“Break & Circus” könnte sinngemäß mit “Brot und Spiele” übersetzt werden. Der Ursprung liegt im römischen Reich; Politische Machtspiele durchzogen mit Intrigen, Verrat und Mord waren das eine - der dumme Pöbel das andere. Aber wie auch heute noch: was interessiert es den Pöbel wie die Politik aussieht wenn es bei Laune gehalten wird? Blutige Zirkusspiele in denen Gladiatoren gegeneinander, oder zusammen gegen wilde Tiere oder einfach gegen unbewaffnete Andersgläubige antraten - das wollte das Volk sehen. Ablenkung eben von dem, was nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Doch auch musste das Volk genährt werden, Nahrungsmittel wurden ausgegeben, es kam nicht auf dumme Gedanken zu stehlen, war genährt und zufrieden. Wie sieht es aus wenn ein norwegischer Filmemacher dieses Konzept aufgreift, es variiert, überspitzt? In die Gegenwart überträgt, es weiter fortführt? Wenn die Regeln der Politik nicht mehr greifen, wenn das Volk sich von seinem faulen Arsch erhebt, hinter das System gucken will?
Das ist “Break & Circus”; ein filmischer Einstand der besonderen Art. Martin Lokes Debut lässt sich vom filmischen Potential am ehesten mit einer furiosen Mischung aus der rohen Comic-Gewalt eines “Bad Taste”, gepaart mit herrlich bösestem “Monty Phyton” Humor, einer Prise gesundem Krankseins eines “John Water” Filmes und einer kräftigen Portion Gesellschaftskritik im surrealen Gewand beschreiben. Keine Frage, der Film hebt sich erfrischend vom sonstigen Einheitsbrei ab; ein Film der das Zeug zum Geheimtip hat. Doch was ist die Geschichte?
Man muss dazu sagen das es keine wirkliche Geschichte gibt; der Film wirkt auf jeden Menschen anders, lässt sich interpretieren, wirft Fragen auf um sie gleichzeitig zu beantworten. Komplizierte Kost, doch irgendwie verständlich. Denn der Film ist das Leben, beginnt mit dem Leben. Zwei Beine ragen durch den Himmel, zwischen ihnen die Erdkugel - eine Geburt findet statt. Unter Stöhnen wird ein Mensch geboren, vollkommen ausgewachsen, alle Merkmale ausgebildet - wie es einst Platon bezeichnete: der Mensch ist von Geburt an gleich: eine Wachstafel die leer ist, die geprägt wird durch die Umwelt, in der die äußeren Einflüsse ihre Zeichen hinterlassen. Aus der vaginalen Öffnung des Bodens wird der Mann geboren, die Nabelschnur an ihm haftend. Ein Mönch (hier die (heilige) Mutter repräsentierend nimmt ihn an sich, säubert ihn und nachdem der Nackte durch einen roten Vorhang (die Sünden der Welt erwarten ihn) getreten ist, ist er auf sich alleine gestellt. Ein Aktenkoffer voll mit leerem Papier (die besagte Wachstafel), fest an ihn gekettet begleitet ihn. Doch er verlässt den Weg, will neues ausprobieren, sich fernab der gesellschaftlichen Normen bewegen. Da wird ihm von einem schrulligen Alten (das Leben der Straße, jemand der die bittere Wahrheit des Lebens kennt) aufgeklärt: jeder der “anders” ist, ob krank oder gesund, schlau oder dumm - eben jede die dem System auf ihre Weise gefährlich werden können, werden in diesem Wald von den Soldaten des Systems getötet. Doch das System kann gestürzt werden, es gibt Wege - diese betritt der Mann und eine abenteuerliche Odyssee durch das Leben beginnt…
Starke Kost, bereits die ersten fünf Minuten lassen sich bereits interpretieren, deuten - und das ist nur eine Deutung von vielen. Der Film regt zum nachdenken an, hinterfragt - benutzt dabei auch all die Mittel die wir kennen: Mitleid, Hass, Gewalt, Liebe - alles menschliche Gefühl, jegliche Art. Kannibalismus (“die Revolution frisst ihre Kinder”) ist nur eine der vielen Symbolismen die man in dem Film entdecken kann. Zwar werden politisch geschulte sich diesen Film weniger ansehen, erstens weil er einfach viel zu abgefahren ist, zweitens weil er die Systeme viel zu stark hinterfragt, ironisiert. Dies geschieht in so surrealen Bildern das man es einfach nicht wiedergeben kann, selbst wenn man wollte. Ich zumindest bin noch so beeindruckt von dem Film - eine Ausgeburt kreativen Schaffens wie man sie lange nicht mehr gesehen hat. Hier werden keine Motten auf Zelluloid gebannt, der Surrealismus ist ein anderer. Wer sich dafür nicht interessiert - das macht nichts. Der Film unterhält auch so; selbst eingefleischteste Gore-Freunde werden mit ihm Spaß haben da die Effekte sehr zahlreich sind, extrem krude und wahnsinnig abgefahren. Köpfe werden durchtrennt, Beine abgenagt, Leiber durchfetzt. In einer der wahnwitzigsten Szenen klaut ein Irrer einen Wagenschlüssel, schluckt ihn runter - mittels Kantanaschwert wird der Körper zweigeteilt und der Schlüssel zwischen Milz und Leber in den Eingeweiden herausgepult. Und auch wenn man nichts anderes will als sich am Bilderrausch zu ergötze, etwas bleibt immer hängen.
