Review

Nicht erst seit Marc Caro oder Jean-Pierre Jeunet ist in der Filmwelt bekannt, dass wenn man einem französischen Regisseur bei der Umsetzung eines Projekts gestattet, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, oftmals etwas sehr kreatives, abgedrehtes und/oder ausgefallenes am Ende herauskommt (Jan Kounen wäre da ein Idealbeispiel, wäre er nicht gebürtiger Niederländer). In diesem Fall haben wir es mit gleich zwei dieser Sorte zutun, nämlich mit den Brüdern Didier und Thierry Poiraud – ihres Zeichens zudem noch Comic-Zeichner sowie für die Inszenierung diverser Werbespots und Videoclips verantwortlich. Wenn man nun weiß, dass bei „Atomik Circus“ Elemente aus all diesen Bereichen ungebremst miteinander vermengt wurden, kann man schon erahnen, wie das Endprodukt wohl aussieht – letztendlich ist es aber nahezu unmöglich, sich auf diese Weise, also nach dem, was man „auf dem Papier“ an Informationen zur Verfügung hat, im Vorfeld ein akkurates Bild auszumalen, denn gerade die visuelle Umsetzung dieses wilden Genre-Mixes ist sowohl schwer zu beschreiben als auch seine größte Stärke. Interessant wäre es daher mal, das eigentliche Drehbuch hiervon in die Hände zu bekommen…

Ein Engagement führt den Stuntman James Bataille (Jason Flemyng) ins abgelegene Kaff Skotlett. Im Rahmen eines kleinen Festivals, welches der Barbesitzer Bosco (Jean-Pierre Marielle) jährlich (mit einer lokalen Talentshow im Mittelpunkt) für die Bewohner des Ortes organisiert, soll er mit seinem Motorrad über eine Reihe von Fässer springen. Augenblicklich verliebt er sich bei seiner Ankunft jedoch in Boscos schöne Tochter Concia (Vanessa Paradis), einer Chanteuse mit bezaubernder Ausstrahlung und Stimme, was ihrem Vater gar nicht recht ist, da sie die Gefühle offensichtlich zu erwidern scheint. Umso wütender reagiert er, als der Stunt misslingt und James im Verlauf seine Bar verwüstet – die Sache wird als terroristischer Akt ausgelegt, das Urteil in Form von 133 Jahren Zuchthaus gefällt (immer gut, wenn der Richter ein Verwandter des „Opfers“ ist)…
Genau ein Jahr später: Das Gebäude hat man wieder aufgebaut, und am Abend soll pünktlich zum Festival die Wiedereröffnung gefeiert werden. Während sich die Bewohner also in der Schlussphase ihrer Showvorbereitungen befinden, gelingt James die Flucht aus dem Bezirksgefängnis. Zufuß macht er sich auf in Richtung seiner Herzdame, trifft aber unterwegs auf einige Probleme, beispielsweise in Gestalt von zwei Motorradcops oder einem etwas merkwürdigen Hinterwäldler, der zusammen mit seiner Großmutter auf einer alten Farm inmitten des Waldes lebt. Derweil erleidet der Musikproduzent Allain Chiasse (Benoit Poelvoorde) eine Autopanne und strandet in Skotlett, wo ihm Concia sogleich ins Auge fällt. Nur darauf aus, sie möglichst rasch ins Bett zu bekommen, spielt er sich als großer Scout der Platten-Industrie auf, wodurch er Boscos Aufmerksamkeit gewinnt, da der größte Wunsch dessen Tochter eine Musikkarriere ist…
Als James den Ort dann gegen Ende des Tages erreicht und die Talentveranstaltung in der nun eröffneten Kneipe in vollem Gange ist, glaubt sich der bislang erfolglose Chiasse seinem Ziel ganz nahe, da Concia auf seine Versprechungen angesprungen zu sein scheint – wären da nur nicht diese verfluchten Schmerzen in seinem Hintern sowie die gerade draußen anlaufende Invasion fliegender außerirdischer Tentakelmonster…

Es ist die Fülle der abstrusen und skurrilen Ideen sowie deren ganz selbstverständliche Einbindung in dieses wackelige Gerüst einer Story, die den Film funktionieren lassen, denn aufgrund der nahezu ernsthaften Herangehensweise an die humoristischen Motive wird ein Abdriften in alberne Gefilden gekonnt verhindert. Einige werden das sicher ganz anders sehen, doch es ist zu bedenken, dass wir es hier mit einem reinrassigen Vertreter der Sparte „Trash“ zutun haben – und wenn die Macher schon mal (sage und schreibe) 14 Millionen als Budget dafür zur Verfügung hatten, kann man schon einiges erwarten. Auf den ersten Blick fällt die schöne Edeloptik ins Auge: Stimmungsverstärkende Farbfilter, gute, ausgefallene Kameraarbeit (interessante Winkel und Perspektiven, verwackelter Handkamera-Einsatz im genau richtigen Maße bei den Actionszenen etc) und eine Qualität der Special F/X, die man ganz bewusst nicht zu glatt und/oder perfekt gestaltet hat. Die Aliens wecken Erinnerungen an die Tripods von HG Wells, nur dass sie schweben, menschliche Gesichter fressen, Tentakel besitzen sowie von fliegenden kleinen silbernen Metalldiscs begeleitet werden. Die CGI-Arbeit in diesem Bereich ist vollkommen in Ordnung, was genauso für die „menschliche Kreatur“ gilt, aber halt nicht makellos, was ein fast nostalgisches Sci-Fi-Gefühl vergangener Zeiten oder eines alter Invasionsfilme ansatzweise einzubinden vermag. Diese Assoziationen werden noch durch eine Vielzahl anderer Elemente verstärkt: Das Ende, welches ich an dieser Stelle nicht verraten möchte, besitzt aufgrund seiner Art ein klassisches, bizarres Retro-Feeling, einige Hintergrundprojektionen sind (beabsichtigt) als solche zu erkennen (wie etwa bei Tarantinos „Kill Bill“), genauso wie die verwendeten Matte-Paintings. Der Knaller ist aber die wichtige Rolle eines Hundes, für die man nicht etwa einen echten Vierbeiner genommen hat, sondern etwas, das in meinen Augen irgendwie nach einer Kombination aus Handpuppe und Animatronic aussah – und dermaßen unecht, dass es schon wieder absolut köstlich ist! All diese Elemente liefern dem Werk eine abgedrehte, surreale Note, die im Gesamtbild zu überzeugen vermag.

