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Nach „Der Hund von Baskerville“ wurde im gleichen Jahr noch ein zweiter Film mit dem Erfolgsduo Rathbone/Bruce nachgeschoben. Dieser Film, dessen Titel an den ersten Zyklus der Holmes-Kurzgeschichten erinnert, entsprang übrigens keiner Doyleschen Story, sondern war – in ziemlich gekürzter Form – ein Remake des Theaterstückes „Sherlock Holmes“ von William Gillette, welches damals nicht nur in England und Amerika, sondern auch im restlichen Europa große Erfolge feiern konnte.

Für Holmes-Kenner ist der Umstand der fehlenden Originalstory dennoch kein besonders großer Makel, da lose einige Themen und Stilelemente aus dem Holmes-Umfeld aufgegriffen werden. Dennoch kann dieser Streifen erzähltechnisch nicht ganz mit dem Dartmoor-Debüt Schritt halten. Das liegt auch daran, dass die Verantwortlichen das Werk großzügig geschnitten haben, so dass man auch als unvoreingenommener Zuschauer das Gefühl hat, einigen Handlungssträngen nicht oder nur unvollständig folgen zu können.

Bei der Einleitung kann man darüber noch hinwegsehen. Holmes trifft im Gerichtssaal seinen Erzfeind Moriarty wieder, der gerade in dem Moment freigesprochen wird, als der Detektiv weitere Beweise vorbringen wollte. Hier wurde der eigentliche Fall – entgegen der ersten Fassung - kaum dem Zuschauer vorgestellt, was aber nicht weiter stört, denn die Szene ist nur ein Aufhänger für das kommende böses Spiel, was der Professor vorhat. Das Urteil lautet Freispruch und bei einer gemeinsamen Kutschfahrt der beiden Widersacher eröffnet Moriarty Holmes, dass er ein Meistercoup plant und der Detektiv dabei tatenlos zusehen wird.

Man muss schon sagen, dass die Story recht originell anläuft. Denn eigentlich sind es zwei Kriminalfälle, die sich zu eigenständigen Handlungssträngen entwickeln. Der Zuschauer ahnt aber bereits, dass über beiden Schandtaten Moriarty thront. Da ist zum einen ein seltener Smaragd, der in den Tower eingeliefert werden soll. Holmes wird gebeten, den Transport zu überwachen, denn es gab eine anonyme Warnung, dass die Fracht gestohlen werden soll.

Dann gibt es den „Ablenkungs“-Fall der Ann Brandon, deren Bruder eine mysteriöse Zeichnung erhielt, genau wie ihr Vater vor etlichen Jahren, der kurz darauf ermordet wurde. Und auch wirklich fällt ihr Bruder wenig später einem Verbrechen zum Opfer. Dann bekommt sie den gleichen Zettel. Ein wenig erinnerte die Machart dieses Plots an die Kurzerzählung „Fünf Apfelsinenkerne“, wo die Todesankündigung ähnlich skurril verlief. Hier wird die Atmosphäre zusätzlich verdüstert durch eine geheimnisvolle und unbekannte Todesmelodie, die vor der Tatzeit erklingt und einen wohligen Grusel erzeugen kann. Rathbone zeigt in seiner Rolle einmal mehr, wie Holmes, trotz seines stets etwas unterkühltem Verhältnis zu Frauen, auf diese äußerst beruhigend wirken kann. Die ängstliche Brandon wird in Holmes Gegenwart zu einer mutigen, furchtlosen Frau, die bereit ist, der Gefahr zu trotzen und auch den Besuch einer Party nicht scheut, auf der sie aber einem Anschlag ausgesetzt werden soll.

Wie zu erwarten, müssen Holmes und Watson wieder mal Job-Sharing betreiben. Der gutmütige, aber dusslige Watson lässt sich zusammen mit einigen Polizisten im Tower von London einschließen und versagt natürlich. Ein bisschen Unlogik ist leider auch dabei, denn wie Moriarty sich unter die Polizisten mischen konnte, ist mir ein Rätsel. Ebenso, wie man ausgerechnet den verkleideten Moriarty zum Bewachen der Kronjuwelen, dem eigentliches Ziel des Verbrechers, abkommandieren konnte.

Zur gleichen Zeit ermittelt Holmes auf einer Abendparty in „seinem“ Fall weiter und bewacht Ann Brandon. Etwas ungewohnt für den Zuschauer eine etwas ulkig wirkende Musicaleinlage des Detektivs, aber Vielseitigkeit war schon immer eine Waffe von Holmes und gerade als Verkleidungskünstler hat er schon manchen Fall gelöst. Hier brilliert Rathbone auch als klarer Beherrscher der Szenerie, souverän überwältigt er den Mörder Mateo, als dieser Ann Brandon auflauert. Leider gibt es auch hier Schnitte in der Endfassung, welche verhindern, dass die Handling runder wirkt. Mateo wurde von Moriarty angeheuert, aber weshalb er wirklich mordete, wird nicht weiter erwähnt. Nun könnte man sagen, dass das egal ist, aber durch diese Kappung werden die Nebenfiguren einfach zu schemenhaft abgehandelt, sie entwickeln zu wenig Eigenleben.

Das Finale ist dann noch eine klare Hommage an Holmes „Sein letzter Fall“, der auch mit ein bisschen Action im Tower von London in Szene gesetzt wurde. In einem letzten Zweikampf, wie damals an den Reichenbacher Wasserfällen, wird ein Schlussakkord gesetzt, der nicht überrascht, aber die klare Überlegenheit des Meisterdetektivs noch einmal zur Schau stellt.

Fazit: Ich hätte den Film gern in der ursprünglichen Fassung gesehen, ich bin mir sicher, dass manch zusätzliche Szene die Handlung besser nachvollziehbar gemacht hätte. Ansonsten kann man aber von einem durchaus gelungenen zweiten Streich des Duos Rathbone/Bruce sprechen, denn das viktorianische Krimi-Flair ist immer noch genug greifbar.

(Quelle für die Informationen bezüglich der Filmschnitte: Info-Heft DVD-Box 1 “Sherlock Holmes Collection“, Koch Media Home Entertainment 2006)

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