Der “Humor” der dies alles hinterfragt ist wie gesagt extremst krude - da werden halbvolle Flaschen zwecks Stoppung einer Blutung in den Anus geschoben; der Durst lässt diese wieder rauskacken und die kotverschmierte Flasche wird wieder angesetzt. Und das ist noch eine der harmlosesten und wenig “innovativsten” Ideen; “schlimmer geht nimmer” möchte man fast meinen, jedoch wird immer wieder einer draufgesetzt (z.B. die Frau die sich durch einen mit Scheiße beladenen Anus wühlt um von einer Ziege ausgekackt zu werden!). John Waters provokante Filme haben einen sichtlichen Einfluss auf Loke hinterlassen. Der Regisseur himself hat auch zwei kleinere Rollen in dieser Geschichte über das Leben; so wahnsinnig auch alles ist - es ist doch ein Körnchen Wahrheit dahinter.
Dahinter…hinter der Kamera: was für Bilder sprechen hier? Wilde Bilder sind es die die Kamera einfängt; schnelle Bilder, langsame, verzerrte. Auf Stilmittel wie Farbverfremdungen wird verzichtet - wir sind im Leben - so wie es ist, ohne Spielereien. Vielleicht macht das auch mit den Reiz aus; das in einem surrealen Film zumindest die Kamera, das Auge, der Augenzeuge normal ist. Schwindelerregende Höhen fängt das Auge ein, suhlt sich auch mal im Schlamm; doch es ist immer am geschehen, blendet selten weg. Der Stil gefällt jedenfalls absolut. Dabei gibt es eher nur eine “sinnlose” Abfolge von Bildern, manchmal scheinbar völlig aus dem Zusammenhang gerissen - König, Militär, Wahnsinniger und kackender Mann - alle Menschen, alle auf einem Planeten. Jeder wo sein Platz, jeder ein Hindernis oder eine Hilfe - je nachdem wer lang kommt auf diesem Weg. Ein Weg den ein jeder Mensch gehen muss, wird und soll. Ein Weg, hineingeboren in der Welt, festgeschrieben durch Schule, Leere, Ehe, Tod. Geht man ihn so lebt man, geht man ihn nicht - so wird man sehen was man erlebt; aber eines ist sicher: gehen tut ihn jeder.
Abschließende Worte, vielleicht nicht ganz passend; vielleicht nicht inhaltlich, vielleicht doch. Es klingt wirr, es ist wirr, aber es hat eine Menge Spaß gemacht. Der Film ist Independent, er ist Underground, er betritt Neuland - aber er ist nicht billig. Es sind “echte” Kameras, “echte Kostüme”, es sind vielleicht “unechte” Darsteller, aber es ist eine “echte” Optik - es ist ein Erlebnis sondergleichen. Kommt teilt es mit mir!
P.S.: Dieses Review ist ohne Einfluss von Drogen entstanden - der Film wirkt aber wie eine Droge, weil er einfach so krass von den normalen Sehgewohnheiten abweicht! Dabei noch nicht erwähnt, aber auch sehr wichtig ist hierbei der meist klassische Score, der dem Film einen Flair von "Clockwork Orange" gibt und dieses "Anderssein" noch unterstreicht.
Sehr gute 8/10 - zu der 9 und drüber fehlt nicht mehr viel. Vielleicht beim nächsten Mal schauen…denn der Film ist, auch wenn es nicht so scheint, zu vielschichtig.