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Schaut man auf die Karriere des italienischen Filmemachers Mario Bava zurück, so findet man viele herausragende Filme, nicht von monumentaler Größe, aber viele inspirierend, atmosphärisch überwältigend, optisch und farblich stilbildend und mit eine Reihe unglaublicher Ideen realisiert. Bava war in vielen Genres aktiv, wenn auch nicht in allen Zuhause; jedoch ragen seine dem Horror verwandten Filme bei vielen Fans aus seinem Oeuvre hervor.

Zu seinen am wenigsten honorierten Filmen, möglicherweise aufgrund des begrenzten Bekanntheitsgrads hierzulande, zählt sein letzter richtiger Kinofilm als Regisseur, den er drei Jahre vor seinem viel zu frühen Tod realisierte: "Shock".
"Shock" wirkt wie ein Destillat aus vielen Ideen, die er zuvor schon aufgegriffen und bearbeitet hatte, mit Elementen aus "Der Teuflische", "Red Wedding Night" oder "Operacione Paura". Übernatürliches mischt sich darin mit Psychohorror und nacktem Terror, doch so präzise bis aufs Wesentliche, auf das Skelett, auf die Knochen war Bava selten gegangen. Wo sonst seine prägnanten Bilder und psychedelisch anmutenden Farbpaletten dominieren, um das Bizarre zu optimieren, geht "Shock" in die Tiefe, indem er 90 Minuten fast wie ein Kammerspiel, ein Dreieinhalbpersonen-Theaterstück präsentiert, das voll ganz dem Erproben und Auswalzen einer einzigen Situation gilt.

Der Ort der Handlung ist hier Weg und Ziel, denn nach sieben Jahren kehrt die Familie Baldini in ihr Landhaus zurück - eine Patchworkfamilie, denn Dora ist in zweiter Ehe mit Pilot Bruno verheiratet, der Sohn Marco entstammt aber noch ihrer ersten Ehe mit Carlos, der, so die Startinfo, offenbar rauschgiftsüchtig, gewalttätig und suizidal gewesen ist und sich mittels Bootstour selbst in die nächste Welt befördert hat. Das glaubt der aufmerksame Zuschauer natürlich keine Sekunde, nicht mal, wenn noch gar kein Mensch im Film zu sehen ist, denn schon zum Vorspann durchfährt die Kamera die Räume der Handlung, des Hauses, des Gartens und des Kellers, die in der Folge noch eine Rolle spielen sollen.
Prompt wird denn auch der siebenjährige Marco gleich eingeführt, wie er mit einem Baum redet und fortan eigenartiges Benehmen an den Tag legt, daß man locker sexuell eindeutig betiteln könnte. Da umweht uns schon der Geist der Reinkarnation, der fortschreitenden Besessenheit und des unvermeidbaren Fluchs der Vergangenheit, die die Lebenden einholt, ob sie wollen oder nicht.
Das Haus wird in der Folge Zentrum aller Aktionen und somit Ort der Schuld und Gefängnis - wobei über lange Zeit fraglich ist, wohin das Schiff steuert. Gewisse Elemente sind sicherlich störend, wie das ständig irritierende Kind oder das statische Beharren Brunos darauf, weiter in dem Haus zu bleiben, immerhin gilt Dora als enorm psychisch angeknackst - und dennoch wird dies am Ende alles seinen Grund haben.

Daß es dabei Bava erneut nicht auf psychologisch-dramatischen Feinschliff ankam, merkt der sensationssüchtige Zuschauer in der gelinden Hoffnung auf ein Eimerchen Blut (in die Irre geführt von der DVD-Hülle etwa, die im besten Spielverderbermodus so einige Schicksale vorwegnimmt) schon bald. "Shock" ist ein geradezu karger Film, der zu 90 Prozent mit einem Handlungsort auskommt und mit noch weniger Handlung. Der Einfluß des Übernatürlichen wird dabei nie angezweifelt, allein das erste Auftauchen einer blutigen Leichenhand, die anstelle des Jungen seine schlafende Mutter streichelt, ist schon Erklärung genug, um die Pferde bis zur Ziellinie zu satteln - die Frage ist nur, wie geht es Bava diesmal an.
Und auch die Antwort darauf ist eher untypisch: wenig Blut, wenig Graphisches, dafür langwährende und intensive Traumsequenzen der gequälten Dora, die ausdrücklich Gebrauch von einfachen Tricks machen: POV-Shots aus Geisterperspektive, einfache optische Tricks, sich bewegende Möbel und Ausstattungsgegenstände wie eine Schaukel, eine Porzellanhand, ein Schaukelstuhl. Gekonnt läßt Bava die Szenerie wabern, hört man Lachen, Kinder- und Spieldosenmelodien neben verstörenden Dissonanzen und dem aus den Argentofilmen bekannten (halbgeschmacklosen) Rocksounds, die die Szenen vorantreiben.
Eine zugemauerte Wand im Keller, ein Teppichmesser, eine Spritze, das sind Dinge, die immer weiter in den Fokus rücken, während die Ausflüge in den extern-übernatürlichen Horror (es gibt ein Insert, in dem Marco, voodoo-ähnlich, Brunos Passagiermaschine um ein Haar abstürzen läßt, die allerdings im Vergleich eher unwahrscheinlich und albern wirkt). Immer wieder unterbrechen kurze verstörende Szenen die nicht vorhandene oder vorhersehbare Handlung: ein Sturz in eine Gartenharke, ein in der Hand zerspringendes Tablettenfläschchen, eine zermatschende Hand.

