Die erste Staffel „Lost“ war eingeschlagen wie eine Bombe im amerikanischen und auch internationalen Fernsehprogramm und so sollte die Serie nicht wie „Surface“ ein verfrühtes Ende finden. Clever konstruiert war der mörderisch spannende Doppel-Cliffhanger, welcher die Fans geradezu gieren ließ nach den Ereignissen der zweiten Staffel. Was sich innerhalb der Luke befindet wird erklärt, das Verschwinden von Michaels Sohn Walt bleibt aber weiterhin mysteriös.
Schon in den ersten Episoden überschlagen sich nun die Ereignisse, neue Charaktere werden eingeführt und weitere interessante Flashbacks erhellen Stück für Stück die Vergangenheit der zahlreichen Protagonisten. Das altbewährte Konzept stets eine Person in den Vordergrund zu stellen wird wieder angewandt und wurde nur im vorherigen Staffelfinale abgewandelt.
Schon in der ersten Season wurden ernste Themen wie die politische Situation im Irak oder Drogenabhängigkeit thematisiert, und auch die neuen Figuren bieten facettenreiche Hintergrundgeschichten. Am interessantesten sind sicherlich die neuen Charaktere Anna Lucia und Mr. Eko, erstere eine heißblütige Polizistin mit Hang zum Waffengebrauch. Ekos Figur ist zutiefst tragisch gezeichnet, so wurde er als Kind in Nigeria entführt und zum Söldner gemacht.
Dramaturgisch ist das Timing für eine Erweiterung der Gruppe einfach perfekt und so stellt es für den Zuschauer keine Probleme dar mit den Neuen klar zu kommen. Erstaunlich wie leichtfüßig eine gesamte Folge („Die anderen 48 Tage“) inszeniert sein kann, in der keiner der bisher bekannten Darsteller auftritt und die Handlung nicht weiter erzählt wird, sogar auf Flashbacks wird verzichtet. In kurzen Sequenzen widmet man sich hier dem Schicksal der restlichen Überlebenden des Flugzeugabsturzes – durch Entführung, Mord und Unfälle ist die zweite Gruppe allerdings auf eine kleine Handvoll geschrumpft.
Die mysteriösen „Anderen“ nehmen erstmals richtigen Kontakt auf mit der Gruppe, Antworten werden hier aber noch keine geliefert. Trotzdem bleibt die Spannungsschraube nahezu ständig stramm angezogen; nur in den überlappenden Handlungssträngen und den emotionalen Momenten wird das gnadenlos hohe Tempo etwas zurückgenommen. Höchste Priorität hat aber die Zeichnung der Charaktere, auch bereits verstorbene Personen können noch in den Rückblenden entscheidende Auftritte liefern und sind so nicht ganz verloren für die Produktion der Serie. Selbst wenn auf der Insel wenig passiert, erfährt der Zuschauer regelmäßig Details aus der Vergangenheit, die ihre eigene Dynamik entwickeln und so selber spannend wirken ohne den Erzählfluss zu verlangsamen. Außerdem wartet fast jede Episode mit einem eigenen Cliffhanger auf, da lässt sich die ungeheure Menge an Nebenhandlungen durchaus verschmerzen, am Ende jeder Folge fiebert man der weiteren Entblätterung der Geschichte entgegen.
Beinahe jeder Konflikt und jede Wendung wirkt glaubwürdig und äußerst innovativ erzählt, mittlerweile haben sich die Darsteller auch hervorragend in ihren Rollen eingefunden. Gab es schon vorher nichts zu beanstanden, so laufen in der ersten Hälfte der zweiten Staffel besonders Naveen Andrews, Dominic Monoghan und Jorge Garcia zu totaler Hochform auf. Verbindungen zwischen den einzelnen Personen werden zaghaft weitergeführt, insgesamt lassen die zwölf Folgen noch mehr auf ein voluminöses Serienfinale hoffen, welches aber noch in weiter Ferne liegt. Die Chemie innerhalb des Ensembles stimmt einfach perfekt und mittlerweile ist der Zuschauer mit jedem einzelnen Charakter bestens vertraut.
Fazit: Die ersten zwölf Episoden der zweiten Staffel überzeugen mit konstant gut geschriebenen Drehbüchern und einer somit absolut würdigen Fortsetzung der komplexen Storyline. Unterhaltsam, emotionsgeladen und technisch perfekt umgesetzt – was früher gutes Kino war, ist heute gute TV-Kost und „Lost“ gehört sicher auf jeden geschmackvollen Speiseplan.
7,5 / 10
Noch ein Wort zur DVD-Veröffentlichung: Wie auch „C.S.I.“ oder auch „Grey’s Anatomy“ veröffentlicht der Hersteller die einzelnen Staffeln gesplittet in jeweils zwei Teilen. Fans werden also quasi doppelt zur Kasse gebeten, was vor allem bei umfangreichen Serien wie „C.S.I.“ ganz einfach nur als Frechheit oder dreiste Schröpfung des Konsumenten zu bezeichnen ist.