Sergio Corbucci brachte 1966, als die Hochphase in der Popularität des "Western all'italiana" begann, gleich drei Genre-Vertreter heraus, deren Kino-Start nicht in der Reihenfolge ihrer Herstellung erfolgte. "Johnny Oro" (Ringo mit den goldenen Pistolen) wurde zwar wenige Wochen nach "Django" veröffentlicht, war aber schon vor diesem geschrieben und abgedreht worden, und stand noch in der Tradition des US-Western. Die Parallelen zu Corbuccis erstem Western "Minnesota Clay" (1964) sind entsprechend offensichtlich, auch weil Adriano Bolzoni zu beiden Filmen das Drehbuch verfasste. Erst mit dem Ende 1966 in die Kinos gekommenen "Navajo Joe" (Kopfgeld: Ein Dollar) legte Corbucci einen Nachfolger von "Django" vor, der äußerlich wie ein Gegenentwurf zu diesem wirkt, tatsächlich aber den Weg zu "Il grande silenzio" (Leichen pflastern seinen Weg, 1968) konsequent fortsetzte.
Der Vergleich mit dem Mythos "Django"
Dass "Navajo Joe" bis in die Gegenwart ein eher unbekannter Western innerhalb Corbuccis Werk blieb, der nicht selten als kreativer Rückschritt angesehen wird, lässt sich an zwei wesentlichen Einflüssen festmachen - dem übergroßen Schatten des zum eigenständigen Markenzeichen gewordenen "Django" und der fehlenden Akzeptanz, einen Indianer als gleichwertigen Helden anzuerkennen. Selbst Burt Reynolds, der als "Navajo Joe" seine erste Hauptrolle erhielt, äußerte sich negativ über eine Figur, die sich anders als der edle "Winnetou" in den Karl-May-Filmen, das Recht herausnahm, aus ähnlichen Motiven eine Übermacht anzugreifen wie der von Franco Nero dargestellte Revolverheld "Django".
Auch Sergio Corbucci weigerte sich zuerst, eine Story zu verfilmen, deren Entstehung nicht zufällig auf Ugo Pirro zurückging, einem der wichtigsten Autoren des italienischen Politkinos, der mehrere Drehbücher zu Filmen Elio Petris schrieb, darunter "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung, 1967) und "Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger), für den er eine Oscar-Nominierung erhielt. Von ihm stammt auch die Grundlage zu dem politischen Manifest "Documenti su Giuseppe Pinelli" (1970) aus Anlass des Todes des Anarchisten, dass auch von Sergio Corbucci unterzeichnet wurde. Im Gegensatz zu dem politisch wenig relevanten "Django", lässt sich an "Navajo Joe" erstmals eine gesellschaftskritische Ausrichtung erkennen, die für Corbuccis folgende Western signifikant wurde.
Trotz der von Ugo Pirro verantworteten Grundlage, für den es der einzige Ausflug ins Western-Fach blieb, verfügt "Navajo Joe" über alle wesentlichen Merkmale des Genres, nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit Fernando Di Leo, mit dem Corbucci auch die in "Django" eingeführte kompromisslose, pessimistische Haltung weiter entwickelte. Wie weit der Mythos "Django" inzwischen über dem tatsächlichen Film schwebt, wird daran deutlich, dass diese Weiterentwicklung in vielen Kritiken an Corbuccis Werk nicht erkannt wird, sondern im Gegenteil "Django" als härter, konsequenter und nihilistisch angelegter gilt - eine These, die einem genauen Vergleich nicht standhält.
Einzig die Optik des schwarz gekleideten Pistolero, der - einen Sarg hinter sich herziehend - in einer dreckig, schlammigen Umgebung gegen seine Gegner antritt, scheint diese Meinung zu bestätigen, aber das täuscht darüber hinweg, dass es unter der gleißenden Sonne in "Navajo Joe" wesentlich kompromissloser zugeht. Während "Django" zu Beginn einer Frau das Leben rettet, tötet und skalpiert Duncan (Aldo Sambrell) eine Indianerfrau, ohne das Joe (Burt Reynolds), der dessen Gang schon einige Zeit folgt, eingreift. Nur einmal wird er zur Rettung eines Menschen ein persönliches Risiko eingehen, während in "Django" kaum ein Sympathieträger Schaden erleidet. Außer den Mitgliedern einer fahrenden Tanzgruppe und der Halbindianerin Estella (Nicoletta Machiavelli) kann in "Navajo Joe" auch nicht von sympathischen Menschen gesprochen werden, denn anders als in "Django" wird der Protagonist mit einer Bürgerschaft konfrontiert, die von Anpassung, Feigheit und Egoismus geprägt wird, und ihm mit unverhohlenem Rassismus gegenüber tritt.
