Review

Als sich der Drehbeginn der Sam-Shepard-Verfilmung „Don´t come knocking“ im Jahre 2003 verzögerte, nutzte Regisseur Wim Wenders das entstandene Zeitfenster, um ein anderes Projekt zu realisieren: „Land of Plenty“. In nur drei Tagen verfasste er ein Treatment, welches unmittelbar darauf in Kooperation mit Scott Derrickson („the Exorcism of Emily Rose“) zu einem ersten Skript-Entwurf erweitert sowie später dann gemeinsam mit Michael Meredith („Three Days of Rain“) komplettiert wurde. In nur 16 Tagen auf Digital-Video umgesetzt, das Budget nicht mehr als eine halbe Million Dollar betragend, schuf Wenders in Gestalt dieser „Wirbelwind-Produktion“ eine intime Charakterstudie vor einem auch heute noch (2007) sehr aktuellen politischen und sozialen Hintergrund…

Lana (Michelle Williams) ist eine gebürtige Amerikanerin, die den Großteil ihres Lebens zusammen mit ihren Eltern in verschiedenen unruhigen Regionen dieser Erde, wie etwa Afrika oder dem nahen Osten, verbracht hat und dort jeweils unterstützend tätig war, hauptsächlich in humanitärer Hinsicht. Nun kehrt sie nach Los Angeles, also in ihre Heimat, von Israel her zurück: Die eigentliche Absicht, ein Studium am College aufzunehmen, ist ihr aber eher zweitrangig – die Möglichkeit, in der Obdachlosen-Mission eines Familienfreunds (Wendel Pierce) inmitten eines der ärmsten Stadtbezirke arbeiten zu können, bietet der idealistischen jungen Frau eine viel stärkere innere Erfüllung. Entsetzt über die Zu- und Umstände vieler auf den Straßen von LA´s Unterleib hausenden Menschen, widmet sie sich fortan mit Leib und Seele der honorablen Einrichtung. Parallel dazu versucht sie allerdings auch Kontakt zu einem ihrer letzten lebenden Verwandten aufzunehmen – nämlich zu ihrem Onkel Paul (John Diel), dem sie einen Brief ihrer verstorbenen Mutter überreichen möchte. Jener stellt sich als ein traumatisierter Kriegsveteran heraus, der seit 9/11 in seinem alten Van umherfährt und nach terroristischen Aktivitäten Ausschau hält. Das (u.a.) mit Funk, Videokamera und Richtmikrophon ausgestattete Fahrzeug stellt seine eigene kleine mobile Überwachungszentrale dar. Nahezu alles kommt ihm verdächtig vor – besonders die arabisch anmutenden Zeitgenossen stehen im Zentrum seiner von Trauer, Wut und Paranoia genährten Betrachtungsweise. Vor ihnen will er „sein Amerika“ schützen. Unterstützung erhält er dabei von Jimmy (Richard Edson), einem etwas schlicht gestrickten Mechaniker, der ihm regelmäßig gewünschte Informationen beschafft, vornehmlich aus dem Internet. Lana´s Kontaktversuche passen ihm aktuell gar nicht ins Bild, denn ihm ist ein Pakistani (Shaun Toub als Hassan) ins misstrauische Blickfeld geraten, der regelmäßig mit Kartons des Reinigungsmittels „Borax“ hantiert, das angeblich (laut Recherchen) als Sprengstoff-Komponente verwendet werden kann. Ihre Pfade treffen sich zufällig vor genau jenem Armen-Asyl – nämlich als Hassan dort auf offener Straße aus einem vorbeifahrenden Hummer erschossen wird. Sowohl Lana als auch Paul stellen infolge dessen Nachforschungen über die Hintergründe des Opfers an, jedoch aus unterschiedlichen Beweggründen heraus: Sie möchte einen Verwandten Hassans ausfindig machen, um ihm eine würdige Beerdigung zuteil werden zu lassen – er hingegen glaubt, dass der Mann von mächtigeren Gefährten einer vor Ort operierenden Terrorzelle aus dem Weg geräumt wurde. Warum? Das will er nun herausfinden. In einem kärglichen Kaff namens Trona, fernab der urbanen Metropole, spüren sie schließlich Hassan´s Bruder Youssef (Bernard White) auf – gemeinsam wollen sie die Leiche dorthin überführen, und im Zuge dieser aus verschiedenen Intentionen heraus angetretenen Reise prallen schließlich ihre zwei Weltansichten aufeinander. Eine Reihe von Erkenntnissen gewährt ihnen letzten Endes nach und nach einen verständnisvolleren Zugang zueinander – es gibt viel, das aufgearbeitet werden muss…

