Ich versinke inzwischen schon in, zugegeben fast blinde, Ehrfurcht, wenn Filmlegende Clint Eastwood im hohen Alter mal wieder einen Film fertiggestellt hat. Qualität und Erfolg beißen sich bei ihm nicht, sie sind eine Selbstverständlichkeit. Mit selbstbewusster Souveränität versteht er es immer wieder sich zwischen Effekt- und Remakekino durchzusetzen. Auf seinen immerhin mit zwei Oscars ausgezeichneten „Mystic River“ folgt nun „Million Dollar Baby“, der gleich vier der begehrten Trophäen für sich vereinnahmte und die magische 100 Millionen Dollar – Marke am amerikanischen Boxoffice durchbrach. Wünschen wir uns noch eine lange Schaffenszeit von ihm, denn ohne ihn wird dem Film ganz sicher etwas fehlen.
Das Drehbuch von Paul Haggis, der mit seinem Drama „Crash“ jüngst für Furore sorgte, hat nichts Außergewöhnliches an sich, erfindet sein Genre auch nicht neu, wartet jedoch mit einer tiefschürfenden Philosophie auf, die den Boxsport mit dem Leben vergleicht: Den ewigen Kampf um Anerkennung, Hab und Gut, die Selbstverwirklichung, das Schein und das Sein und das Achten auf die Deckung, nicht zuviel zu riskieren, aber auch nicht zurückzustecken. Beim Boxen und im Leben wird ein schmaler Grat beschritten, der den Untergang besiegeln und den Traum erfüllen kann. Für diese kommentierenden Monologe, die den Film immer wieder analysierend begleiten, holte sich Clint Eastwood 12 Jahre nach „Unforgiven“ wieder Morgan Freeman („Se7en“, „Danny the Dog“) ans Set. Die beiden alten Herren (Eastwood: 74 / Freeman: 67) gemeinsam vor der Kamera stehen zu sehen, erzeugt pure Gänsehaut, denn sie spielen brillant.
Erzählt wird hier von Frankie Dunn (Eastwood). Der altgewordene Boxtrainer hält sich mit seiner Schule über Wasser und hat auch ein vielversprechendes Talent im Stall, das unlängst einen Meisterschaftskampf verdient hätte. Doch Frankie zögert diesen alles entscheidenden Kampf hinaus, scheut das Risiko, weil er sich einen längst vergangenen Fehler nicht verzeihen kann und verliert damit seinen Zuchtbullen, dem die Zeit davon läuft, an einen geschäftstüchtigeren Manager.
Als sich ihm die 31jährige Maggie Fitzgerald (Hilary Swank, „Boys Don't Cry“, „The Core“) vor die Füße wirft und ihn bittet sie zu trainieren, lehnt er ab. Frankie trainiert keine Frauen. Erst recht nicht, wenn sie schon bereits so alt sind. Erst als Eddie „Scrap-Iron“ Dupris (Freeman) Maggie heimlich unterstützt und Frankie vor Augen führt, wie versessen diese Frau, die sonst nichts im Leben hat, auf diesen Sport ist, willigt Frankie ein. Ihm wiederstrebt die Sache, doch sie schließen einen Deal. Dabei wächst die Frau ihm mehr ans Herz, als ihm lieb ist, denn sie haben etwas gemeinsam: Einsamkeit. Ihre Familien kehrte ihnen den Rücken und verstehen sie nicht.
Die zarte Vater/Tochter – Beziehung soll aus der gemeinsamen Boxleidenschaft über ein gemeinsames, sportliches vor allem alle Sorgen vergessen machendes Hoch zu einem dramatischen Ende führen, das den erst zynischen und später verbitterten Frankie vor eine folgenschwere Wahl stellt. Zurückgefallen in seine Trauer, muss er allein entscheiden, ob er einer lebensverneinenden Bitte nachkommt...
„Million Dollar Baby“ ist ganz harter Tobak. Hier erwarten den Zuschauer keine fetzigen Trainingseinheiten a la „Rocky“ oder grandios abgefeierte Siege a la „Ali“. Die ausgeblichenen Bilder sind düster ausgeleuchtet. Über dem gesamten Film liegen Trauer und eine bedrückende Optik, die dem Zuschauer an die Nieren geht. Eastwood weiß wie man inszeniert, um die Gefühle seines Publikums zu stimulieren und reizt die Möglichkeiten hier voll aus: Ruhige Dialoge, eine minimalistische Kameraführung, punktgenaue Aussagen und die gewohnte Souveränität.
