Review

Nach zwei Beiträgen aus seiner beabsichtigten Trilogie der „Drei Mütter“, „Suspiria“ und „Inferno“ wandte sich Argento 1982 zu ersten Mal seit sieben Jahren wieder dem Giallo zu.
Das bedeutete, Abkehr vom Übernatürlichen und wieder Hinwendung zu den klassischen Thrillermotiven und Slashertableaus.

Mit „Profondo Rosso“ hatte er einen Meilenstein des Genres geschaffen, nachdem er seine Künste zuvor mit jedem Film verfeinert hatte, jetzt konnte Argento aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpfen.
Und er verband in „Tenebre“ (Finsternis) alle Elemente, die man allgemein von einem Giallo erwarten konnte, den Besucher aus dem Ausland, der durch Zufall in eine Mordaffäre gerät, die ihn bald schon persönlich betrifft; die expliziten, aus subjektiver Sicht gefilmten Morde, die sexualisierten Todesarten durch Stich- oder Schnittwaffen; das über die Filmlänge vergessene Element, das für die Aufklärung wichtig ist; die Dopplung bei der Täterfrage; das Motiv aus der Vergangenheit des Täters.

Eine zusätzliche Ebene fügte Argento an, indem er die Hauptfigur nicht zum zufällig Hineinstolpernden machte, sondern zum Zentrum der Morde. Der Mörder hat es nämlich auf den Thrillerautor Peter McNeal abgesehen, der seinen (titelgebenden) Roman in Italien promoten möchte. Die im Buch verwandten Morde werden gegen einige Personen in McNeals Umgebung angewandt, eine sexuell pervertierte Form der Schizophrenie.
Das sich noch eine weitere, unerwartete Dopplungs- bzw. Täuschungsebene in der Handlung befindet, wird erst der Showdown zeigen.

Leider ist, abgesehen von dem finalen Twist, „Tenebre“ erzählerisch längst nicht so reichhaltig und abwechslungsreich wie die bisherigen Giallos Argentos. Statt den Fall reichlicher und damit verworrener zu machen, geht „Tenebre“ mehr und mehr in die Breite, um den Zuschauer zu irritieren, bzw. durch die relativ groß ausgelegten Mordsequenzen (und deren Vorbereitung) abzulenken.

Visuell bietet der Film dennoch einiges, das Isolationsmotiv ist wieder sehr stark ausgeprägt, ob nun zwei Frauen in einem Haus angegriffen werden; eine Frau bei Nacht erst von Hunden und dann vom Täter durch Gärten verfolgt wird oder eine Figur tatsächlich auf einem bevölkerten Platz bei Tageslicht angegriffen wird.
Die Gewalt ist dabei relativ graphisch, Argento lässt mehrfach zur Axt greifen und krönt das mit einer kontrastreichen Mordszene, in der einer Figur der Arm abgetrennt wird und das sprudelnde Blut an der Wand verteilt den bisher fast klinisch weißen Hintergrund einfärbt.
In einer anderen Sequenz lässt der Regisseur ohne Schnitt eine Kamera an einer Hausfassade hoch, über das Dach und auf der gegenüberliegenden Seite wieder herunter gleiten, allein dieses Bonbon den halben Film wert.

Aber so visuell beeindruckend der Stil auch ist, hier wird Mord zur Kunstform erhoben und das geht auf Kosten des Inhalts – „Tenebre“ wirkt so ungewohnt steril und künstlich und nicht so abgründig verspielt wie „Profondo Rosso“, der einige komische Sequenzen hatte.
Die Opfer erscheinen selten in den Gesamtzusammenhang integriert, sondern tauchen bisweilen zum Mord zum ersten Mal auf, haben sonst kaum eine Funktion in der laufenden Handlung, die mehrfach immer wieder neu aufgenommen werden muß, weil das Ziel an sich stets verschwommen bleibt – ein weiterer Nachteil der finalen Pointe.

So ist „Tenebre“ zwar ein Musterbeispiel für die Elemente und Mechanismen des Giallos und enthält gut durchkomponierte Tableaus, macht jedoch selten wirklich Spaß, sondern wirkt so unpersönlich durch eine gewisse 80er-Sterilität – es mangelt schlichtweg an einer Sympathiefigur, die durchgängig den Zuschauer begleitet.
Ein Film, den man zitiert – kein Film, den man liebt. (7/10)

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