Review

„Und wenn sie Papa umbringen, was sollen wir denn dann machen? Es wäre besser, wenn sie ihn im Gefängnis behalten hätten!“

Nach „Ich habe Angst“, den der italienische Autorenfilmer Damiano Damiani aus Sicht eines einfachen Polizisten erzählte, ließ er für „Ein Mann auf den Knien“ aus dem Jahre 1979 den Zuschauer sich mit einem ehemaligen Kleinkriminellen identifizieren, der unbeabsichtigt auf der Todesliste der Mafia landet. Der Film bedeutete nach zahlreichen Nero-Damiano-Kollaborationen die erste Zusammenarbeit Damianis mit Italo-Western-Veteran Giuliano Gemma („Der Tod ritt dienstags“).

Der ehemalige Autodieb Nino Peralta (Giuliano Gemma) möchte nach seiner Haftentlassung nichts mehr von kriminellen Umtrieben wissen und sich als Betreiber eines Kiosks in Palermo einem bescheidenen, doch glücklichen Leben mit seiner Frau Lucia (Eleonora Giorgi, „Inferno“) und seinen beiden Kindern hingeben. Doch was Nino nicht ahnte: Mit seinem Frühstückslieferservice versorgte er eine nach der Macht greifende Mafiaorganisation, die eine vermögende Frau entführt hatte, in ihrem Versteck mit Lebensmitteln und landete dadurch auf der Abschussliste des Mafiapaten Vincenzo Fabricante (Ettore Manni, „Tödlicher Hass“), der der unliebsamen Konkurrenz den Garaus machte. Ninos alter Knastkollege Colicchia (Tano Cimarosa, „Das Grauen kommt nachts“) macht ihn drauf aufmerksam, dass der sich zunächst unauffällig gebende und alles abstreitende Antonio Platamonte (Michele Placido, „Blutiger Zahltag“) hinter ihm her ist. Nino stellt Platamonte zur Rede und ein perfides Spiel beginnt, aus dem Nino keinen rechten Ausweg sieht…

Wieder einmal ist es die Ohnmacht des einfachen Bürgers gegenüber der sämtliche staatlichen Institutionen und nahezu die gesamte italienische Gesellschaft durchsetzenden Mafia , die Gegenstand Damianis kritischer Betrachtung wird. Neu ist die Perspektive des ungewollt hineingeratenen Kleinkriminellen, der fortan um sein Leben fürchten muss und dessen Familie und Existenz konkret bedroht sind. Mit viel italienischem Temperament lässt Damiani die unterschiedlichen Charaktere Ninos, Colicchias und Platamontes aufeinandertreffen und charakterisiert drei gleichsam um ihr Leben kämpfende Männer, die unter der Allmacht der organisierten Kriminalität ächzen. Dabei entwickelt sich eine interessante, ambivalente Beziehung zwischen Nino und Platamonte, denn letzterer ist Täter und Opfer zugleich. Aus dem aalglatten Auftragsmörder und der rückgratlosen Nervensäge wird ein Mensch aus Fleisch und Blut; Damiani zeigt, dass sich die beiden gar nicht so fremd sind und viele Parallelen aufweisen, was als Aufruf zur Solidarität der Unterschicht verstanden werden kann – wenngleich Damiani nicht so weit geht, sondern vornehmlich das Katz-und-Maus-Spiel und die von Misstrauen geprägte Beziehung beider zeigt. Damiani schafft ein sogar leicht komödiantisches Klima der Paranoia, das die Absurdität der Situation unterstreicht – absurd deshalb, weil nicht nur Recht und Gesetz, sondern auch Moral und „Ehre“ de facto außer Kraft gesetzt und Hinrichtungen als Normalität empfundener Alltag geworden sind, auch Jahre nach offizieller Beendigung des Faschismus. In seiner Verzweiflung lässt sich Nino zu nonverbalen Auseinandersetzungen hinreißen und sich zwangsläufig erneut in die Kriminalität treiben, muss er sich ausnehmen lassen wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans, bis seine Wut derart mit ihm durchgeht, dass er in seinem Fatalismus zum Äußersten greift – gleichwohl vollkommen konträr zu üblichen Rachethrillern inszeniert, von Coolness, Überlegenheit oder Befriedigung keine Spur, höchstens kurzzeitige Genugtuung und ein trügerisches Aufatmen, ein Luftholen, bevor sich alles wieder zusammenzieht, sind zu verspüren.

Trotz oder gerade wegen seiner Dialoglastigkeit – „Ein Mann auf den Knien“ ist keinesfalls mit einem Actionfilm zu verwechseln – ist Damiani ein hochemotionales Stück gleichwohl anspruchsvolles und unterhaltsames Kino gelungen, das in ein fulminantes, an den Italo-Western erinnerndes Finale gipfelt, dessen Mangel an wirklichen Gewinnern die fast schon postapokalyptisch anmutende Landschaft symbolträchtig visualisiert. Damiani stellt die persönliche Freiheit als glückliche Option dar, ihren Verlust als Normalzustand und die Mafia als willkürliche handelnde falsche Autorität, die die einfachen Leute mit Füßen tritt und ihnen vorlebt, dass Anstand und Ehrlichkeit zu nichts führen, ja geradezu verabscheuungswürdig sind. „Ein Mann auf den Knien“ zeigt keine Lösungen, sondern klagt den Zynismus an und kommentiert bissig, wütend, traurig, letztlich ohnmächtig, lässt den Zuschauer an allem teilhaben. Ein toller Film, der mögliche erzählerische Schwächen, resultierend aus der etwas verkomplizierten Handlung und dem Wirrwarr aus etlichen Namen, mit denen munter umhergeworfen wird, mit überragenden schauspielerischen Leistungen insbesondere Gemmas und Placidos wettmacht. (Die Möglichkeit, Luciano Catenacci einmal auf Seiten des Gesetzes zu sehen, bietet sich übrigens auch nicht so oft.) Südeuropäische Lebensfreude endet in Bitterkeit und hinterlässt einen ebenso beeindruckten wie nachdenklichen Zuschauer. Ein echter Damiani eben.

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