Review

„Ich traf auf ein sechsjähriges Kind mit einem blassen, farblosen, emotionslosen Blick und den schwärzesten Augen – teuflischen Augen. (...) Ich wusste zu gut, was sich hinter diesen Augen verbirgt: Das absolut Böse.“

Nach „Dark Star – Finsterer Stern“ und „Assault – Anschlag bei Nacht“ drehte US-Regisseur John Carpenter seinen ersten Horrorfilm: Den legendären „Halloween – Die Nacht des Grauens“ mit einem erneut kargen Budget von lediglich rund 300.000 Dollar. Inspiriert von Hitchcocks Klassiker „Psycho“, Teenager-Psycho-Thrillern wie „Die Fratze“ und „Black Christmas“ sowie sicherlich dem einen oder anderen Giallo erschuf er DEN Prototypen eines sog. Stalk’n’Slash-Films und trat damit, bedingt durch den wirtschaftlichen Erfolg, im Jahre 1978 eine beispiellose Welle von Fortsetzungen, Plagiaten und seinerseits inspirierten Schlitzerfilmen los: die „Slasher-Welle“. 1984 von Wes Craven durch die „A Nightmare on Elm Street“-Reihe auf ein neues Level gehievt und in den 1990ern mit der „Scream“-Reihe publikumswirksam parodiert, ist diese Art von Film bis heute allgegenwärtig und nicht mehr aus dem Genre wegzudenken. Das wegweisende Original aber verfügt bis heute über eine Ausnahmestellung.

Im zarten Alter von nur sechs Jahren bringt Michael Myers in der Halloween-Nacht aus unbekannten Gründen seine ältere Schwester um und vegetiert die nächsten 15 Jahre in einer Heilanstalt vor sich hin, ohne jemals wieder ein Wort gesprochen zu haben. Im Jahre 1978 aber gelingt ihm überraschend die Flucht. Er sucht seinen Heimatort Haddonfield, eine verschlafene US-amerikanische Kleinstadt, auf, streift sich Overall und eine Halloween-Maske über und hat es auf die örtlichen Teenager abgesehen, unter ihnen Laurie Strode (Jamie Lee Curtis, „The Fog – Nebel des Grauens“), die in dieser Nacht als Babysitterin arbeitet. Sein Therapeut Dr. Lomis (Donald Pleasence, „Geschichten, die zum Wahnsinn führen“) ist ihm auf den Fersen, doch zunächst will ihm niemand so recht Glauben schenken. Ein tödlicher Irrtum...

Bereits die Eröffnungssequenz ist stilprägend: Carpenter setzt auf subjektive Kameraführung, die sog. Point-of-View-Perspektive. Im Zusammenspiel mit einer langsamen, an die ruhige Gehgeschwindigkeit Myers angepassten Kamerafahrt entfaltet sich so eine geheimnisvolle, Unwohlsein erregende Stimmung, die sich durch den gesamten Film ziehen wird. Im Verlauf des Films verwendet Carpenter immer wieder POV-Beobachtungsperspektiven, Myers selbst sieht man lange Zeit nur von hinten, zunächst gar lediglich dessen Schulterpartie. Obwohl man weiß, dass es sich um Myers handelt, umgibt ihn dadurch eine Aura des Unbekannten, des unheimlichen Fremden. Zudem wird der Eindruck einer hünenhaften Statur erweckt, was automatisch mit Gefahr und Kraft assoziiert wird. Sieht man Myers dann endlich vollständig in Nahaufnahme, bewirkt die steife, beigefarbene Maske, durch die man sein schweres, gleichmäßiges Atmen hört, im Zusammenhang mit seiner Emotionslosigkeit eine Entmenschlichung seiner Person, die entscheidend ist für die Wirkung des Films und ihn damit klar dem Horrorgenre zuordnet. Michael Myers wird zu einem Synonym für „den schwarzen Mann“, für das motivlose, nicht erklärbare abgrundtief Böse. Psychologische Hintergründe des Antagonisten entfallen komplett. Myers wird zu einem Phantom, das seine späteren Opfer zunächst nur schemenhaft wahrnehmen, wenn es regungslos an Straßenecken oder Hecken steht und mit dem nächsten Augenblinzeln schon wieder verschwunden ist – so dass sich die Protagonisten fragen, ob sie „Gespenster sehen“. Eine klassische, oft kopierte Szene ist die, in der Laurie auf der Schulbank sitzt, gedanklich abschweift und Myers kurz durchs Fenster beobachtet.

