Review

Er gilt [Achtung: Spoiler!] als der Prototyp des Slasherfilms: John Carpenters "Halloween", der in den späten 70er Jahren die Pfade der gialli insbesondere Mario Bavas "Reazione a catena" (1971) – sowie andere rare Vorstufen wie "Night of the Dark Full Moon" (1972), "Black Christmas" (1974) oder "Massacre at Central High" (1976) weiter ausbaute, die erste ikonische Figur des Slasherfilms etablierte, den schon in "Black Christmas" erprobten Feiertag fest als beliebten Slasher-Handlungszeitraum verankerte und einem ganzen Subgenre eine maßgebliche Form verpassen sollte. Zu dieser gehört auch die vom postmoderne Slasher à la "Scream" (1996) verhandelte Neigung, unter anderem jene Figuren ableben zu lassen, die sich sexuell betätigen oder Alkohol und/oder andere Drogen konsumieren – bis dann im Finale das wesentlich enthaltsamere final girl den Täter besiegt, nachdem es vor den Augen des vor allem männlichen Publikums minutenlang gehetzt und gepeinigt wurde, um dann als Identifikationsfigur aufzutrumpfen und den Widersacher – zumindest bis zur nächsten Fortsetzung – außer Gefecht zu setzen.
Eng damit verbunden ist der Vorwurf eines reaktionären Subtextes: Vermeintlich sündhaftes Verhalten unter Heranwachsenden wird drastisch vom Slasher und den Filmschaffenden bestraft – und belohnt wird, wer auf dem Pfad der Tugend bleibt. Das ist eine durchaus plausible Lesart der Slasherfilme – und eine treffende Beschreibung für eine Vielzahl von Subgenre-Vertretern. "Halloween" indes lässt sich auch etwas ambivalenter lesen...

"Halloween" beginnt an Halloween 1963 in der fiktiven US-Kleinstadt Haddonfield, Illinois: Das Publikum übernimmt mit der Kamera die Perspektive eines Stalkers, die sich einem spärlich für Halloween dekorierten Haus nähert und dort durch die mild verschleierten Glasscheiben der Fenster und Türen ins Innere des Gebäudes blickt.
Schon hier fallen im Nachgang zwei Umstände auf: Obwohl man es – wie sich am Ende dieses Prologs zeigen wird – mit der Perspektive eines Sechsjährigen zu tun hat, entspricht die Perspektive insbesondere beim Blick durch das Fenster eher der eines Erwachsenen. Der point of view-Charakter dieser Einstellung wird unterstrichen durch unsaubere, rasche Schwenks, die keine weiteren Figuren oder Objekte etablieren, sondern lediglich ein Umschauen abbilden, ehe der Blick ins Innere des Hauses vordringt: Der Kamerablick schwenkt kurz nach rechts, erblickt eine leere Veranda-/Vorgartenfläche, wendet sich dann wieder um und macht sich ans Betreten des Hauses. Man hat es hier mit einer Vergewisserung zu tun, dass keine Zeugen anwesend sind. Hier ist Vorsatz am Werk. Man ahnt vielleicht, wohin die Reise zu gehen scheint, denn im Inneren vergnügt sich eine junge Frau mit einem jungen Mann, wobei sich beide gerade anschicken, nach oben zu gehen, als der Stalker durch das Fenster blickt...
Im Inneren verfehlt die Perspektive noch einige Male diejenige des Sechsjährigen (wobei der ins Bild ragende Arm, der sich erst ein Messer, dann eine Maske greift, irritierend wirkt – und tatsächlich Ko-Autorin und Ko-Produzentin Debra Hill gehören sollte): Wenn sich der Kamerablick etwa ins Treppenhaus begibt, so scheint der Stalker maximal einen Kopf kleiner zu sein als die Teenager. Und noch ein Umstand ist hier interessant: Die Maskierung des scheinbar unerkannt bleiben wollenden Stalkers, der sich die vom jungen Mann weggeworfene Maske geschnappt hat und nach dem (übrigens sinnwidrig frühen) Fortgang des Mannes auf die Frau einsticht – die ihn vor der Attacke dennoch erkennt und seinen Namen, Michael, ruft. Wären Plot und Story des Films nicht hinlänglich bekannt, so hätte man – wie vielleicht ein damaliges Kinopublikum – Grund zur Annahme, eine Dreiecks-, Eifersuchts- und Racheszene zu betrachten, bei der ein Mann den Kontakt einer Frau zu einem anderen Mann zu bestrafen gedenkt, wobei das Umblicken vor dem Haus wie auch das Maskieren im Inneren auf Vorsatz hindeuten.