„Land of Plenty“ ist ein Werk, mit welchem Wim Wenders dem Publikum seinen persönlichen Kommentar zur Lage der amerikanischen Nation nach dem 11. September 2001 präsentiert. Kritisch beäugt er die vorhandenen Denk-, Handlungs- und Entscheidungsausprägungen – diese werden keinesfalls so in Szene gesetzt, dass man sie als Grundlage einer Anklage verwenden könnte, vielmehr sollen sie Einblicke gewähren, ja vielleicht sogar die Befähigung erwecken, die von dem Trauma der Anschläge geprägten Einwohner des Landes besser zu verstehen. Nicht die (spezielle) erzählte Geschichte steht im Mittelpunkt, sondern die alles umhüllende Thematik, zum Vorschein tretende Auffassungskontraste sowie die beiden Hauptcharaktere an sich, von denen der gesamte Film lebt. „Home is not a Place – it is People“, heißt es an einer Stelle. Das sehe ich genauso: Die Heimat ist dort, wo einem das Herz das betreffende Gefühl vermittelt. Der Film selbst entfaltet sich in drei Akte: Im ersten werden die Protagonisten, jeder für sich, umfassend innerhalb ihres individuellen Wirkungskreises eingeführt, im zweiten kreuzen sich ihre Bahnen und werden zu einer, unabhängig der unterschiedlichen Motivationen dahinter, im letzten verlagert sich die Handlung raus aus der Großstadt hin in eine dieser verlassenen Landschaften, in denen das Denken der von ihrer Umgebung geprägten Leute zwangsläufig noch ganz andere Facetten preisgibt. Diese finale Road-Movie-Ausrichtung ist kein inhaltliches Neuland für den Regisseur – er bewegte sich dabei auf vertrautem Terrain (vgl. „Paris, Texas“). Sein Kameramann Franz Lustig („La Mer“) fing alle gebotenen (landschaftlichen wie arrangierten) Impressionen in Gestalt sehr ansprechender (Video-) Aufnahmen ein, darüber hinaus untermalen die melancholischen Stücke des Soundtracks (u.a. von Leonard Cohen) die Bilder und Geschehnisse wunderbar stimmig.

Paul, würdig verkörpert von John Diehl („Lost Souls“/„Fail Safe“), versinnbildlicht die innere Verfassung Amerikas: Er liebt sein Land, das ihn immerzu gut behandelt hat, will es unter allen Umständen vor Feinden beschützen, um weiteres Leid zu verhindern, und trägt diesen verinnerlichten Patriotismus auch gerne äußerlich zur Schau (etwa flattert an seinem Wagen eine kleine Flagge im Wind, sein Handy klingelt im Ton der Nationalhymne). Der Krieg in Vietnam hat bei ihm ein schweres Trauma ausgelöst, welches 9/11 erneut aufbrechen ließ – seither hat ihn die Angst vor einem weiteren Angriff in eine von Wut gegen die Täter angetriebene Paranoia gedrängt, welche ihn in jedem Muslimen einen potentiellen Terroristen sehen lässt. Seine verbissene Suche nach allem Schlechten vernebelt seinen Blick auf das Gute um ihn herum. Die an den Tag gelegte engstirnige Ernsthaftigkeit der Figur lässt den Zuschauer unweigerlich schmunzeln – überspitzt dargestellte Aktionen, wie sein Stürmen eines Trailers in voller Kampfmontur, nur um eine alte Frau in ihrem Bett vorzufinden, während eine Rede von George Bush im TV läuft, ergänzen diesen Eindruck zusätzlich. Dies stellt sich allerdings im weiteren Verlauf als ein Problem heraus, denn den nachgereichten Erklärungen gegen Ende gelingt es nach all dem Gebotenen schlichtweg nicht mehr, das nötige Mitlied bzw Verständnis zu generieren, zumal sie erneut überwiegend „nur“ aus den psychischen Auswirkungen des Indochina-Einsatzes (welchen er übrigens als siegreich erachtet) bestehen. Ja, er ist ebenso ein Opfer – des Krieges sowie der verbreiteten Angstszenarien, die in den letzten Jahren immer wieder seitens der Regierung heraufbeschworen wurden. Leider wirkt seine Wandlung am Schluss, wenn er seine Motive auf einmal zu hinterfragen beginnt und daraus hervorgehend gar eine Läuterung einsetzt, viel zu überhastet und dementsprechend vermindert glaubwürdig, was dem Potential der Rolle einfach nicht gerecht wird.

