Kein Wunder, dass der Film in Deutschland erfolgsmäßig nicht mal ansatzweise an Amelié herankam – mit so einem langweiligen Titel kann man niemanden ins Kino locken (Originaltitel: Un Long Dimanche de Fiancailles; US-Titel: A Very Long Engagement). Dabei ist der fünfte Film von Jean-Pierre Jeunet (nach Delicatessen, Stadt der Verlorenen Kinder, Alien 4 und eben Amelié) sehr sehenswert, wie eben alle Filme dieses Ausnahmeregisseurs. Alleine die Optik des Films ist eine glatte 10/10 wert – Wahnsinn, was da mit Kamera, Licht, Ausstattung und Schnitt angestellt wurde. Bezeichnend ist eine Stelle, wo Jeunet von oben einen historischen Wochenmarkt (der extra mit viel Aufwand und unzähligen Statisten aufgebaut wurde) betrachtet, die Kamera auf Erdhöhe herunterschwenkt und seiner Hauptdarstellerin durchs Gewimmel folgt. Nicht umsonst ist Mathilde mit einem Budget von 45 Millionen Euro der teuerste europäische Film bisher (wobei der Film nachträglich doch als amerikanischer Film eingestuft wurde, weil das meiste Geld von Warner kam).
Inhaltlich dreht sich der Film um eine junge Frau Anfang der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts, deren Verlobter in den Schützengräben des ersten Weltkriegs „verloren gegangen“ ist und nach dessen Verbleib Mathilde forscht. Jeunet spielt raffiniert mit verschiedenen Zeitebenen vor, während und nach dem Krieg, wobei die recht derben Kriegsszenen in den Schützengräben (Grundfarbe grau) einen interessanten Kontrast zu den übrigen Szenen ergeben (satte Beige- und Brauntöne). Man sollte jedoch nicht dem Irrglauben verfallen, dass Jeunet einen realistischen Historienfilm gedreht hätte – allen seinen Filmen ist gemeinsam, dass die Welt, in der der jeweilige Film stattfindet, etwas Unwirkliches hat, z.B. das geleckte, märchenhafte Paris aus Amelié oder das bizarre Stadtbild aus Stadt der Verlorenen Kinder. Und da bildet Mathilde keine Ausnahme. Eine weiteres Bindeglied zwischen allen Filmen von Jeunet ist der typische Humor, der in Mathilde trotz der eigentlich ernsten Thematik nicht zu kurz kommt – Mathilde ist eben in allen Belangen ein typischer Jeunet.
Bei allen Lobeshymnen bleibt jedoch festzustellen, dass Mathilde insgesamt dennoch nicht Jeunets bester Film ist – Delicatessen, Stadt der Verlorenen Kinder und Amelié finde ich noch besser. Vielleicht liegt es ein bisschen daran, dass der Film weder die surreale Genialität seiner Frühwerke, noch den Zauber von Amelié hat (trotz gleicher Hauptdarstellerin). So reiht sich Mathilde neben Alien 4 am unteren Ende von Jeunets bisherigen Schaffen ein – was im Vergleich zu anderen Regisseuren immer noch fast ganz oben ist. 8,5/10