Dann aber verlässt der Stalker, dessen point of view seit dem Mord nur noch durch die Augenschlitze einer Clownsmaske blickt, das Haus, wird von einem Ehepaar angehalten – derweil die Kameraperspektive nun tatsächlich die eines Sechsjährigen übernimmt – und erneut mit seinem Namen angesprochen. Im Gegenschnitt zeigt sich dem Publikum ein kostümierter Knabe.

Die Ermordete, so erfährt man später, war seine ältere Schwester Judith Myers. Auch wenn Michael hier – wie auch an späterer Stelle im Film einmal, mit Bettlaken und Hornbrille – vor der Ermordung einer Frau die Maskierung ihres Partners übernimmt, so scheinen die geschwisterliche Beziehung zwischen Täter und Opfer und mehr noch das junge Alter des Täters gegen eine gewöhnliche Eifersuchtstat zu sprechen, auf welche die Inszenierung anfangs noch gezielt hindeutet.
15 Jahre vergehen, da ist auch schon zu erleben, wie Michael Myers aus der geschlossenen Anstalt entkommen kann. Dort hat er – oder wie sein Psychiater (Donald Pleasence) zu sagen pflegt: es – 15 Jahre lang geschwiegen und gewartet, um im richtigen Moment loszuschlagen und pünktlich zu Halloween wieder nach Haddonfield zurückzukehren und zu morden. Und er kann – obgleich er seit seinem sechsten Lebensjahr schweigend herumgehockt haben soll, wenn man denn seinem schon etwas fanatisch wirkenden, aber vielleicht eben auch mit gutem Recht hochgradig alarmierten Psychiater glauben darf – problemlos autofahren und die weite Strecke problemlos zurücklegen. Michael Myers – den man nun nur noch von hinten in over the shoulder shots im gräulichen Overall oder bald auch von vorne hinter seiner fahlen, ausdruckslosen (angeblich "The Devil's Rain" (1975) entlehnten William-Shatner-)Maske sieht – weist kaum menschliche Züge auf, hat teils unfassbare, beinahe übermenschlich anmutende Fähigkeiten. Im Laufe des Films hat man immer weniger Grund, an eine sexualpathologische Motivation eines fanatischen Eifersuchts- oder Triebtäters zu glauben. Und dennoch treffen seine Morde – sieht man von einem getöteten Automechaniker ab, der auf der Wegstrecke nach Haddonfield in der Landschaft liegt und dem Myers offenbar den Overall entwendet hat – vor allem junge Paare. (Ein bellender Wachhund ist noch unter den Opfern, dessen Kläffen vor und Jaulen während seiner Ermordung von einem späteren, weiblichen Opfer auf eventuellen Damenbesuch zurückgeführt wird.)