Generell kann „Halloween“ – nicht nur in Hinblick auf sein Budget – als Film der wirkungsvollen Minimalismen bezeichnet werden. Die Hintergrundgeschichte ist auf ein Minimum reduziert, die Handlung schnell erzählt. Dennoch (oder gerade deshalb?) gelingt es Carpenter, frei von jeglichem Prätentiösen, unter quasi völligem Verzicht auf grafisch explizite Gewaltszenen, Blut und aufwändige Spezialeffekte, ein Maximum an Spannung und Grusel zu erzeugen. „Halloween“ erscheint nicht undurchdacht oder unoriginell, sondern aufs Wesentliche heruntergebrochen. Dazu passt auch ganz wunderbar sein von ihm selbst komponierter Soundtrack, eine simple Elektronik-Melodie, die die gespenstische Ruhe des Films immer wieder unterbricht und in ihrer Erinnerungswürdigkeit so stark nachwirkt, dass man sie, ganz gleich, wo und in welchem Zusammenhang sie erklingen mag, nach wenigen Tönen unmittelbar mit „Halloween“ in Verbindung bringt. Was vielen anderen nicht glückt, nämlich eine reduzierte, mehr Fragen aufwerfende als beantwortende Handlung in sich schlüssig, geheimnisvoll-mystisch und unwohlig-gruselig zu präsentieren, leistet Carpenter mit Bravour. Durch die Kombination aus Szenendramaturgie, Bildaufbau und Musik holt er aus seiner Prämisse heraus, was es herauszuholen gibt. Carpenters Intention, das unfassbare, unerklärbare, motivlose und schon gar nicht therapierbare Böse in eine Allerwelt-Mittelklasse-Familie einer idyllischen Kleinstadt hineinzugebären geht nicht nur auf, sondern ist maßgeblich verantwortlich für die schockierende Wirkung von „Halloween“, der den Schrecken zurückbrachte in das zum kitschigen Kostümfest mutierte Fest des keltisch-stämmigen Samhains und an dessen ursprüngliche Mythologie erinnerte.

Doch auch „Halloween“ verfügt über wohldosierten Humor, der sich in erster Linie aus den schnippischen Backfischen ergibt, die neben Dr. Loomis durch die Handlung führen. Die Rollenverteilung sollte sich dabei ebenso klassisch auf das Genre auswirken wie vieles andere: Laurie als vernunftbetonteste und sexuell zurückhaltendste junge Frau der Clique, zu der u.a. P.J. Soles (Riff Randell aus „Rock’n’Roll Highschool“) und Nancy Kyes (ironischerweise unter ihrem Pseudonym Nancy Loomis, „Assault - Anschlag bei Nacht“) zählen, überlebt bis zum Schluss, wurde „Final Girl“ und „Scream Queen“ und verhalf ihrer Rolle als starke, wehrhafte Jugendliche mit ihrer Ausstrahlung und ihrem Talent zu einem zusätzlichen Schuss Charakteristik. Dass es sich bei ihr um die Tochter von „Psycho“-Schauspielerin Janet Leigh handelt, lässt sich einen weiteren Kreis schließen. Eine ebenso glückliche Besetzung war die Verpflichtung von Donald Pleasence, der seine Rolle weniger im Stile eines Therapeuten als vielmehr in einer Mischung aus Privatdetektiv, Unheilsboten und besessenem, getriebenem Kauz spielt und wichtigen Dialogen den nötigen Nachdruck verlieht. Da verzeiht man gern, dass ein Teil der Kinderdarsteller nicht ganz ohne Nervfaktor auskommt, insbesondere in der deutschen Synchronisation. Im nervenaufreibenden Finale kämpft Laurie ums nackte Überleben, bis der Film nach seinem scheinbaren Ende den wahren Schluss offen lässt, woran die erste Fortsetzung direkt anknüpft und die Mythologie der Filmreihe fortsetzt.

Fazit: John Carpenter hat alles richtig gemacht. Er destillierte aus verdienten Vorbildern den Psycho-Thrill, rührte ihn mit einigen deftigen Zutaten des Suspense-Horrors neu an, warf sein Geschick für das Erzeugen filmischer Atmosphäre bei wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln in die Waagschale und schuf damit den Archetypus des in Serie gehenden Slashers sowie mit Michael Myers eine DER Genreikonen schlechthin und erschreckt, fasziniert und inspiriert sein Publikum mit „Halloween – Die Nacht des Grauens“ bis zum heutigen Tage. Nicht ohne Grund zählen Slasher dieser Sorte bis heute zu meinen absoluten Favoriten, wenn es um nicht allzu anspruchsvolle, verhältnismäßig geradlinige, doch in ihrer Simplizität bestechende, spannende und im Falle charismatischer Zentralfiguren sich fest im Gedächtnis verankernde Horrorkost geht. Nettes Trivium: In der Halloween-Nacht des Films läuft Howard Hawks‘ „Das Ding aus einer anderen Welt“ im TV – jener Stoff, mit dessen Neuverfilmung John Carpenter einige Jahre später ein fulminantes, effektreiches Science-Fiction-Horror-Spektakel kreieren sollte. Aber das ist ein anderes Thema.

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