Je älter Clint Eastwood wird, desto besser spielt er. Seit „Unforgiven“ sah man ihn nicht mehr so gut. Er ist in das Alter gereift, wo er diesen gebrochenen Mann, der sich selbst nicht verzeihen kann, weil er sich (unter anderem) für das verlorene Auge seines ehemaligen Schützling Eddie verantwortlich fühlt. Jede Woche besucht er die Kirche und sucht Vergebung für seine Missetaten. Seine Tochter spricht schon seit Jahren nicht mehr mit ihm. Um diese Tragik seiner Figur dem Zuschauer näher zu bringen, benötigt der nuanciert aufspielende Eastwood gar keine großartigen Gesten. Da reicht ein Blick oder ein paar knappe Worte. Sein Charisma macht ihn aus.
Der Film geht lange Zeit abseits des Ringes unter die Haut, bevor er in den letzten 30 Minuten eine tragische Wende nimmt. Ohne überschäumendem Pathos und mit auch nur so vielen Klischees wie nötig, zeichnet Eastwood sehr ausführliche Charakterportraits von Schüler und Meister. Maggie eilt unter Frankie, der sie erst kühl abschiebt, dann aber doch wieder unter seine Fittiche nimmt, von Sieg zu Sieg und zwar meist in der ersten Runde, nur im Leben selbst soll sie nicht so erfolgreich sein und das verbindet sie mit Frankie.
Ihre Familie hat nicht viel übrig für sie und lebt von der Sozialfürsorge, als sie ihnen ein Haus kauft, heißt es nur „Warum hast du uns nicht das Geld gegeben?“. Sie verstehen ihre Tochter beziehungsweise ihre Schwester nicht, fordern sie auf mit dem Quatsch aufzuhören und sich einen Mann zu suchen, doch Maggie glaubt an ihren Traum, zumal Boxen das einzige ist, was ihr je Spaß gemacht hat.
Grundsätzlich bekommt man es hier mit Menschen zu tun, die ihr Leben verpfuscht haben oder schon verpfuschen und sich mit so vielen Sorgen beladen, dass Unbeschwertheit längst ein Fremdwort für sie geworden ist. Einzig und allein ein zurückgebliebener Schüler, gänzlich ohne Talent, trainiert täglich in Frankies Halle – mit einem Traum vor Augen.
Seine omnipräsente, depressive Grundhaltung macht es „Million Dollar Baby“ leicht auf emotionaler Ebene wuchtig zum Zuschauer vorzudringen. Die unterdrückten Gefühle und ausgeträumte Träume dringen tief in das Gemüt ein.
Nicht unerwähnt bleiben darf dabei natürlich nicht Hilary Swank, die mit 30 Jahren nun dank ihrer Performance hierbei bereits auf den zweiten Oscar stolz sein kann und vor allem in der letzten halben Stunde unter die Haut fährt. Das intensive Boxtraining hat sich ausgezahlt. Ohne großartigen Respekt oder Ehrfurcht vor den beiden gestandenen Haudegen Eastwood und Freeman zu zeigen, ist sie ihnen durchaus ebenbürtig, weil sie den Mittelweg zwischen enthusiastischer Boxerin und bemitleidenswerten, perspektivlosen Frau ungeheuer einfühlsam beschreitet. Die spätere Honorierung erfolgte zurecht und macht solche Filme wie „The Core“ ganz schnell wieder vergessen.
Als reines Sportlerdrama darf man „Million Dollar Baby“ während seiner Laufzeit von knapp über zwei Stunden nie ansehen. Zwar sind die Kämpfe im Ring gut choreographiert mitreißend und voller Blut, Schweiß und überkochenden Emotionen, doch im eigentlich sind sie nur schmuckes Beiwerk in einem Drama, das sich nicht dem Sport sondern seinen Protagonisten verschreibt. Insbesondere der Schluss, der dann doch ein wenig zu dick aufträgt und wie ein Unwetter die Hiobsbotschaften beziehungsweise Hiobsbesuche über die Beteiligten hineinbrechen lässt, sind schwer verdaulich und nicht mehr auf den Sport selbst zurückzuführen, auch wenn er letztlich der Verursacher war.
Fazit:
Bewegendes Drama mit drei hervorragenden Darstellern, womit „Million Dollar Baby“, wie von Eastwood nun schon fast gewohnt, erstklassiges Schauspielerkino darstellt. Paul Haggis vermochte aus der Vorlage von F.X. Toole eine emotionale Wucht zu destillieren, die Eastwood letztlich auch filmisch adäquat umsetzen konnte. Seine Tragik hebt den Film von seinen oft sich einfältig entwickelnden Boxkollegen ab.Sein böses Ende nimmt der Film dann würdevoll, auch wenn für meinen Geschmack etwas zu dick aufgetragen wird. Dennoch ein runterziehendes, klassisches Stück Film, wie man es immer seltener und wenn, dann immer von den selben Könnern, zu sehen bekommt. Ein paar Mankos sind offensichtlich, denn die Geschichte ist eigentlich schon etwas zu abgenutzt, aber auch in einigen Szenen widersprüchlich und in Bezug auf Zuschauerreaktionen etwas zu berechnend, aber zumindest ich kann in dieser Hinsicht dem Film nicht wirklich böse sein.