Wenn man Myers mit seinem Psychiater Dr. Loomis also als leibhaftigen Tod oder das absolut Böse zu sehen geneigt ist, dann scheint seine Motivation eher eine grundsätzliche Lebensfeindlichkeit zu sein, die sich – wo sie nicht zweckdienlich auftritt – insbesondere eben auch gegen potentielle Zeugungsakte richtet. Der Film suggeriert zwar mit seinem Prolog, der während der Messerattacke formal (über den Blick auf die herabsausende Klinge) und innerhalb der Story inhaltlich (über den Tabubruch und das Trauma) leicht auf "Psycho" (1960) rekurriert, die Geschichte des psychisch Kranken, der nach dem Mord in Kindheitstagen an der eigenen Schwester im Erwachsenenalter diese Tat nochmals und nochmals wiederholt; aber weder wird dieser Wiederholungszwang erläutert, noch wird der Mord in der Kindheit plausibel begründet – weswegen die für einen Psychiater ungewöhnlichen Erklärungen eines Dr. Loomis durchaus vom Publikum ernst genommen werden können, weswegen auch der unmenschlich, kalt und maschinenhaft agierende Myers als destruktives Prinzip betrachtet werden kann, das sich durch Lebens- und damit auch durch Lustfeindlichkeit auszeichnet... und der Haddonfield gerade dann aufmischt, wenn die unheimliche Nacht der Schrecken und des Verstoßes beginnt, die zugleich über Samhain mit der Unterwelt bzw. über den nahenden All Souls' Day mit den Verstorbenen verbunden wurde.

Mit Myers' Motivation weicht "Halloween" von darauffolgenden Slasher-Klassikern ab, in denen eine Mrs. Vorhees ("Friday the 13th" (1980)), in denen ein Alex Hammond ("Prom Night" (1980)), in denen ein Kenny Hampson ("Terror Train" (1980)), in denen ein Cropsy ("The Burning" (1981)), in denen ein Axel ("My Bloody Valentine" (1981)), in denen Angela bzw. Paul ("Sleepaway Camp" (1983)), in denen ein Freddy Krueger ("A Nightmare on Elm Street" (1984)) – oder eben deutlich später auch die Täter hinter der Ghostface-Maske ("Scream") – erlittenes Unrecht an Schuldigen, Nachkommen von Schuldigen oder Unschuldigen rächen.
Trotz des Prototyp-Rangs bleibt "Halloween" somit doch eine Ausnahme unter den populären Slasher-Klassikern. Interessant ist insbesondere der Vergleich mit "Friday the 13th", dem zweiten großen Slasher-Klassiker, der ebenfalls – etwas unverbindlicher – auf einen besonderen, vorbelasteten Tag zurückgreift und ebenfalls – etwas intensiver – auf "Psycho" rekurriert. Dort ist Mrs. Vorhees, die Mutter des (sozusagen: gerade nicht) unter den abgelenkten Augen der vergnügten Camp-Aufseher ertrunkenen Jason Vorhees, in einer Mischung aus Rache und schwarzer Pädagogik darauf bedacht, die jungen Leute, die sich am Camp Crystal Lake vergnügen, für ihre Vergnügungen zu bestrafen, die einst als Fahrlässigkeit tatsächlich ein Ableben verschuldet haben. In "Halloween" verhält sich das anders: Sexualität und Drogen werden dort kaum als potentiell schädliche Verfehlungen ausgestellt – und zugleich richtet sich die Bestrafung, sofern man hier überhaupt davon sprechen kann, nicht auf eine Verfehlung oder Störung – die der Sexualität und den Drogen, der Ekstase und dem Rausch zugeschrieben wird –, sondern eben dem Leben und der L(ebensl)ust selbst; ganz ohne (zumindest prinzipiell) korrigierende, bereinigende Hintergedanken.
Und obwohl "Halloween" gerade darauf verzichtet, eine Figur einer reaktionären Moral nachgehen zu lassen, kann man ihn auch als einen kritischen Film lesen, der sich mit reaktionärer Moral beschäftigt. Denn – auf naheliegende Einwände wird sogleich zu kommen sein – Ekstase (bei der Zusammenkunft im Obergeschoss im Prolog) und Rausch (das den Tod herbeiführende Verlangen nach dem Bier, das auf die Zigarette danach geholt werden soll) sind hier wiederkehrende Momente, die mit einer Bestrafung verbunden werden. Lehrkörper, Polizisten und Eltern – deren Abwesenheit erst zur erotischen Zusammenkunft genutzt werden kann – sind die erwachsenen Figuren dieses Films, die mit ihren Reglementierungen und Verpflichtungen dem Verlangen der Teenager keinen Raum lassen: Man muss den Joint verschwinden lassen, wenn Vater und Sheriff in Personalunion vor einem auftauchen – und nicht nur im Prolog muss man erst einmal wissen, dass man ganz alleine ist, um dann ein paar Hüllen fallen zu lassen. Und Annies "Home, sweet home" klingt beim Erreichen ihres Elternhauses eher ironisch und etwas lustlos. Die erwachsenen Figuren mit ihren vielfach ordnungsstiftenden Berufen stehen den Teenagern mit ihrer Lust an Rausch und Ekstase entgegen.
