Jetzt hat also auch Österreich sein "Blair Witch Project", wobei gleich hinzugefügt werden soll, daß es sich bei diesem Vergleich um eine rein inhaltliche Referenz handelt, stilistisch nämlich könnten die Welten dazwischen gar nicht größer sein. Eine junge konservativ-steife Frau tritt eine Stelle als Empfangsdame in einem abgelegenen Hotel am Semmering (Grenzpaß zur Steiermark im südöstlichen Niederösterreich) an, um dort sukzessive in den Bann einer Legende zu geraten, die eine alte Hexe, "Waldfrau", als Grund für das spurlose Verschwinden ihrer Vorgängerin kolportiert. Von ihren Vorgesetzten eher kühl behandelt, von ihrer Kollegin mißtrauisch beäugt, spinnt sie sich immer tiefer in ein Netz von Befürchtungen und Ängsten, bis auch sie in einer Nachtschicht in den Wald geht, weil sie vermeint, etwas gehört zu haben, und nicht mehr zurückkehrt.
Der Eindruck, den man während des Films bekommt, wird am Ende durch die Credits gefestigt, daß nämlich der größere Teil der Crew mit dem Einrichten der Sets beschäftigt war: die Dekoration und Ausstattung ist umfangreich und von hoher Qualität. Das Hotel selbst steht dem aus "The Shining" bekannten Overlook (übrigens im kanadischen Alberta mitten in einem ebenfalls weitgehend unbesiedelten Waldgebiet gelegen) nichts nach, auch wenn in Österreich der nächste Ort meist nicht allzu weit ist. Doch im Medium Film lassen sich durch Bildausschnitt und Rahmung erstaunliche Welten der Isolation erschaffen und so gelingt es Jessica Hausner tatsächlich ein bisweilen fast avantgardistisches Klaustrophobiespiel zu inszenieren.
Als geeichter Horrorfilmfreund vermeint man im schattenzerrissenen Wald den argentofizierten Schwarzwald in "Suspiria" wiederzuerkennen, das verlassene Schwimmbad hat einen Hauch von "Zeder" und ein blinder Zimmerflur verschwindet in einem Dunkel, das aus Lynchs "Lost Highway" stammen könnte. Wieweit dies gewollte Referenzen sind, kann ich nicht beurteilen, jedenfalls zeigen sie, daß Hausner durchaus die Basistopoi des Horrorfilms verinnerlicht hat und sie auch gekonnt einzusetzen vermag. Letztendlich bedarf es auch keiner großartigen Effektecrew oder einem Computerdesignerheer, um Unbehagen zu erzeugen, ganz im Gegenteil: weniger ist in diesem Fall immer mehr. Denn echte Angst ensteht nur durch Andeutung und Nichtwissen bzw. Halbwissen. Davon lebt immerhin die gesamte neue Welle des asiatischen Horrorfilms.
Bei so viel Konzentration auf die Kameraarbeit und die Szenerie - übrigens etwas, das dem momentanen Trend des amerikanischen kommerziellen Kinos diametral entgegensteht, wo die Sets immer abstrakter, oder besser: virtueller werden, um Raum für die rein künstlichen Hintergründe zu schaffen und die Kamera auf die Bildzulieferung für die Computercrew reduziert wird - könnte man befürchten, die schauspielerische Leistung würde zu kurz kommen. Weit gefehlt, man war in der Lage auf eine aufgelockerte Mischung von Profis und Laien zurückgreifen, die ihre Rollen in jeder Hinsicht überzeugend ausfüllen. Hauptdarstellerin Franziska Weisz konnte man schon in einigen österreichischen Filmproduktionen bewundern, zuletzt in Ulrich Seidls famosem "Hundstage" als mißhandelte Freundin eines Eifersuchtskranken. Ihre undurchschaubare Kollegin gibt Birgit Minichmair, die als gefragte Bühnenakteuse vor kurzem von Frank Castorf an die Berliner Volksbühne geholt wurde. Die wunderbar blasierte Chefin des Hotels wird von Österreichs zweitwichtigster Schriftstellerin, Marlene Streeruwitz, verkörpert, was nicht unwitzig ist, weil gerade diese Art snobistischen Ösi-Geldaldels in ihren Romanen und Theaterstücken eine sehr dominante Negativpräsenz hat. Die tatsächliche Chefin parodiert sich hingegen selbst als die Frau des Hausfaktotums und das mit einer Verve, die bei einer Schauspiellaiin sehr erstaunlich ist.
Bei so optimalen Voraussetzungen sollte man einen optimalen Film erwarten, doch leider wird im Verlauf der mit 80 Minuten ohnehin nicht gerade überdimensionierten Spielzeit ein Problem deutlich, das letzlich auch das "Blair Witch Project" versenkte: es bleibt alles in der Andeutung und die in der zweiten Hälfte bis zur Redundanz wiederholten visuellen Effekte kondensieren sich zu einer Künstlichkeit und einem Formalismus, die man bei einer Akademie-Abschlußarbeit erwarten kann, doch nicht in einer Produktion, welche im kommerziellen Verleih landet. Bisweilen muß man leider sogar konstatieren, daß die Geschichte ins Triviale abgleitet und das in Schlüsselmomenten. Am schmerzvollsten ist dabei die letzte Einstellung des Films als Weisz im Dunkel der Bäume verschwindet und ein Schrei aus dem Wald schallt. Autsch!
Es ist also ein bißchen Schade, daß einer der seltenen Versuche, einen österreichischen Thriller zu machen, einen solch faden Beigeschmack bekommt (auch wenn es sowieso fast unmöglich ist, Gerald Kargls grausamer Charakterstudie "Angst" von 1983 das Wasser zu reichen). Dennoch kann man "Hotel" durchaus ein Auge schenken, besonders wenn man sensibel genug ist, sich durch reine Atmosphäre im Schnittpunkt von verlassener Landschaft und "seltsamer" Gesellschaft angenehm durchgruseln zu lassen. Hausners Langfilmdebut eignet sich ideal als Mitternachts-chillout am Wochenende, wenn man in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen ist und das Gesichtsfeld undeutlich wird. Dann kann das Gift von "Hotel" zu perfekter Entfaltung kommen.