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Kameramann Masuoka (Shin'Ya Tsukamoto) hat ein Faible für den Wahnsinn. So begeistert ihn besonders der von Wahnsinn erfüllte Gesichtsausdruck eines Mannes, den er vor kurzen beim Selbstmord gefilmt hat. Dabei war der Blick des Suizidalfalles im letzten Moment auf eine Tür in den U-Bahn-Schächten gerichtet. Eifrig macht sich jetzt Masuoka auf, den Wahnsinn zu erforschen und kraxelt immer tiefer unter die Erde. Nach einer ganzen Weile stößt er auf ein NACKTES Mädchen (Tomomi Miyashita). Schwarzhaarig, versteht sich... und dazu ist es noch angekettet, hat spitze, Raubtier-artige Zähne und am ganzen Körper Leichen-artige Züge (dunkle Fingernägel, blasse Haut usw.). Masuoka nimmt das Mädel, was er fortan "F" nennt, mit an die Oberfläche in seine Wohnung. Herkömmliche Nahrung verweigernd fristet das Mädel ein monotones Dasein; erst später findet Masuoka heraus, dass Blut das einzige ist, was F will...

"Marebito" ist mal wieder einer der vielen japanischen Filme, die mehr unter der Haube haben, als anfangs anzunehmen ist. Doch während viele westliche Produktionen diese Tiefsinnigkeit vermissen lassen, kommt es auf der anderen Seite auch häufig vor, dass japanische Produktionen den Bogen überspannen. "The Grudge"-Regisseur Takashi Shimizu erzeugte zwar ansonsten eher zugängliche Werke, hier jedoch scheint Hauptdarsteller Tsukamoto ein kleines Wörtchen mitgeredet zu haben. Jener neigt nämlich stark zur Exzentrik. Die von psychologischen und transzendentialen Zügen erfüllte Geschichte ist aber nicht auf seinem Mist gewachsen. Auch muss ich zugeben, dass die Story eine Menge her gibt. In Buchform scheint der Stoff sogar noch zermürbender zu sein, denn als Masuoka anfangs durch Tokyos Untergrund watschelt, kommt ordentlich Atmosphäre auf. Seine steten Monologe erzeugen dann noch eine gewisse Intimität, wodurch einen der Film praktisch gefangen nimmt.

Als aber das Geschehen wieder an die Oberfläche verlagert wird, herrscht erheblicher Stillstand und die Story entwickelt sich kaum. Als Zuschauer ist man sowieso mehr damit beschäftigt, sich Gedanken um Sinn und Bedeutung zu machen. Dabei kann man schon mal beruhigt sein, dass es nicht wieder zum typischen, ausgelutschten Schizophrenen-Mystery ausartet. Natürlich steht der Protagonist voll und ganz im Mittelpunkt; er erforscht gar nicht die komplizierten Geschehnisse um sich herum oder die animalische F, nein: Natürlich muss er mit sich selbst ins Reine kommen. Wie gesagt, ist das hier kein leichter Stoff. Man muss schon mitdenken. Leider bleiben am Ende doch ein paar Fragen offen, also am besten nochmal anschauen...

Von Shimizu erwartet man soliden Grusel, hier findet man ihn aber definitiv nirgends! Der Anfang ist durchaus spannend, mehr aber leider nicht. Überhaupt verwundert einen die harsche Altersfreigabe, weil explizit nie etwas schlimmeres als Blut zu sehen ist (also keine offenen Wunden oder gar Gewaltorgien). Einmal schneidet sich Masuoka mit einem Cutter den Mund kaputt, aber auch hier sieht man nichts Genaues. Eigentlich also ein klarer Fall von FSK 16. Shimizu mag es halt subtil.

Interessant ist auf jeden Fall die Inszenierung: So ist schon einmal der Score echt minimalistisch. Ab und an gibts atmosphärisches, dumpfes Brummen und ein simples Klavierthema begleitet den ersten Auftritt von F und findet später vereinzelt Verwendung. Dann, nach "Ring"- und "The Grudge"-Manier, gibt es auch die beunruhigenden Störgeräusche von Fernsehgeräten. Ich für meinen Teil fand diese Musikkulisse als gelungensten Teil des Films. In optischer Hinsicht gibts auch ungewöhnliches Zeugs: Viel Handkamera (der Protagonist ist ja schließlich Kameramann) und massig Grieselfilter erzeugen einen eigenen Stil. Hier wäre weniger aber mehr gewesen. Bei den Darstellern gibts nichts zu meckern, denn die Rollen sind nunmal anspruchslos. Da konnte Tsukamoto nicht viel falsch machen!

Insgesamt bleibt "Marebito" ein solider Film, der seine Ziele nicht erreicht: Nicht wirklich gruselig, aber durchaus manchmal beunruhigend; er wirft viele Fragen auf, bleibt in ihrer Aufklärung aber nicht konsequent genug. Somit ist der Streifen durchwachsen, aber sehenswert!

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