Es lohnt der Blick auf einen späteren Semi-Slasher, der "Halloween" wie "Psycho" zugleich aufgreift und als seine Wurzeln ausstellt: Tobe Hoopers "The Funhouse" (1981) vermengt im humorig irreführenden Anfang die subjektive Sicht durch die Maske aus "Halloween" mit der Dusch-Attacke aus "Psycho" und trennt in der Folge die Teenager sowohl von den Eltern wie von einem kleinen Bruder ab, wobei letztere gleichermaßen dem klassischen Universal-Horror frönen... Das mag ein wenig den Blick darauf lenken, dass auch in "Halloween" eine Abgrenzungen in zwei Richtungen erfolgt: man setzt sich von den Eltern ab, aber auch von den Kindern: Annie Brackett möchte am liebsten gar nicht auf die junge Lindsay aufpassen – oder ihr doch zumindest mit allerlei Horrorfilmen einen kleinen Schrecken einjagen. Und umgekehrt findet die Geringschätzung von Rausch und Ekstase in der geordneten Welt der Erwachsenen ihren nur konsequenten Ausdruck gleich zu Beginn in der Tat eines Sechsjährigen. 21jährig ist Michael Myers zwar 1978 noch mit zugedrückten Augen den Teenagern oder Heranwachsenden zuzurechnen, aber er sieht – maskiert mit dem gereifteren Shatner-Antlitz und mit Overall – keineswegs nach einem Teenager aus, verhält sich weder wie ein Teenager noch überhaupt wie ein Mensch und repräsentiert auf einer eher symbolischen, keinesfalls psychologischen Ebene die ablehnende Haltung der Elterngeneration, die hier aber gerade nicht – wie in "Friday the 13th" – als grundsätzlich noch nachvollziehbares Sühne-Verlangen angesichts fahrlässigen Vergnügens mit fatalen Folgen präsentiert wird, sondern als irrationalere Lebens- und Lustfeindlichkeit selbst agiert. Der Lustfeindlichkeit wird hier keine Rechtfertigung mehr zugesprochen, sie wird vielmehr als Lebensfeindlichkeit pathologisiert.

Zwei Einwände liegen auf der Hand: Laurie wird auch als jungfräuliche Streberin von Myers attackiert. Und Laurie überlebt, während sie gerade nicht mit Drogen oder erotischen Kontakten im Gange ist.