Ich schätze mal, Hauptdarsteller Jason Flemyng (“Snatch“/“Bruiser“) ist der französischen Sprache eigentlich kaum bis gar nicht mächtig, denn er fällt (nicht nur bei Kraftausdrücken) öftermals zurück ins britische, obwohl er seine andersartigen Zeilen trotzdem gut rüberbringt (so wie Ron Perlman damals in „Cité des enfants perdus“). Viel Dialog hat er ohnehin nicht, denn die erste Hälfte des Films verbringt er zum größten Teil auf der Flucht, die zweite im Kampf mit den Aliens, nachdem er endlich am eigentlichen Ort der Handlung angekommen ist. Letztendlich wird er genauso wenig (schauspielerisch) gefordert wie die hübsche Vanessa Paradis (aka „Zahnlücke“ oder „Ms Johnny Depp“), die entweder einfach nur verführerisch vor der Kamera stehen muss und/oder genauso bezaubernd singen darf. Es ist aber auf jeden Fall schön, sie mal wieder in einem (interessanten) Film zu sehen. Jean-Pierre Marielle („Da Vinci Code“) und Benoit Poelvoorde („Narco“) überzeugen ebenfalls – letzterer spielt seine sexistische Rolle herrlich schmierig.

Natürlich ist so ziemlich alles an „Atomik Circus“ abstrus, schräg und eigenwillig (Handlung, Optik, Figuren, Umsetzung). Da verwundert es kaum, dass der Film mit einem Astronauten beginnt, der irgendwie/irgendwo durch Raum und Zeit zu fallen scheint, dann einen eher humorig realistischeren Weg im Stile der „Coen Brothers“ einschlägt – nur um zum Schluss in einer fantastischen Sci-Fi-Splatter-Melange zu münden, voller Zitate aus Werke a la „Undead“, „War of the Worlds“ oder gar den Schriften HP Lovecrafts (in einer Szene werden die Invasoren nämlich als „Shub-Niggurath“ bezeichnet – einer Gottheit, die (u.a.) in einem von Lovecraft geschriebenen Brief als „bösartiges, wolkenförmiges Wesen“ charakterisiert wird). Der rote Lebenssaft spitzt in bestimmten Szenen (hauptsächlich Enthauptungen) recht großzügig, vor allem im Verlauf eines ausschweifenden Massakers, bei dem man gar einige Gedärme zu Gesicht bekommt. Ferner können schon mal nordische Mariachis oder AK-47-schwingende Hinterwäldler (mit ner ausgestopften Großmutter) durchs Bild laufen, kann ein Hund mit seinem Geheule an der Talentshow teilnehmen (mal muss nur auf eine Wunde/ein Geschwür drücken, dann geht´s los!) oder eine Leiche auf der Straße ein übles Ende nehmen.

Selbst die Szenerie ist angepasst eigen: Wo genau Skotlett eigentlich liegen soll, ließ sich mir auch rückwirkend nicht erschließen – die Umgebung sieht wie Cajun- oder Bayou-Gebiet aus, was aber nicht so ganz hinkommt (nicht nur, weil die Dreharbeiten in Deutschland(!), Frankreich und Portugal stattfanden). Letztendlich gefällt mir der Film aber gerade aufgrund solcher Aspekte, wodurch selbst Einfälle, die woanders leicht ins Nervige abgleiten könnten, mit Wohlwollen aufgenommen werden – wie dass sich die Regisseure zweimal einfach die Zeit nehmen, Vanessa ein Liedchen trällern zu lassen und dieses dann noch im Stile eines Videoclips (in voller Länge ausgespielt) umzusetzen. Ihr Auftritt in der Bar ist dabei allein schon aufgrund der Beleuchtung und Kameraarbeit in Sachen Atmosphäre kaum zu übertreffen…

Fazit: „Atomik Circus“ ist purer Trash der besten Sorte! Hinterwäldler, Aliens, Motorradstunts, Astronauten, sexuelle Belästigung, ein Gefängnisausbruch und die große Liebe – das alles in schicken Bildern verpackt, von einem starken Soundtrack begleitet sowie kreativ mit einem Augenzwinkern umgesetzt…was kann man mehr von einem Film dieser Art verlangen?

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