlich so viel atmen lassen wie nur möglich.

In den Bildern wiederum spielt sich der fundamentale Ursprung des Kinos ab: Bewegung, Veränderung, Ursache und Wirkung. Es ist nicht nur das kanariengelbe Auto, das als Transportmittel entlang des linearen Handlungsfadens ein roter Faden im Film ist, sondern auch die Fast-Motion-Beschleunigung, das Ergebnis der Projektion von 18 gedrehten Bildern pro Sekunde auf den seit einem Jahrhundert geltenden Kino-Standard von 24 Bildern. Ob Tanzchoreographie oder Stuntkoordination, die Gags, die der Regisseur wie Sketch-Abläufe aneinanderreiht, gehorchen stets den Regeln der Physik. Hier beschleunigt und im Vordergrund ausgestellt, als sei die Dynamik in der Szene alles, was zähle – ganz im Geiste Buster Keatons und Charlie Chaplins, deren Silhouetten man immer wieder zu erahnen glaubt, wenn etwa Marty Feldman mit seiner Fliegerhaube wie eine menschliche Kanonenkugel durch den Flipperautomat der Kulisse irrt.

Es ist aber nicht nur das Bild, in dem die exklusiven Vorzüge des angestaubten Formats erkundet werden, sondern auch der Ton. Bei der Einführung macht die vollkommene Stille nicht halt, auch mittendrin arbeitet das Sounddesign immer wieder auffällig gegen Brooks’ Hofkomponist John Morris, der sich oftmals enorm zurückhalten muss. Letztlich arbeitet es dadurch aber für ihn, denn wenn seine Noten erklingen, dann mit einer plastischen Wucht, wie man sie gerade in der vorherrschenden New-Hollywood-Landschaft der 70er mit ihren rauen, ungefilterten Geräuschquellen kaum mehr gewohnt war. Insbesondere auf der Toneffektebene geschieht durch die artifizielle Abmischung Unvergessliches, wenn kleine Ticks und Marotten wie schnippende Finger deutlich hervorgehoben werden, während der Lärm von Autos und belebten Orten auf Null zurückgepegelt wird. Nach diesem Prinzip funktioniert letztlich auch der wohl bekannteste Gag des Films, die einzige gesprochene Dialogzeile, die in den drei beißenden Buchstaben der Ironie ausgerechnet vom französischen Pantomimen Marcel Marceau ausgesprochen wird. Ein Echo, das von den „Simpsons“ bis zu „Jay und Silent Bob“ über die Postmoderne hinaus weitergetragen wurde.

Betont schlicht, wenn nicht banal ist „Silent Movie“ in seinem erzählerischen Aufbau gehalten, der fast ausschließlich von Klischees lebt und dem Prinzip der Karikatur gehorcht. Könnten Produktionsgesellschaften einen „Evil Moustache“ tragen, die „Engulf & Devour“ (ins Deutsche übersetzt als „Gierschlund & Raffke“) würde es tun. Die Parodie auf die „Gulf + Western“-Gesellschaft, die unter anderem in den 60ern Paramount Pictures schluckte, dient als Antagonist und tritt hauptsächlich als Ansammlung alter Männer in Anzügen in Erscheinung, die um einen Besprechungstisch versammelt sind. Allzu Komplexes geschieht in der Parallelmontage aus Erfolgserlebnissen des Trios an Hauptfiguren und Sabotageakten der schurkenhaften Firmenbosse nicht; überhaupt verliert das anfangs so spritzige Abenteuer spätestens dann an Drive, wenn man merkt, dass hier im Grunde ein Sketch nach dem anderen aneinandergereiht wird und jeder dem Muster des vorherigen folgt. Inhaltlich wirken manche Gags inzwischen auch abgestanden, ob nun von der harmlosen Sorte (Fliege in der Suppe) oder mit gesellschaftlichem Zündstoff versehen (Umgang mit dem Thema Homosexualität). Die Gaststars versprühen in ihren Cameos allerdings so viel Esprit, dass man bis zur Zielgeraden, der Uraufführung des Films in einem ausverkauften Kinosaal mit Popcorn und Luftballons, stets bei Laune gehalten wird, auch weil die Gags mitunter so herrlich verrückt ausfallen. Gerade Reynolds und Bancroft schlagen in ihren Auftritten regelrecht Funken, während Bernadette Peters aus der zweiten Reihe im Stil früher Sexsymbole der Marke Gloria Swanson oder Greta Garbo bald das Heft in die Hand nimmt. Von Brooks / DeLuise / Feldman kann man das ohnehin in jeder Szene behaupten. Die Abnutzungserscheinungen werden durch den Körpereinsatz der Darsteller also abgefedert, so dass man am Ende fast dazu bereit ist, sich aus der eingesackten Position im Fernsehsessel zu befreien und sich den Standing Ovations anzuschließen.

Das Tragischste am Stummfilm ist womöglich, dass er vielleicht nie existiert hätte, wäre der heute uns bekannte Tonfilm für Filmemacher schon immer eine Option gewesen. Mel Brooks’ „Silent Movie“ macht eines überaus deutlich: Dies hätte einen erheblichen Verlust fürs Kino bedeutet. Er nutzt alle drei Dimensionen des Films, das Bild nämlich, den Ton und die zeitliche Abfolge, um erzählerische Pfade zu finden, die in der damaligen Filmlandschaft längst zugewachsen waren. Die konsequente Verschmelzung der Stilmittel des Stummfilms mit den Möglichkeiten des Gegenwartskinos stellt umso deutlicher unter Beweis, dass der Schweigende einen Diskurs immer zu bereichern weiß.

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