Beide Einwände lassen sich jedoch durchaus entkräften: Laurie mag das strebsamere Mauerblümchen sein – aber es ist nicht so, dass sie nicht die Verlockung vernimmt und sich ihr in gelegentlichen, mutigeren Momenten nicht doch hinzugeben gewillt ist. Gewiss, in der Schule ist Laurie bei der Sache, selbst wenn sie abgelenkt ist, und kann – in einer ihrerseits schon etwas fatalistischen Szene – aus dem Stehgreif doch die richtige Antwort über unterschiedliche Konzepte des Schicksals abliefern. Und sie ermahnt – selber fast schon mehr Lehrerin als Schülerin – den jungen Tommy Doyle, dass einer seiner viel Unfug redenden Kameraden bald sitzenbleiben könne. (Folgerichtig ist die erwachsene Laurie in Steve Miners "Halloween H20" (1998) dann auch selber eine Lehrerin.) Sie erledigt folgsam Aufträge ihres Vaters – und hinterlegt einen Schlüssel am längst heimgesuchten Myers-Haus, was Myers' Interesse auf sie (und damit auch auf ihre Freundinnen Annie und Lynda) lenkt: er wird sie später im Klassenzimmer von der Straße aus beobachten und auch im Anschluss mehrfach stalken... einmal im gestohlenen Wagen, einmal als Fußgänger. Als Laurie ihn bei diesem dritten Sichtkontakt gegenüber Annie erwähnt, die gerade mit ihrer Handtasche beschäftigt ist, hält diese den bereits wieder Entschwundenen beim Aufblicken für eine Einbildung Lauries, neckt die Freundin gar mit der Behauptung, es sei ein Verehrer gewesen und Laurie habe "scared another one away", um Laurie sodann indirekt aufzufordern, mal mit einem Jungen auszugehen. Und Laurie will nicht etwa nicht, sondern hat bloß den Eindruck, die Jungs würden sie als Streberin für zu intelligent halten. In ihrem Zimmer – geschmückt mit einem Kalender rund um James Ensor, der ausgerechnet für seine Masken-Bilder berühmt ist, sowie mit einem großen roten Plüschherz, das auch noch einmal Sehnsüchte vermuten lässt – erblickt sie beim Blick aus dem Fenster noch einmal Michael Myers, der diesmal aber so schnell während ihres unabgewandten Blickes spurlos verschwunden ist, dass es sich – zumal so kurz nach Annies Unterstellungen – tatsächlich um Lauries Einbildung handeln dürfte. Als dann ihr Telefon klingelt, sie aus ihren Gedanken an den unheimlichen Stalker reißt und auf ihr Abheben keine Nachricht von der Anruferin hören lässt, da glaubt Laurie erst einmal an einen obszönen Anrufer (oder wohl auch ein wenig an den Stalker). Und auch einen angebotenen Joint im Auto raucht Laurie durchaus mit, auch wenn sie recht bald stark zu husten beginnt (was sie nicht daran hindert, weiterzurauchen). Und sie erkundigt sich neugierig nach Annies Kleiderwahl für einen Ball, obwohl sie sich – laut Annie – für diese Dinge eigentlich nie interessiert habe. Das Publikum erfährt, dass Laurie gerne mit einem Jungen tanzen wollen würde, aber sich nicht zu fragen traue – insbesondere nicht einen gewissen Ben Tramer (den das folgende Sequel am Rande aufgreifen sollte). "So you do think about things like that, ha, Laurie?"
Laurie mag streb- und folgsam sein, aber ihre Bedürfnisse sind doch dieselben. In der zweiten Hälfte des Films beginnt Myers dann damit, die kleine Clique – an die er über Lauries Botengang geraten ist zu dezimieren: Annie erblickt er nachts beim Entkleiden ihrer bekleckerten Wäsche durchs Fenster; sieht sie danach leicht bekleidet (für eine Halloween-Nacht) mit Bluse, Slip und Kniestrümpfen, in denen sie auch hinüber zu Laurie geht, um Lindsay – auf die sie aufpassen sollte – bei der ebenfalls als Babysitterin aktiven Laurie und ihrem Zögling Tommy Doyle abzuliefern und selber freie Bahn für Vergnüglicheres zu haben. Entsprechend ist sie mit ihren Gedanken anderswo – und als sie registriert, das ihr Auto von innen beschlagene Scheiben aufweist, da ist es bereits zu spät: Myers attackiert sie von der Rückbank. Auf Lynda und ihren Freund stößt Myers dann zweifach, derweil sie erst auf einer Couch, später in einem Bett in Missionarsstellung aufeinanderliegen. Der Freund stirbt im