Eine der schönsten Vorweihnachtsüberraschungen, die mir das Filmjahr 2005 (Prädikat: eher mäßig) gemacht hat, ist sicherlich „Kiss Kiss Bang Bang“, die Übernahme des Regiestuhls durch Shane Black, der nach einigen Flops lange in der Versenkung verschwunden war und bisher durch geniale Drehbücher auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Offenbar hat alles, was sich in Jahren in dem Autor angestaut hatte, Platz in einem überbordenen Drehbuch gefunden und bricht sich nun seine Bahn, ohne Rücksicht auf Verluste. Der fertige Film läuft dementsprechend fast über, hat man das Gefühl und es ist eins der wenigen Beispiele, bei denen so etwas irgendwie gelungen ist.
Und das Sujet ist Risiko deluxe: Black, Fachmann für skurile Charaktere in übersteigerten Old-School-Action-Themen, versucht sich hier an einer Mischung aus schwarzer Komödie, modernem Film-Noir und Zitate-Potpourri, die die Nähe zu postmodernen und populären Werken wie „Snatch“ oder „Pulp Fiction“ nicht scheuen, aber ihrem ureigensten Kompass folgen.
Schon das Casting offenbart den Sinn für das Risiko, denn in den Hauptrollen treten zwei der meistengehaßten bis meistgefürchteten Mimen Hollywoods an. Einerseits Robert Downey jr., für den immer noch nur Versicherungen eintreten, die Prämien in Budgethöhe anrechnen, weil der Drogenkonsum ihres Versicherungsobjekts in der Vergangenheit in üppige Höhen stieg, andererseits Val Kilmer, der durch seine indivduelle Art und Arbeitsweise nicht nur so manchen Regisseur den guten Willen gekostet hat, sondern der auch noch als pures Kassengift herüberkommt.
Black teilt die Boni dabei in zwei saubere Teile: während Downey Hauptfigur und Erzähler ist, räumt Kilmer als schwuler Privatdetektiv den höheren Skurilitätsfaktor ab.
Dabei wird die Geschichte fast nebensächlich, wenn man sich vom Strom der Handlung einfach mitreißen lässt, denn es stürmt in einem Tempo alles auf den Zuschauer ein, dass der nur eins machen muß: einfach mal loslassen! Dann kann man sich gepflegt amüsieren.
Sanft und pointiert begleitet vom Off-Kommentar Downeys folgen wir seinem Werdegang: als Dieb von der Polizei verfolgt, gerät er in ein Casting und überzeugt dort den wartenden Agenten, um sofort nach Hollywood verschifft zu werden und Probeaufnahmen zu machen, zu denen auch ein Training bei einem Privatschnüffler gehört, in Gestalt von „Gay“ Perry.
Alsbald stolpern die beiden über allerlei Leichen, ein Mordkomplott, eine Verschwörung und eine alte Schulfreundin von Harry. Angetrieben von den Methoden, Theorien und Mechanismen alter Hardboiled-Detektiv-Romane versuchen sie Licht ins Dunkel zu bringen, weil bekanntlich ja immer alles zusammengehört, was zunächst völlig voneinander getrennt scheint.
Wie Billardkugeln wird der arme Harry durch die Geschichte gekegelt, stets kurz davor, auszusteigen und abzureisen, um dann doch einem neuen Fingerzeig nachzugehen. Black lässt seine Charaktere dabei mit den wesentlichen Elementen berühmter Vorbilder (die einzelnen Filmkapitel tragen dann auch Namen von Romanen Raymond Chandlers) spielen, sie durchleuchten und auf den Kopf zu stellen, wenn nicht pointiert von ihnen ausgebremst zu werden.
Die Tatsache, dass man Harrys Beharrlichkeit ständig unterschätzt und die erzwungene Buddy-Loyalität, des unwilligen Perry, der den Anfänger ständig aus der Affäre raushalten will, führen immer weiter, obwohl die Lösung des Puzzles mit der Struktur der Erzählung einfach nicht mithalten kann.
Der Humor dabei ist permanent und vielseitig. Was Harry nicht im Off erzählt (wobei er öfters mal den Film anhält, sich entschuldigt und uns Rückblenden präsentiert), machen die zündenden, konfliktbeladenen Dialoge, die ständig mit den Genreklischees spielen wieder wett. Das Drehbuch windet sich dabei wie ein Aal, lässt aber niemals Leerlauf aufkommen, sondern präsentiert abseits vom „main plot“ immer wieder schwarzhumorige Ausflüge, wie etwa der durch eine Tür abgetrennte Finger Harrys, der wieder angenäht, wieder abgerissen und verloren und schließlich von einem Hund gefressen wird. Gleichzeitig darf Kilmer einige Schwulen-Klischees hübsch distanziert ironisieren und spätestens wenn man hört, dass sein Handy-Ton „I will survive“ ist, hat man ihn liebgewonnen. Und ansonsten, wohin man blickt, One-Liner, soweit das Auge reicht.
Wie schon erwähnt, den Plot lässt man sich am besten während des Films von den Figuren ständig neu erklären, so wichtig ist er auch nicht, hier steht Form über Inhalt, aber wie man solche Leere mit Charakteren füllen kann, beweist Blacks heimliche Meisterschaft, die schon Klassiker wie „Lethal Weapon“ oder „Last Boy Scout“ erhellten.
Gehören tut der Film aber deutlich Downey jr., der wie ein geprügeltes Hundebaby durch den Film geschleudert wird, um stets im entscheidenden Moment wie widerwillig und unvermittelt unberührt mit seinem Können alles Bestehende auf den Kopf zu stellen, während er auf der Tonspur gleichzeitig sein Verhalten rechtfertigt.
Ein überbordende, mitreissende Kinophantasie, die leider kaum jemand in Deutschland im Kino gesehen hat, deren Kultstatus auf DVD vermutlich nicht aufzuhalten sein wird. Nehmt euch in acht, dass ihr nicht wie der Autor zwei Drittel des Films vor Lachen in Embryonalhaltung verbringt! (8/10)