"Navajo Joe" fehlt noch die Konzentration auf das Wesentliche wie sie Corbucci in "Il grande silenzio" gelang, etwa wenn er die Machenschaften von Duncans Gang in der Kleinstadt zu lange auswalzt. Dass diese erst nach Joes Flucht beginnt, die Bürger systematisch hinzurichten, obwohl diese Vorgehensweise gegenüber dem Indianer effektiver gewesen wäre, wirkt konstruiert, aber gleichzeitig gelingen dem Film kurze eindrucksvolle Momente, deren Gewalt nicht durch Plakativität geprägt ist. Etwa wenn der Arzt Dr.Lynne (Pierre Cressoy) kaltblütig die einzige Zeugin ermordet, die ihn als Verbrecher entlarven könnte, dabei das positive Image des Lebensretters missbrauchend, oder wenn Duncan den Priester (Fernando Rey) erschießt, nachdem dieser ihm zuvor gedankt hatte, sie verschont zu haben.
Auch in "Django" stirbt ein Geistlicher, aber bei ihm handelt es sich um einen bigotten Fanatiker, während dieser in "Navajo Joe" noch zu den gemäßigteren Zeitgenossen gehört. Darin zeigt sich auch der Unterschied in der Charakterisierung der Verbrecher, denn während es sich bei "Django" um einseitig gezeichnete machtgierige und sadistische Banditen handelt, die in Ku-Klux-Clan-Optik Jagd auf anonym bleibende Mexikaner machen, wird an dem Bandenboss Duncan deutlich, dass er Opfer seines eigenen rassistischen Hasses wurde, dem er als Halbblut selbst ausgesetzt war. Trotz dieser etwas differenzierteren Betrachtungsweise, handeln die Banditen in „Navajo Joe“ noch kompromissloser als in "Django", etwa wenn sie ohne Skrupel Frauen erschießen.
Der entscheidende Unterschied, der zu der ungerechtfertigten Unterschätzung des Films führte, liegt aber in der Gestaltung der Hauptfigur. Joe, von Burt Reynolds athletisch, aber ohne jedes emotionale Zugeständnis angelegt, bietet sich nicht als Identifikationsfigur an. Seine Intention bleibt bis zum Ende offen, seine Sprüche sind weder cool, noch amüsant, sondern knapp gehalten. Wenn er – wie in dem Moment, als er dem Sheriff erklärt, warum er im Gegensatz zu ihm ein wahrer Amerikaner ist – ausnahmsweise einmal mehr redet, bleibt er von großer Ernsthaftigkeit. Auch in „Navajo Joe“ gibt es viele typische, sehr unterhaltende Momente des Italo-Western, wird der Kampf des Einzelnen gegen eine große Übermacht entsprechend stilisiert, aber die Figur des Indianers bleibt immer differenziert und in ihrem Verhalten zwiespältig. Dagegen ist „Django“ trotz seiner harten Optik ein Softie, dessen Aktionen märtyrerhafte Züge annehmen und dem ein positives Ende gegönnt wird.
Begleitet von Ennio Morricones rhythmisch gehaltener Musik, bleibt Sergio Corbucci in „Navajo Joe“ dagegen bis zum Ende pragmatisch, ohne Zugeständnisse an pathetische Gefühle, womit er schon den Weg in Richtung „Il grande silenzio“ einschlug. Dass „Django“ der erfolgreichere, wesentlich populärere Film wurde, zudem stilbildend für das Italo-Western-Genre, ist wenig erstaunlich - „Navajo Joe“ war für Corbucci in seiner differenzierten, gesellschaftskritischen Gestaltung trotzdem ein qualitativer Fortschritt (8/10).