Ich bin nun wirklich kein großer Opernfan. Wenn ich es mir jetzt dennoch in den Kopf setze, Opernkritiken zu schreiben, so kann und soll mich daran auch niemand hindern. Nichtsdestotrotz müsste ich wohl damit rechnen, dass meine Kritiken doch von arger Unkenntnis der Materie geprägt und somit etablierten Opernbesuchern keine große Hilfe wären.
Nun, dasselbe Phänomen darf ich nun schon seit geraumer Zeit bei den Comicverfilmungen beobachten. Diverse Magazine setzen ihre Redakteure auf Filme an, deren Ursprung ihnen meist völlig unbekannt ist. Zu wissen, dass Bruce Banner groß und grün wird, wenn er sich ärgert, reicht nicht aus, um einen Film wie HULK adäquat zu bewerten.
Und nun ELEKTRA. Ausser der Tatsache, dass dieser Film ein quasi-Spin-Off zu DAREDEVIL ist, fällt vielen Kritikern nichts dazu ein. Sie wundern sich über Elektras Auferstehung, kritteln an der mangelnden Dramaturgie herum oder vermissen den "sense of wonder" von Spider-Man. Ja, da kann ich es nur wiederholen: Um so etwas beurteilen zu können, sollte man wenigstens mal in die Comics hineingeschaut haben.
Elektras Rückkehr ins Reich der Lebenden ist auch im Comic ein wichtiger Mosaikstein. Ihre Wiederbelebung ist also kein Drehbuchkniff, um mit einer populären Figur noch einmal abzukassieren, sondern eine werkgetreue Weiterführung des Charakters (mit dem man dann abkassieren kann, hüstel). Zwar sind die Umstände ihrer Auferstehung im Vergleich zur Vorlage abgeändert worden, aber man sollte nicht vergessen, dass in so einem Film diverse Hefte unterschiedlicher Künstler gebündelt werden, dramaturgisch sinnvolle Änderungen also unumgänglich sind. Zudem, warum überhaupt eine Adaption, wenn man nichts ändern darf? Dann wären die X-Men tatsächlich in gelb-blauem Latex über die Leinwand geturnt, Peter Parker hätte sich erst mühevoll Netzdüsen zimmern müssen und der Hulk wäre grau gewesen. Muss ja nicht sein.
Zur Dramaturgie des Films lässt sich mit einem erneuten Verweis auf das Original sagen, dass Elektra nie der lustigste, flotteste und "zack!bumm!puff!"-igste Marvel Comic war, atemberaubende Kämpfe Elektras mit ihren Gegnern immer Elektras inneren Kämpfen hinten anstanden. Insofern großes Lob an alle Beteiligten, sich auch gegen die Gewohnheit heutiger Actionfilme die Zeit zu nehmen, Elektras Schmerz und damit auch Antrieb zu erklären. Wohin motivationslose Helden führen, haben uns RIDDICK und VAN HELSING ja bewiesen. Ins Desinteresse. Nein, dann lieber eine anständige Charakterisierung.
Und da hat der Film mit Jennifer Garner die Richtige an der Hand. Man nimmt ihr die Killermaschine mit Herz einfach ab, mehr noch als in DAREDEVIL versteht sie es allein durch ihre physische Präsenz, Akzente zu setzen und eine faszinierende Comic-Figur lebendig werden zu lassen.
Auch Terence Stamp darf einen glaubwürdigen Mentor verkörpern, der einem trotz weniger Szenen im Gedächtnis bleibt. Der Rest des Ensembles fügt sich perfekt ein, speziell die Killer der "Hand" dürften jedem, der Colin Farells Bullseye ein wenig zu extrem fand, gefallen.
Sie sind es dann auch, die für die Effekte in diesem Film zuständig sind: Ob nun Tattoos lebendige Hautbilder oder Typhoids Fäulnis, die Effekte sind durch die Bank überzeugend, ohne sich dem Zuschauer aufzudrängen. Klasse.
Also: Wer damit rechnet, dass die Action in diesem Film eher die Dreingabe ist, wer Comicverfilmungen generell schätzt oder wer den wohl eindrucksvollsten "Kuss des Todes" überhaupt sehen will, der schaue sich ELEKTRA an. Oder geht lieber in die Oper.