„Heute Abend hab‘ ich Lust, mich zu betrinken!“
Aussieploitation in Form eines waschechten Slashers – das ist „Nightmare on the Street“ des australischen Regisseurs John D. Lamond, sein dritte Regiearbeit nach dem Mondo „Australia After Dark“ und dem Erotik-Drama „Felicity - Sündige Versuchung“. Der Film erschien 1980 und somit zwei Jahre nach dem Subgenre-Begründer „Halloween“, auch die großen Klassiker „Freitag, der 13.“ und „Maniac“ waren bereits früher dran.
„Du hast die schönsten Titten!“
Als kleines Mädchen hat Cathy (Jennie Lamond, „Breakfast in Paris“) ihre Mutter (Maureen Edwards, „Ein Schrei in der Dunkelheit“) bei sexuellen Handlungen mit ihrem Liebhaber im fahrenden Auto überrascht und dadurch einen Unfall verursacht, zudem ihre Mutter versehentlich mit einer Scherbe der zersprungenen Autoscheibe tödlich verletzt. Man gibt dem Mädchen die Schuld am Tod ihrer Mutter und traumatisiert es dadurch zusätzlich. 16 Jahre später nennt Cathy sich Helen (Jenny Neumann, „Hell Night“) und ist eine junge, attraktive Schauspielerin geworden. Doch beim Einstudieren eines Theaterstücks, das sich mit dem Thema Tod auseinandersetzt, kommen die Erinnerungen, all die unterdrückten Schuldgefühle und schmerzhaften Gefühle wieder hoch. Parallel dazu beginnt eine unheimliche Mordserie im Theaterumfeld…
Der Prolog zeigt die Ereignisse aus dem Winter 1963 und damit die Traumatisierung des Kindes. In die Gegenwart steigt John D. Lamond mit einer Sexszene ein, die voyeuristisch gefilmt die Brüste der kopulierenden Dame in Großaufnahme einfängt. Ein offenbar weiblicher Killer schleicht in subjektiver Point-of-View-Perspektive umher und meuchelt ein nacktes Liebespaar. In der Folge lernt man Helen kennen, erfährt von ihrer schlimmen Kindheit und dass sie aufgrund derer ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität hat, gar noch Jungfrau ist. Sensibel nähert sich Schauspielkollege Terry (Gary Sweet, „Alexandra's Project“) ihr an und zeigt aufrichtiges Interesse an Helen – hysterische Anfälle während Theaterproben hin oder her. Zudem belauscht er ein Gespräch zwischen ihr und einer garstigen älteren Person; der gewiefte Zuschauer denkt natürlich sofort an „Psycho“ und die Zwiegespräche zwischen Norman Bates und seiner Mutter – die längst tot und Teil seiner gespalteten Persönlichkeit ist. Lamond schneidet die immer gleichen Szenen aus Helens Vergangenheit zwischen, um ihre Traumatisierung zu verdeutlichen. Tatwaffe der grassierenden Mordserie ist derweil stets eine Glasscherbe, und jedes Mal trifft es Menschen, die gerade Sex haben. Der Verdacht lastet also eindeutig auf Helen. Will ein skrupelloser geisteskranker Mörder den Verdacht auf Helen lenken? Welche geniale Handlungswendung wird „Nightmare on the Street“ präsentieren? Es bleibt spannend!
Plötzlich imaginiert Helen Tagträume der Morde – handelt es sich bei ihr um eine gespaltene Persönlichkeit? Ein weiteres Opfer wird nackt durch die Straßen gejagt und am Ende erweist sich der Anfangsverdacht als richtig, die Täterin ist schlicht und ergreifend die durchgeknallte Helen. Das wirkt dann doch ziemlich plump, als hätte sich Lamond nicht recht entscheiden können, ob er seinem Slasher ein Whodunit? gönnt oder á la „Halloween“ von vornherein mit offenen Karten spielt. In letzterem Falle hätte man wenigstens aus der Frage nach dem Motiv noch Spannung ziehen können, doch die psychopathologischen Hintergründe serviert bereits der Prolog auf dem Präsentierteller. Einen bewussten Bruch mit der Erwartungshaltung des Zuschauers vermute ich ebenfalls nicht, denn 1980 dürfte man bei einem Slasher wie diesem noch nicht um drei Ecken gedacht und einen Plottwist erwartet haben. So dramaturgisch unglücklich Lamonds augen- und im Falle des Soundtrack auch ohrenscheinlich stark von Hitchcocks „Psycho“ inspirierter Film auch sein mag, mit seinem hohen Gehalt nackter Haut und blutiger Morde unterhält er den Genrefan durchaus passabel. Dass er nur marginal überhaupt eine richtige Geschichte erzählt und viele Fragen offen lässt – z.B. weshalb sämtliche Morde unentdeckt bleiben –, kann er jedoch nicht überspielen. Dafür macht es aber Spaß, dem Darsteller-Ensemble zuzusehen, das sich engagiert zeigt und gern einmal zum Overacting neigt. Dies wiederum passt zur Karikatur der selbstverliebtem Theaterszene, die „Nightmare on the Street“ sicherlich auch ist, und visuell macht der Streifen durchaus auch etwas her, entwickelt auch wohlige Slasher-Atmosphäre. Außerdem lernt der Zuschauer, dass es Unglück bringt, im Theater zu pfeifen und darf sich fragen, ob Michele Soavi hierin die Inspiration für seinen Theater-Slasher „Aquarius“ alias „Stage Fright“ fand.
Für die einen Sex-und-Gewalt-Schund, für die anderen als ok durchgehende Genrekost.