„Der Teufel denkt nicht daran, sich zu verstecken!“
Nach der ebenso schockierenden wie erfolgreichen Okkult-Horror-Referenz „Der Exorzist“ von William Friedkin sah sich natürlich die italienische Plagiatskino-Maschinerie inspiriert, das Konzept aufzugreifen und auf der Besessenheits-Horrorwelle mitzuschwimmen. Zu den dreistesten, aber auch gelungensten Italo-Rip-Offs zählt dabei mit Sicherheit Genrefilmer Alberto De Martinos („Puma Man“) „Der Antichrist“, auch bekannt als „Schwarze Messe der Dämonen“ oder „The Tempter“, der 1974, also im Jahr eins nach Friedkins „Exorzist“, in die Kinos kam.
„Sie schloss sich einer Satanssekte an. Sie war zu allem bereit. Sie wollte weiter nichts als Freiheit und Liebe. Eine tragische Figur, die Mitleid verdient.“
Als Ippolita (Carla Gravina, „Tödlicher Hass“) zwölf Jahre alt war, starb ihre Mutter bei einem Autounfall. Seitdem ist sie an den Rollstuhl gefesselt und sehr unglücklich. Ihr Vater (Mel Ferrer, „Die Killermafia“) hat sich eine junge neue Freundin (Anita Strindberg, „Der Schwanz des Skorpions“) gesucht, auf die sie mit Eifersucht reagiert. Als sie als junge Frau zudem Anzeichen von dämonischer Besessenheit entwickelt, versetzt sie ein Psychologe (Umberto Orsini, „Der Mann ohne Gedächtnis“) in Hypnose und findet heraus, dass sie die Reinkarnation einer vor 400 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannten Ketzerin ist. Ihr Zustand verschlimmert sich, gleichzeitig entwickelt sie übernatürliche Kräfte. Sie beginnt, ihre Familie zu terrorisieren Obwohl sich ihr Vater lange dagegen wehrt, weiß man schließlich keinen schulmedizinischen Rat mehr und lässt sich auf einen Exorzismusversuch ein…
Nach einem fiebrigen Beginn mit irren Szenen religiöser Riten entwickelt De Martino in behäbigem Tempo seine Geschichte, statt gleich auf die Exploitation-Tube zu drücken. Dadurch gewinnen die Charaktere an Profil und wird der Zuschauer trotz unmissverständlich nahenden Unheils gewisserweise in trügerischer Sicherheit gewogen. Dieser kann sich an der ordentlichen Darstellerriege und vor allem dem prunkvollen, herrschaftlichen Ambiente erfreuen, das in Richtung Gothic-Horror tendiert und atmosphärische Zeichen setzt. Schließlich jedoch beginnen die Ereignisse sich zu überschlagen, urplötzlich kann Ippolita wieder gehen, vergisst sie die Etikette und schlingt am Esstisch, stößt unvergleichliche Schimpfkanonaden aus, spricht mit fremder Stimme, versetzt das Zimmer in Bewegung und bekommt Schaum vorm Mund. Auf diesen großartig inszenierten Besessenheitsausbruch musste man länger warten, doch es hat sich gelohnt. Bei einem laienhaften ersten Exorzismus-Versuch schwebt sie durchs Fenster und wieder zurück, zaubert glühende Kohlen und eine Würgehand herbei, verhöhnt den Wunderheiler (Mario Scaccia, „Schade, daß Du eine Kanaille bist“) und zwingt ihn, grüne Kotze zu lecken.
