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Gegen Ende von Hollywoods goldener Musicalfilm-Ära brachte Disney noch eines der berühmtesten, erfolgreichsten und tatsächlich liebenswertesten Musicals heraus, das bis heute noch Jung und Alt begeistern kann: „Mary Poppins". Die enorm aufwendige Produktion überwältigt selbst Zuschauer, die moderne Effektgewitter gewohnt sind, mit unendlicher Fantasie und grandiosen Spezialeffekten.

Diese technischen Errungenschaften sind dann auch der wahre Höhepunkt des über zweistündigen Films: ob grandiose mechanische Effekte, wenn sich das Kinderzimmer scheinbar per Fingerschnippen und Gesang von selbst aufräumt, filmische Tricks wie Überblendungen oder schnelles Rückwärtsabspulen einzelner Bildteile, oder die legendäre Sequenz, in der Kindermädchen Poppins mit ihrem Freund Bert und den beiden Kindern in ein gemaltes Bild hineinsteigt und sich singend, tanzend und reitend durch eine idyllische Zeichentrickwelt bewegt. Diese brillante Vermischung von Real- und Zeichentrickaufnahmen ist ein solch vollendetes Meisterstück, dass selbst 20 bis 30 Jahre später entstandene Filme wie „Falsches Spiel mit Roger Rabbit" oder „Space Jam" nicht überzeugender wirken.

Neben diesen rein technischen Aspekten, die „Mary Poppins" vollkommen verdientermaßen den Oscar für die besten Spezialeffekte einbrachten, begeistert der Film auch mit seiner zutiefst herzlichen, kindgerechten, dabei aber niemals stupiden Art, die Fantasie und Freudefähigkeit junger Geister gegen die verstockte Moral der erwachsenen Gesellschaft auszuspielen. Auf Augenhöhe mit den jungen Zuschauern wird hier ein Gegenentwurf zu strengen Erziehungsmethoden vergangener Jahrzehnte entworfen, ohne mit dem Finger auf böse Erwachsene zu zeigen. Stattdessen wird der strenge Vater selbst als im Kern unsicherer Mensch porträtiert, der sich in einer patriachalischen Leistungsgesellschaft im Gegensatz zu den Kindern an niemanden um Hilfe wenden kann und darüber die Schönheiten des Lebens aus den Augen verliert. Eine so subtile und einfühlsame Kritik an überkommenen Gesellschaftszuständen sucht man in vielen Kinder- und Familienfilmen vergebens.

Die große Intensität des Films und seiner verrückten, liebevoll durchgeknallten Geschichte verdankt sich natürlich auch dem tollen Cast. Julie Andrews brilliert in ihrer Rolle als selbstbewusste, ebenso zielgerichtete wie nachgiebige Erzieherin, die sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen mit Charme und Ausdrucksstärke nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Aber auch sämtliche Nebenfiguren überzeugen mit leicht übertriebenem, fröhlichem Spiel.

Dass „Mary Poppins" musikalisch bis auf wenige Ausnahmen hinter so manchen anderen berühmten Filmmusicals zurückbleibt, fällt da beinahe nicht ins Gewicht - bis jedenfalls ins letzte Filmdrittel, wo die ausufernden, aber leider nicht allzu mitreißenden Songs dann doch ein wenig die Story ausbremsen. Auch bleibt die finale Auflösung trotz der zahlreichen anarchischen Elemente doch der Logik der westlichen Kapitalismusgesellschaft verhaftet. Und welche Rolle nun eigentlich die Mutter spielen soll, die ständig von ihrem Suffragetten-Einsatz faselt, dann aber ihrem Mann untergeben gehorcht, ist bei genauerem Blick doch etwas fragwürdig.

Nichtsdestotrotz hat Disney mit „Mary Poppins" einen Klassiker für die Ewigkeit geschaffen, der mit farbenfrohen, spektakulären Bildern und zutiefst liebenswürdigen Figuren ein Plädoyer für die grenzenlose Kraft kindlicher Fantasie und Unbeschwertheit entwirft. Und der vor allem angenehmerweise mal ein Kinderfilm ist, der nicht schon den Kleinen eine Gut-gegen-Böse-Geschichte erzählt, in der ihnen eingetrichtert werden soll, dass Leistung und Kampf ach so wichtig seien. Ganz im Gegenteil - hier wird die Unschuld und schiere Schönheit des Kindseins gefeiert. Auch für Erwachsene dürfte das ein Grund sein, sich dieses Meisterwerk des öfteren anzusehen.

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