Anschluss beim Bierholen, Lynda – die unter dem bettlakenverhängten Myers mit der Brille ihres Freundes ebendiesen mit dem Bier vermutet – lockt lasziv, um kurz darauf am Telefon stranguliert zu werden. Und die von ihr angerufene Laurie, die ihrerseits alles mithört, vermutet darin bloß einen obszönen Streich Annies... Ihr verhaltener Ärger, ihre Sorge wird widerum von Myers mitgehört, der Laurie nunmehr nicht bloß als attraktive (und in einem Kleid am femininsten gekleidete) junge Frau an der Seite ihrer sexuell erfahrenen Freundinnen gesehen, sondern sie nun auch mit einem Verständnis für durchaus etwas frivolen Humor gehört hat. An sie gerät Myers dann aber dadurch, dass Laurie bei den Freunden nach dem Rechten sehen will und erst Annies Leichnam samt Judith-Myers-Grabstein in einem Bett vorfindet, dann die erwürgte Lynda und ihren erstochenen Freund. Zwar ist auch Laurie angesichts der Leichen verständlicherweise nicht völlig konzentriert und wird zunächst von Myers überrascht, aber sie ist anders als ihr Freundeskreis doch in Sorge und verantwortungsbewusst, keinesfalls mit den Gedanken woanders, nicht in Bier- und Koituslaune, sondern in der Rolle der verantwortungsbewussten Babysitterin und zurecht besorgten Freundin. Dass sich Laurie auf das Schlimmste eingestellt hat, verschafft ihr einen entscheidenden Vorteil – und sie überlebt, letztlich vor allem dank Dr. Loomis, der mehrfach auf Myers feuert, dessen Körper im Anschluss aber verschollen bleibt.

Das aber diffamiert die Vergnügungen der Teenager mit ihrem vorehelichen Sex keinesfalls. Es ist ja plausibel, dass eine aufsichtspflichtige Person in Sorge wachsamer agiert als eine auf reinen Spaß eingestellte Person. Der Film diskreditiert auch nicht die letztgenannte Haltung als gemeingefährlich, sondern er diskreditiert vielmehr – wie oben geschrieben – die Lustfeindlichkeit als Lebensfeindlichkeit.
Und hier zeigt sich die Ambivalenz von "Halloween": Die durch nichts gerechtfertigte Lustfeindlichkeit wird als lebensfeindlich entlarvt, zugleich aber scheint die Lust tatsächlich potentiell tödlicher zu sein. Die Erwachsenenwelt (der Lehrkörper, der Polizei), die Rausch und Ekstase zwecks Ordnung und Effizienz ausgrenzt – und den Wahnsinn in Kliniken einzäunt –, weist eine Atmosphäre lebloser Lustfeindlichkeit auf, die tatsächlich die erlebte Lebensqualität stark beschneidet (und sich symbolisch im destruktiven Prinzip Michael Myers wiederfindet, das lebensfeindlich agiert und dabei gerade über die (Woll-)Lust getriggert zu werden scheint). Und umgekehrt sind Rausch und Ekstase in der Tat Störeffekte der Ordnung und der Effizienz, Kontrollverluste, die in den Momenten akuter Gefahr lebensbedrohlich sein können: Ekstase und Rausch haben mit der Agonie auch weit mehr zu tun als mit Nüchternheit und Kontrolliertheit. La petite mort verweist darauf.
"Halloween" hat beide Seiten in sich: die in der Ekstase, die im Rausch – der (Selbst-)Überschreitung – ja schon angelegte destruktive Kraft, das Ausgeliefertsein, aber auch die pathologische Ablehnung der Lust, die letztlich auch eine Verneinung des Lebens enthält. Laurie, die zur Lehrerin taugende Schülerin, die Mitschüler begehrt, aber nicht anspricht, hat beide Seiten in sich – und wird gewaltsam herausgefordert, die ihr innewohnende Scheu zu überwinden und als aktives, nicht mehr nur folgsames Subjekt aufzutreten. Sie ist nicht bloß die Gegnerin von Michael Myers im Finale, sondern (wenn man ihn nicht mit Dr. Loomis als das absolut Böse sieht, sondern an der anfangs angedeuteten sexualpathologischen Eigenschaft festhält) in gewisser Weise sein ebenfalls etwas angeknackstes Gegenstück, das aber nicht aggressiv gegen das gefürchtete Andere angehen, sondern an sich arbeiten und über sich hinauswachsen muss. Es ist fast ein Initiationsritus, den sie im Finale durchläuft. Und sowohl die späte Fortsetzung "Halloween H20" als auch das noch spätere Sequel "Halloween" (2018) zeigen Laurie dann auch als Mutter.

