Kim Ki-duk zählt neben Kang Je-kyu, Kwak Jae-young und Park Chan-wook zweifellos zu den exponiertesten Vertretern des südkoreanischen Kinos. Niemand geriert sich auf diesem Status so exzentrisch, so rücksichtslos, wie der wilde Kim mit seinen in der Regel erheblich verstörenden Werken. Die Kontroversen sind anvisiert, und mit Sicherheit ist dieses Phänomen längst schon ins Marketing kalkuliert. Kein neues Werk, das es nicht sofort in Gehalt und Ästhetik heftig zu verhandeln gilt. Ein sicherer Posten, denn selbst ein kontemplatives Werk wie „... Spring, Summer, Autumn, Winter, Spring ...“ verstört die Kritiker und Kenner, und dies, welche genehmes Paradoxon, genau aus dem Grunde, dass es eben nicht verstört. Nicht so sehr. Nicht wie man es von diesem Enfant Terrible immer erwarten muss. Immer.
Nach dem im Berlinale Forum wieder heftig diskutierten „Samaria“ (aka „Samaritan Girl“) vollendete Kim Ki-duk im Jahre 04 noch einen weiteren Spielfilm: 3-IRON. Aus dem Schatten des in das Zentrum eines breiten Diskurses gezerrten „Samaria“ tritt der leise, aber dennoch sicher heraus.
KIM KI-DUKs 3-Iron
Neben den Konventionen
Kim beginnt seine Geschichte mit einem jungen Mann (Jae Hee), der auf seinem Motorrad vorbehaltlos durch jede Wohngegend der Stadt braust. Er befestigt Werbeflyer eines Pizza-Lieferanten an Haustüren. Kehrt er nach einer Nacht in das selbe Viertel zurück und findet seine Flyer noch immer an der Tür, geht er davon aus, dass die Bewohner für längere Zeit nicht daheim waren. Und in der Annahme, dass sie auch so schnell nicht zurückkehren werden, verschafft er sich Zutritt und fühlt sich, als wäre er hier selbst zu Haus. Mitnichten also punked er die Wohnung rücksichtslos zur Sau, nein, er repariert, wäscht, bügelt und nimmt die eine oder Veränderung an der Einrichtung vor, so wie er es für stilsicherer hält. Ein Einbrecher wie im Märchen. Ein Heinzelmann. Und eine märchenhafte Qualität ist es, die man 3-IRON in seinem nun nachfolgenden Handlungsverlauf ganz bestimmt zusprechen muss.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass dem Jungen seine eigene Cleverness ein Schnippchen schlagen muss. In einer schönen Villa, die er schließlich betritt und zeitweilig bewohnen möchte, hat sich eine schlimm misshandelte Frau (Lee Seung-jeon) eingeschlossen. Die empfundene Schmach möchte sie vor der Welt verstecken. Sie konfrontiert den Eindringling nicht. Vielmehr beobachtet, taxiert sie ihn und auch er wird sich schließlich einer Präsenz in den Räumen bewusst, so dass – als sie sich schließlich in die Augen sehen – bereits ein Band zwischen ihnen wie magisch geknüpft ist. Ja, it’s a kind of magic. Die seltsame, zauberhafte Anziehung, die beide so augenscheinlich verspüren, bedarf nicht eines Wortes. Grandios. Ein Traum. Und das krasse Gegenteil zu der Beziehung zwischen der Frau und ihrem schwerreichen Gatten, der sie prügelt, sie als sein Eigentum betrachtet, und diese kranke Beziehung versucht in schmeichelnde, lockende, drohende Worte zu verkleiden – bis dass ihm wieder der Kragen platzt.
Als der seltsame, verschwiegene Junge dieses Drama unmittelbar miterlebt, wird er zum Richter. Mit kräftigem Schwung locht er Golfbälle in Rippen und Magengegend des Mannes, und als das Oberarschloch wimmernd zusammensackt, bedeutet er der Frau, es sei Zeit auszubrechen. Sie lässt sich bei der Hand nehmen und auf und davon sind sie, auf dem Rücken seines Motorrads, auf einer Odyssee durch die Stadt und ihre Vororte, durch fremde Wohnungen, mitten hinein in die Geschichten anderer Menschen – auf dem Weg zu sich selbst.
Diese Handlung – man könnte das leicht mutmaßen – bastelt sich Kim Ki-Duk nun nicht ausschließlich aus Elementen des klassischen Baukastens für Road- und Coming-of-Age-Movies zusammen. Überaus bedeutsam ist für 3-IRON der soziokulturelle Kontext, das konfuzianisch legitimierte Patriarchat: jedes Individuum auf seinem zugewiesenen Platz. Mann soll sein wie Mann. Frau wie eine Frau. Und Sohn wie ein Sohn.
Die Selbstfindung der beiden Protagonisten ist der Versuch sich von diesem Dogma zu lösen. Während ihrer Reise sind sie ohne Platz, sie leben ein geheimes Leben in den Hülsen anderer Menschen, parallel. Sie sind weder mit noch gegen die Gesellschaft. Sie sind daneben. Selbst als Polizisten das seltsame Paar fest nehmen, bleiben sie mithin der gegebenen Konventionen nicht mehr greifbar. Die Aggressionen während des Verhörs, die ihm angetane Gewalt, beantwortet der Junge mit einem Lächeln, das seine Folterer noch mehr in Rage treibt. Sie wissen nicht, was sie tun. Er ist unantastbar. In seiner Zelle trainiert er das Verschwinden. Eine Fähigkeit, die er schließlich meistern wird.
Wie unsichtbar kehrt er zurück zu der Frau, für die nur scheinbar alles beim Alten ist. Seit sie ihren Gatten mit einer schallenden Ohrfeige zurecht gewiesen hat, ist sie unberührt. Unter seinem maskulinen Protz ist er nur noch kümmerlich, ängstlich und wartet in sich zusammengesunken auf ein paar Worte, mit dem sie seine Existenz anerkennt. „Ich liebe dich“, gesteht sie endlich, ihm zugewandt. Er öffnet die Arme, Tränen der Dankbarkeit rollen aus seinen Augen. Und sie nimmt ihn auf, doch berührt inniglich mit ihren Händen und ihren Blicken, den, der hinter ihm steht. Der Mann ist nicht ihr Mann, die Frau nicht seine Frau, und da ist ein Junge, der nicht da ist – und fortan, davon künden die letzten Bilder, werden sie wohl in einer seltsamen Harmonie zusammenleben.