„Ich habe in den Flur gekackt – vor jede einzelne Tür!“
Nach dem in Schwarzweiß gedrehten „Ekel“ mit der weiblichen Hauptrolle Catherine Deneuve schuf Regisseur Roman Polanski mit „Der Mieter“ nach dem Roman „Le locataire chimérique“ von Roland Topor im Jahre 1976 einen weiteren Psychothriller, in dem eine eigentlich unauffällige Person schizophrenem Wahn verfällt, und übernahm diesmal auch gleich persönlich die Hauptrolle als Trelkovsky.
Trelkovsky ist ein übervorsichtiger und Unsicherheit ausstrahlender Typ, der sich auf Wohnungssuche in Paris befindet. Er findet eine Wohnung, doch wird diese nur frei, weil die Mieterin nach einem Selbstmordversuch schwerverletzt im Krankenhaus liegt und kaum noch Hoffnung für sie besteht. Nach ihrem Tode bezieht Trelkovsky die Wohnung, wird aber von den spießigen bis verschrobenen Nachbarn nicht sonderlich gut aufgenommen und fühlt sich beobachtet. Nach einiger Zeit entwickelt er den Verdacht, dass man ihn in die Rolle der toten Vormieterin hineindrängen, ihn zu ihr machen will…
Tja, als Mieter hat man es, gerade in einer Großstadt, nicht immer leicht. Um sein Grundbedürfnis nach einem Dach über dem Kopf zu befriedigen, ist man von den Gnaden der Wohnungs- und Hausbesitzer abhängig und muss sich häufig bis zur Unkenntlichkeit verstellen, möchte auf dem überstrapazierten Wohnungsmarkt nicht leer ausgehen. Trelkovsky ist sich dessen bewusst und verhält sich daher zurückhaltend und überfreundlich während der Wohnungsbesichtigung. Die unfreundliche Concierge, ein wahrer Drachen, konfrontiert ihn ummittelbar und ohne sonderliche Gefühlsregung mit dem just stattgefundenen Unglücksfall und scheint ihn dabei fast selbst aus dem Fenster stoßen zu wollen. Nachdem er sich mit dem zu allem Überfluss auch noch im gleichen Haus lebenden, knorrigen Vermieter trotz seiner sich als unvorteilhaft erweisenden polnischen Herkunft einig geworden ist, muss er zynischerweise auf ein baldiges Ableben der Vormieterin hoffen, um die Wohnung beziehen zu können.
Trelkovskys Wohnung wirkt nicht unbedingt einladend, eher düster und unbehaglich – passend zum Wahnsinn, der sich hier und um sie herum abspielen wird. Denn begleitet bzw. unterstrichen von einer exzellenten Kameraarbeit, die Trelkovskys aus den Fugen geratende Welt mit einigen optischen Kniffen visualisiert, entwickelt Trelkovsky eine ausgeprägte Paranoia, bis er sich nur von kurzen Momenten der Gegenwehr unterbrochen in seine ihm aus seiner Sicht zugedachten Rolle einfügt, sich als seine Vormieterin verkleidet und schließlich die gleichen verhängnisvollen Entscheidungen trifft.
Damit ist „Der Mieter“ eine Anklage eines das Individuum einengenden, erdrückenden gesellschaftlichen Umfelds, von dem es einerseits abhängig ist, andererseits aber nicht akzeptiert wird – aus oberflächlichen Gründen wie eines „falschen“ Lebensstils, einer körperlichen Behinderung, einer ausländischen Herkunft. Es wäre kaum verwunderlich, hätte der wie seine Figur polnischstämmige Polanski persönliche negative Erfahrungen aus seiner Zeit in Frankreich verarbeitet. Doch „Der Mieter“ hat auch eine starke komödiantische Seite: Trelkovsky ist oft tollpatschig und unbeholfen und sorgt hier und da für kleine Slapstick-Einlagen, viele Gestalten wirken skurril und überzeichnet und einige Situationen wahrhaft grotesk: Als Beispiel sei hier nur sein Arbeitskollege genannt, der in seiner Wohnung bei lauter Marschmusik entspannt und seine sich beschwerenden Nachbarn forsch abkanzelt. Und als Polanski als Trelkovsky in Frauenkleidung schlüpft, sich eine Perücke aufsetzt und Lippenstift aufträgt, wirkt dies auch eher witzig als alles andere. Dadurch erscheint „Der Mieter“ zwar durchaus unterhaltsamer als „Ekel“, aber auch weniger konsequent. Ich habe ohnehin immer so meine Probleme mit der Verquickung komödiantischer Einlagen mit ansonsten ernst angelegten Stoffen, muss hier aber zugeben, dass ein satirisch-parodistisches Element eigentlich die gesamte Laufzeit über mitschwebt.
Den Großteil der Handlung erlebt man aus Sicht Trelkovskys, wodurch auch für den Zuschauer Realität und Wahn verschwimmen und nicht immer eindeutig ist, was sich gerade lediglich in Trelkovskys Psyche abspielt. Eigentlich ein überaus geschicktes Stilelement, jedoch scheint sich mir dadurch eine gewisse Beliebigkeit eingeschlichen zu haben. So entstehen einige Szenen, die überaus bedeutsam erscheinen, aber nicht wieder aufgegriffen bzw. geklärt werden. Was hat es mit dem Zahn in der Wand auf sich? Was machen die Nachbarn, die sich im externen Toilettenraum versammeln? Oder findet all das nur in Trelkovskys Phantasie statt? Wenn ja, wäre das ziemlich profan. Wenn sich die Nachbarn tatsächlich allabendlich im Gemeinschaftsklo treffen, um stumpf und ohne zu versuchen, unerkannt zu bleiben, in Trelkovskys Wohnung zu glotzen, wäre es das allerdings auch. In solchen Momenten erwartet der Zuschauer eine gewitzte Erklärung, einen Aha-Effekt, der leider ausbleibt. Wenn Trelkovsky glaubt, sich physisch auf Leben und Tod mit einem Eindringling in seine Wohnung auseinandergesetzt zu haben, warum berichtet er nach seiner Flucht zu Freundin Stella nicht davon? Ich kann gut damit leben, angehalten zu werden, selbst darüber nachzudenken, inwieweit er Opfer eines Komplotts seiner Nachbarn ist oder seiner derangierten Psyche ist. Sämtliche Ungereimtheiten auf seinen geistigen Zustand zu schieben, ist mir aber zu einfach – evtl. ist meine Erwartungshaltung an einen Polanski aber auch schlicht exorbitant...
Technisch ist „Der Mieter“ zweifelsohne stets auf der Höhe, Polanski ist sicherlich nicht der größte Schauspieler, macht seine Sache aber passabel, andere Figuren bzw. die sie verkörpernden Darsteller bleiben nicht zuletzt aufgrund ihrer pointierten Charakterzeichnungen im Gedächtnis haften und die Machart des Films inkl. seines Detailreichtums mag mich vielleicht nicht auf ganzer Linie überzeugen, erscheint aber ausreichend extraordinär, um sich eine langfristige Präsenz im Hirn des Filmfreunds zu sichern. Geradliniger auf Psychoterror oder eben Unterhaltung ausgelegte Polanskis gefallen mir dann aber doch noch besser.