Neben der auf zweierlei Weise lesbaren Figur Michael Myers' – der etwas unbefriedigend psychologisierend den Mord an seiner Schwester immer wieder wiederholen muss oder aber symbolisch gesehen als lebens- und lustfeindliches, destruktives Prinzip wirkt –, der ambivalent zwischen Wollen und Sich-nicht-trauen oszillierenden Laurie, dem ambivalent zwischen Expertise und Fanatismus schwebenden Dr. Loomis und einer ambivalenten Zeichnung der Lust selbst, die Lebensqualität erst ausmacht, aber zugleich den vollständigen Selbstverlust in sich tragen kann, steckt noch eine weitere Ambivalenz in "Halloween", die viel mit der Nähe zwischen Ekstase und Agonie zu tun hat. Es handelt sich um die (Schau-)Lust des Publikums, insbesondere während des Prologs.
"Halloween" bedient die erotische Lust und die Angstlust mit der filmischen Zurschaustellung von Erotik und Gewalt, um näherungsweise eine Ahnung der Ekstase und der Agonie zu verschaffen – drängt einen dabei allerdings (ein wenig wie "Peeping Tom" (1960), ein anderer Urahn neben "Psycho") gleich eingangs sowohl in die Rolle des voyeuristischen Publikums als auch in die Rolle des schuldbehafteten Mörders... trotz des Wissens, dass man es mit bloßen Leinwandfiguren zu tun hat, entsteht eine etwas belastete Lust, die das Publikum nötigt, sich zu fragen, ob und wann eigene(r) Lust(gewinn) auf Kosten der Umwelt erfolgen kann. Die ambivalente Seite der Lust zwischen intensivierter Lebensqualität und destruktivem Potential – gegen die Ordnung, gegen die eigene Identität – wird hier bereits dem Publikum zugespielt, das sie am eigenen Leib erfahren darf.

Es ist verständlich, dass "Halloween" – gerade auch im Vergleich mit einem themenverwandten, kurz darauf entstandenen Babysitter- und Psychopathen-Thriller wie "When a Stranger Calls" (1979) – schnell den Ruf hatte, eine reaktionäre Linie zu fahren. Tatsächlich ist der Prototyp des Slasherfilms aber erheblich ambivalenter – und nicht bloß deshalb spannend. Auch das effektiv inszenierte Finale und die anfänglichen Suspense-Szenen, alles optimal vom legendären Carpenter-Score untermalt, haben es in sich und sorgen für einen gelungenen Horror-Klassiker, der lediglich unter manch durchschaubaren dramaturgischen Tricksereien etwas leidet.[1]

8/10


1.) Die sollen der Vollständigkeit halber nicht ganz unerwähnt bleiben: Dass sich im Prolog das junge Paar im Wissen, dass sie alleine sind, auf die obere Etage begibt, um sich dann keine 90 (Echtzeit-Film-)Sekunden später schon wieder zu trennen, besitzt durchaus eine unfreiwillige Komik. Dass eine junge Frau mit vollem Mund bei einer Freundin anruft, um sich dann kauend für zehn Sekunden nicht zu melden, ist auch eher abwegig – mag aber zur Schrulligkeit dieser Figur passen. Und auch Lauries Fluchtverhalten im Finale fällt doch eher sonderbar aus, wenngleich es sich spannungssteigernd auswirkt und keinesfalls genreuntypisch ist. Solche Einfälle und einige etwas zu angestrengt pointierte Gags kratzen hier und da am Lack, aber gefällig bleibt der Gesamteindruck allemal...

Details
Ähnliche Filme