Martin, Hans-Jörg und Werner sind die drei erwachsenen Kinder von Papa Günther. Jeder führt sein Leben, naja, sagen wir mal mehr oder weniger konventionell. Eine ganz normale Familie sozusagen, und zumindest Werner hat auch wiederum eine ganz normale Familie mit Frau und zwei Kindern.
Ohje, wenn's nur so einfach wäre. In "Agnes und seine Brüder" herrscht von vorneherein eine verquerte Stimmung. Du mußt Dich von herkömmlichen Konventionen sofort verabschieden, wirst eiskalt in eine verdrehte Welt geschubst. Und ständig fragst Du Dich: Ist das normal was Du da siehst? Du schwankst, zwischen Verständnis und Abscheu, zwischen dem Akzeptieren von Neuem oder Erhalt von Bewährtem.
Aus Martin wurde Agnes, Hans-Jörg hat ein gewaltiges Alkohol- und Frauenproblem, Werner hat mitnichten eine funktionierende Familie. Und Vater Günther ist mittlerweile schwul und steht in Verdacht seinen Sohn Martin als Kind mißbraucht zu haben, der angebliche Grund für seine Geschlechtsumwandlung. Der Film beleuchtet das Leben und das soziale Umfeld dieser Familie ohne jedoch Licht ins Dunkel zu bringen. Bis zuletzt bleibst Du im Ungewissen, was nun Realität, was nun Fiktion ist. Du weißt nie, für was Du nötiges Verständnis aufbringen sollst oder wo für Dich persönlich der Punkt überschritten wurde das soeben Gesehene akzeptieren zu können.
Oskar Roehler schuf ein Meisterwerk der Verstörung. Stellenweise hältst Du es schier nicht mehr aus, so kaputt wirkt alles. Aus dieser Warte betrachtet ist ihm der Film gelungen. Unterstützt wird die hohe Qualität durch die Riege der prominenten Besetzung: Katja Riemann, Moritz Bleibtreu, Herbert Knaup geben als Superstars brilliante Vorstellungen, Martin Weiß als relativ gesehener Neuling braucht sich keineswegs zu verstecken. Und selbst die Nebenrollen warten mit reichlich Überraschungsmomenten auf: Til Schweiger mit Kurzauftritt in der Bibliothek, Marie Zielcke als ausnutzendes Luder, Sven Martinek, Oliver Korittke, Martin Semmelrogge, Vadim Glowna, Ralph Herfort (als Heulsuse Heinz ein echtes Überraschungsschmankerl!), Kelly Trump und Kerstin Landsmann als Augenweiden, Andreas Kunze in seiner Paraderolle als schräger Hausmeister (Schmidteinander und Helge Schneider Filme lassen grüßen) - perfekt, perfekt, perfekt. Einfach genial, wen Roehler alles zusammengetragen hat.
Die Story ist krank, krass und schwer verdaulich, spannend und anstrengend zugleich. Der Film läßt Deinem geplagten Hirn keine Pause. "Agnes und seine Brüder" ist definitiv kein Popcorn-Kino. Hier laufen Deine Nerven Amok.
(9/10)