Ihr Vater sieht sich nun gezwungen, Opfer zu bringen und beendet die Liaison mit seiner Freundin, was Ippolita jedoch mittlerweile einen feuchten Kehricht interessiert: Sie prügelt und beschimpft ihn, stranguliert ihn per Telekinese. Dass sie inzwischen immer fertiger aussieht, hält sie nicht davon ab, ihren Bruder Filipo (Remo Girone, „Der Aufstieg des Paten“) sexuell zu belästigen. Als Nächster versucht sich ihr Onkel (Arthur Kennedy, „Die Viper“), ein eher glaubensschwacher Priester, an einem Exorzismus, doch der Teufel wehrt sich und Onkelchen bleibt erfolglos. Nun ist klar: Ein Profi muss her, da beißt die Maus keinen Faden ab. Man beauftragt einen österreichischen Bettelmönch (George Coulouris, „Mord im Orientexpress“), der sich mit tanzenden Möbeln, einem regelrechten Orkan, Regen mitten im Haus und entfachtem Feuer konfrontiert sieht. Ippolita bzw. das, was von ihr Besitz ergriffen hat, spuckt grünen Schleim und wird immer entstellter. Erst ist sie plötzlich doppelt da, dann rennt sie weg, doch man ist ihr auf den Fersen…
Wie bereits eingangs erwähnt, handelt es sich um ein unschwer als solches zu identifizierendes „Der Exorzist“-Rip-Off, das jedoch sorgfältig eigene Ideen einpflegt und sich an den Schlüsselmomenten des Vorbilds orientiert, die es bisweilen fast 1:1 kopiert, oft genug jedoch mittels eigener Ideen gekonnt variiert. Das Umfeld ist dann auch ein ganz eigenes, ebenso individuell sind die Charaktere, lediglich das Kernstück aus Friedkins Film blieb erhalten. Eine Produktion aus der Diskont-Ecke ist „Der Antichrist“ dann auch augenscheinlich keinesfalls, die Ausstattung kann sich ebenso sehen lassen wie die Make-up-Arbeit und Aristide Massaccesis (alias Joe D’Amato) hervorragende Kameraarbeit, die das Potential dieses Mannes beweist. An den Spezialeffekten hat der Zahn der Zeit etwas genagt, doch funktionieren sie noch immer prima, in Kombination mit Ippolitas krudem Gebaren verfehlen sie ihre Schock- und Ekelwirkung nicht – wo der Horrorfaktor nicht ganz mit Regan mithalten kann, wird eben auf zusätzliche Übertreibung gesetzt, so dass De Martinos Film herrlich obszön, schmuddelig (inkl. Masturbationsszene) und blasphemisch ausgefallen ist. Die ausführliche Exposition mag ihre Längen haben und hätte etwas Straffung hinsichtlich der Dialoge und des Schnitts sicherlich vertragen, aber De Martino beweist durchaus Gespür für die psychologische Komponente, die zunächst nur diffuse, latente okkulte Bedrohung und langsame Entfaltung der Handlung sowie ihrer Zuspitzung. Neben dem Prolog lockert eine Rückblende in das Leben Ippolita seniors die Szenerie wunderbar auf und sorgt für Tapetenwechsel. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist das eines geköpften Reptils und ebenso kopflos schien man beim Entwurf der finalen Pointe gewesen zu sein, denn das Ende fällt in seiner unspektakulären Art doch stark ab – hier hätte es gern noch etwas mehr sein dürfen, gern auch eine Rückkehr zum psychologischen Aspekt der körperlich eigentlich gesunden, dennoch gelähmten und unter Ängsten und wenig Selbstvertrauen leidenden Ippolita.
Das Ensemble von internationalem Format lässt sich überraschenderweise bisweilen von der aufdrehenden Carla Gravina an die Wand spielen, der zuzusehen als Okkult-Horror-Freund die reinste Wonne ist. Untermalt wird die dämonische Szenerie von Musik aus den Federn Morricones und Nicolais, die Kirchenorgeln mit experimentell anmutenden Streicherklängen etc. paaren und dem Wahnsinn Ippolitas akustisch Ausdruck verleihen. Ja, in dieser Form macht das vielgescholtene „italienische Plagiatskino“ mächtig Spaß, weshalb „Der Antichrist“ kurzum in jede anständige Horror-Sammlung gehört! Und für diejenigen, die nie mit den offiziellen „Der Exorzist“-Fortsetzungen warm geworden sind, ist dies hier evtl. gar der Film, den man sich als zweiten Teil gewünscht hätte.