"Shock" ist damit nichts für Zuschauer, bei denen partout ständig etwas los sein muß; über weite Teile des Films suhlt sich Bava geradezu in Szenen, in denen die verängstigte Dora durch das Haus und/oder ihre Träume taumelt, schwitzt, schreit und langsam aber psychisch über den Haufen geschossen wird. Der Level an Intensität wird dabei immer weiter verstärkt, die letzten 30 Minuten fährt der Film dramatisch in eine spitz zugefeilte Sackgasse, aus der es kein Entkommen, aber immerhin eine Auflösung gibt, die man aber schon hatte kommen sehen (und dann auch ein wenig Blut).
Möchte man an dem Film rummäkeln, könnte man behaupten, das alles sei ein ganz alter Hut: knarrende Türen, fallende Lüster, sich vor die Türen schiebende Möbel, allein es wirkt alles zunehmend klaustrophobisch und löst einen Fluchtreflex aus, der aber im Film nie eingelöst wird, weil sich Dora nie entscheiden kann, selbst etwas für sich zu tun, solange sie sich nicht erinnern kann, was vor sieben Jahren geschehen ist.

So ist der Film ganz auf Wirkung, nicht auf Story eingestellt, ein altmodischer Schocker, der den Zuschauer möglichst oft aus dem Sitz hüpfen lassen soll und das schafft er auch in mehreren Momenten ausgezeichnet (einen gegen Ende wird wirklich wohl keiner so schnell vergessen, weil er ausgezeichnet präzise gefilmt ist, obschon so simpel, das es fast beleidigend wirkt). Und wenn das nicht der Fall ist, dann ist das Ergebnis immer noch verstörend, wenn etwa die angst- bis lustvoll besessene Dora in ihrem Bett von ihrem toten Ehegatten unsichtbar heimgesucht wird und das alles wie ein schwebender Fiebertraum wirkt.
Allerdings muß man sich dafür durch die erste halbe Stunde durchkämpfen, die noch sehr punktuell gestaltet und statisch erzählt wird und bei der man recht schnell erwartet, daß der Satansbraten am Ende seine Eltern meucheln wird (was nicht der Fall ist), jedoch anscheinend am ausgestreckten Arm verhungert.

Alle Daumen hoch dabei für die damalige Argento-Gattin Daria Nicolodi, die hier eine panische Tour-de-Force durchläuft, die sich gewaschen hat und bei der einem sämtliche Hosen wegfliegen, sofern man sich nicht schnell genervt abwendet. Geradezu enervierend ruhig dagegen John Steiner, während der alte Haudegen Ivan Rassimov in diesem Fall nur zwei etwas längere Szenen als Arzt beisteuern darf, die im übrigen auch noch relativ unwichtig für den Handlungsfortlauf sind. Wie üblich liegen Himmel und Hölle beim Grundschulbalg wieder dicht beieinander: sobald man David Colin jr. wohl keine exakte Regieanweisung gegeben hat, läßt er jegliche Darstellung missen und nervt kleinkindgerecht ein bißchen, schaut aber in seinen Besessenheitsszenen (übergangslos) aber stets so bemüht "creepy" drein, daß es Gänsehaut verursacht.

Die Einflüsse Bavas sind dabei gut erkennbar, ein wenig "Ekel" von Polanski, ggf. ein Hauch von Kings disfunktionalem Familiending aus "Shining", dazu die supernaturalen Trips aus "Lisa und der Teufel", alles angerührt in vertrauter Geister(land)hausatmosphäre, das macht Spaß - daß der Regisseur damit vermutlich selbst vielen ein gutes Beispiel war (die Reaktionen des Jungen erinnern nicht zuletzt an ein vergleichbar überschäumend bis abwesendes Vorschuletwas aus "Poltergeist"), versteht sich praktisch von selbst.
Wer also ein Tütchen Geduld mitbringt und den Terror sich entwickeln läßt, der wird im weiteren Verlauf reich belohnt, die Wirkung entfaltet sich erst nach und nach, dann aber immer infernalischer. Starrt man jedoch nur auf den absehbaren Plot, so steht man schon bald im Regen, die psychische Achterbahnfahrt ist es, die hier wirklich interessiert, präsentiert in spinnenverwebter, ausgebleichter Atmosphäre, die mittels Anzeichen ganz leichten Verfalls vielen guten Giallosequenzen schon zu eigen war.
Kommt langsam, aber dann doch horribel und setzt sich ganz hinten im Kopf fest. (8/10)

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