Ihm „zur Seite“ steht, wobei man anfangs eher die Umschreibung „gegenüber” verwenden sollte, die von Michelle Williams (TV´s „Dawson´s Creek“/„Brokeback Mountain“) hervorragend gespielte Lana: Man muss dieses hübsche, zarte, aber doch von ihren zahlreichen Erfahrungen gekräftigte Wesen geradezu mögen – engelsgleich engagiert sie sich, geleitet von ihrem christlichen Idealismus sowie persönlichen Optimismus, verständnis- und aufopferungsvoll für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Sie ist einem auf Anhieb sympathisch – trotz (oder gerade wegen?) ihrer ausnehmend reinen und naiven Charakterzeichnung, welche ihrerseits allerdings im Gegenzug wiederum eine umfassende Identifikation mit ihr erschwert. Sie hat die Welt um sich herum noch nicht aufgegeben, will ihren Beitrag dazu leisten, sie zu einem besseren Ort zu machen, also ein wenig Hoffnung in sie zu injizieren. Sie redet nicht bloß über die ganzen Missstände da draußen, sondern geht diese entschlossen an. Ihre Rückkehr in die Heimat wird für sie zu einem ernüchternden Erlebnis, bildet eine neue Herausforderung, welcher sie sich annimmt und die ihr beinahe augenblicklich wichtiger ist als das angedachte Studium. Lana glaubt noch an das Gute, sieht überall die Opfer ihrer Umwelt, besitzt noch Mut und Liebe, während Paul in erster Linie voller Einsamkeit, Angst und Verfolgungswahn allerorts denkbare Attentäter erspäht. Aus ihrer jeweiligen Überzeugung heraus geben sie sich größte Mühe, ihren individuellen Beitrag zu leisten. Wenders nutzt beide als ein Sprachrohr seiner eigenen Überlegungen, Beobachtungen und Ansichten – und das relativ auffällig, weshalb einem unweigerlich gewahr wird, dass es sich bei ihnen im Grunde um wandelnde Konzepte handelt. Dennoch sprechen sie einen auf mindestens einer (z.B. gefühlsbetonten) Ebene an: Die bewusst derart entworfenen Kontraste ermöglichen, unabhängig aller Oberflächlichkeiten, einen erleichterten Zugang zu einer differenzierten Betrachtungsweise der Dinge – bloß leider nicht zu wesentlich mehr, was unterm Strich recht schade ist.

Auf inhaltlicher Ebene merkt man dem Werk überdeutlich an, dass sich Wenders im Vorfeld gewiss sehr viele Gedanken über die aktuellen Stimmungen und Zustände in den Vereinigten Staaten gemacht hat – angesichts der kurzen Produktionsspanne wirkt die Einarbeitung der Ergebnisse seiner Überlegungen allerdings wie mit einer zu heißen Nadel gestrickt, ähnlich eines aus einem Brainstorming hervorgehenden Konzepts, das im Anschluss nicht mehr genügend nachbearbeitet wurde. Es ist ja vollkommen okay, etwas ungeschliffen und aus dem Bauch heraus zu präsentieren, nur muss das Ergebnis dennoch einen harmonischen Eindruck erwecken bzw hinterlassen, was vorliegend nicht ganz der Fall ist. Adressiert werden derart viele Motive, Thematiken und Ansätze, dass diese sich irgendwann gegenseitig abzunutzen beginnen, da keiner der zur Sprache gebrachten Bereiche ausnehmend intensiv angegangen wird: Vietnam-Trauma, Nahostkonflikt, 9/11, Terrorismus, psychische Kriegs-Langzeitauswirkungen, Armut, gesellschaftliche Klassenunterschiede, soziale Ungerechtigkeit, Isolation, Diskriminierung, Rassismus, Hoffnungslosigkeit, Angst, Desillusionierung sowie Einsamkeit – gemeinsam mit vielen weiteren finden diese vordergründige Erwähnung, jeweils eingebunden in den mit moralischen und christlichen Botschaften angereicherten politischen wie symbolischen Rahmen. Der Mangel an Subtilität führt rasch zum Aufkeimen eines bemühten, oberflächlichen, fast schon plakativen Eindrucks. Mit einer vom Himmel hinabführenden Kamerabewegung wird etwa das entscheidende, symbolträchtig am Rande eines Friedhofs stattfindende Gespräch zwischen Lana und Paul eingeleitet, welches inhaltlich klar auf Emotionen ausgerichtet ist: Sie erzählt von den jubelnden Menschen in den Straßen des Westjordanlands, als die zwei Tower in sich zusammenstürzten, er von seinen dadurch aufgerissenen tiefen seelischen Wunden. Jeder von uns weiß, wo er an jenem Tag war – und erst aufgrund dieser eigenen Betroffenheit gewinnt die Szene an Kraft. Hätte man sie so stehen gelassen, wäre es in Ordnung gewesen – nur setzt Wenders noch einen drauf, unter anderem indem er den Brief der Mutter ins Spiel bringt sowie eine Fahrt der beiden quer durchs Land aufzeigt, welche schließlich in New York endet, direkt an Ground Zero. Der Anblick der gigantischen Baustelle soll gewiss sowohl die allgemeine Hoffnung als auch Chancen eines Neuanfangs verbildlichen, bloß ging mir das persönlich in der aufgezeigten Art einen Schritt zu weit – von der letzten Kamerabewegung, welche sich von jener prägnanten Impression aus aufwärts (gen Firmament) vollzieht, ganz zu schweigen.

Insgesamt hinterlässt „Land of Plenty“ einen recht unausgewogenen Eindruck: Manche Sequenzen erfüllen ihren angepeilten Zweck und kommen fraglos eindringlich daher, andere hingegen verfehlen dieses Prädikat angesichts einer schlichtweg zu naiven Konzeption, was bestimmte Dialogzeilen mit einschließt (z.B.: „Die Opfer wollen bestimmt nicht, dass in ihrem Namen noch mehr Menschen sterben.“). Wenders will dem Publikum seine Sichtweise aufzeigen, die allerdings nicht hundertprozentig authentisch anmutet. Obgleich er schon viele Jahre in den USA gelebt hat, wirkt sie dennoch (zumindest gelegentlich) wie die Perspektive eines außenstehenden Europäers. Auf der einen Seite lassen sich sehr interessante Überlegungen finden, wie in welchem Ausmaß der Krieg gegen den Terror wohl von den anderen Problemen im Lande abzulenken „hilft“, auf der anderen münden diese jedoch zum Teil in moralische Predigten, die so vordergründig einfach nicht hätten sein müssen. Handwerklich kompetent umgesetzt, gefiel mir die Einbindung einiger vom Regisseur in der Vergangenheit bereits verwendeten Details, etwa die Überwachungs-Thematik aus „the End of Violence“ oder das in bestimmten Einstellungen im Hintergrund zu sehende „Million Dollar Hotel“, wie auch die inspiriert eingesetzte Bildersprache und Musikauswahl, für die Wenders einfach ein gutes Gespür besitzt. Auf der Negativ-Seite muss man im Gegenzug aber ebenso einige Tempo-Probleme verbuchen – der zweite Akt entfaltet sich ein wenig schleppend, der dritte dann dafür stellenweise zu überhastet, vor allem hinsichtlich Paul´s Verhalten. Alles in allem handelt es sich bei dem Film um ein zeitgemäßes, stark gespieltes Drama, das den abschließenden Feinschliff vermissen lässt – man kann ihn sich getrost mal ansehen, nur vermag ich beim besten Willen keine umfassende Empfehlung auszusprechen … „6 von 10“

Details
Ähnliche Filme