Review

Gute Filme überdauern die Zeit. Die besten Filme überdauern die Zeit ohne Schaden. „Braveheart“ hat in rund zehn Jahren einigen Schaden genommen. Als ich ihn vor einem Jahrzehnt im Kino sah, war ich in spätpubertärer Begeisterung völlig überwältigt. Es war der erste moderne Historienfilm, den ich überhaupt gesehen habe. Er kam aus dem nichts. Bis zu diesem Tag kannte ich nur die Monumental- und Historienschinken aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren, die immer so technicolorbunt waren und in ihrem Kitsch und Schwulst absolut antiquiert. So dachte ich nach „Braveheart“, der alles andere als technicolorbunt war und so – zumindest für mich, wie aber wohl für viele – das Gefühl von Realismus verbreitete. Hier hatte man beim Zuschauen wirklich ein Gefühl von Mittelalter und nicht von Karneval. Nun ja, mit sechzehn Jahren ist man doch noch ziemlich naiv. Vor zehn Jahren gehörte Mel Gibsons Epos ohne Frage zu meinen absoluten Lieblingsfilmen, was auch am Genre liegt, für das ich bis heute eine kindische Schwäche habe. Aber heute gehört er längst nicht mehr dazu. Wie gesagt, „Braveheart“ hat Schaden genommen. Es fragt sich nur wie viel? Oder anders: Wenn er schon keiner der besten Filme ist, ist er wenigstens ein guter Film oder nicht einmal das?

Spätestens bei wiederholtem Betrachten offenbart der Film einige Schwächen, die man eigentlich zu einer großen zusammenfassen kann: Mel Gibson. Dem Darsteller Mel Gibson möchte man zurufen, dass William Wallace nicht Martin Riggs ist. Seine manierierte Gestik (eitles Aufplustern als viriler Held inklusive weidlich ausgekosteter finaler Märtyrerpose), seine groteske Mimik (Vorsicht, Gesichtsdisco!), sein derber Humor und seine launigen Sprüche („Steh’ auf, ich bin doch nicht der Papst!“), die die „Lethal Weapon“-Reihe im Zusammenspiel mit Danny Glover, Joe Pesci und Rene Russo so spaßig gemacht haben, wirken hier total deplatziert. Aber wenn es nur das wäre! Denn er war ja nicht nur Hauptdarsteller, sondern gleich auch noch Regisseur! Und hier gehört er zuallererst einmal für seinen hybriden Narzissmus gerügt, mit dem er sich in jeder möglichen Szene unangenehm in den Mittelpunkt rückt. Gibson bedient sich zuweilen einer penetranten Symbolsprache, die manchmal sogar als grandioses Pathos durchgeht, aber oft einfach nur schwülstig und kitschig ist, auch ohne technicolorbunt zu sein. Außerdem gibt es in der Inszenierung zu viele Klischees, manche sind sogar diskriminierend. Ganz zu schweigen davon, dass hier historisch vieles Humbug ist. Und natürlich ist „Braveheart“ auch erzkatholisch. In der Rückschau offenbaren sich bereits hier die Anfänge von Gibsons höchst irritierendem „Die Passion Christi“.

Ist „Braveheart“ also aufgrund seiner vielen Mängel, von denen die meisten Mel Gibson zu verantworten hat, ein schlechter Film? Kurz: Nein. Spezielle Erwähnung verdienen hier die Nebendarsteller. Sie trotzen still und würdevoll Gibsons Egomanie und retten den Film in etlichen Szenen, insbesondere Patrick McGoohan, der als König Edward ‚The Longshanks’ einen phänomenalen Bösewicht abgibt, und Angus MacFayden, der als Robert ‚The Bruce’ das eigentliche Herz des Films ist, weil man es hier mit einem echten Menschen zu tun hat, der – im Gegensatz zu Gibsons Wallace – im Film auch eine echte Entwicklung von Schwäche zur Stärke, von Heteronomie zur Autonomie durchmacht. Im Film wird viel von der Freiheit geredet, ohne dass er dafür letztendlich überzeugende Motive findet. In Roberts schmerzhaftem inneren Kampf bekommt der Zuschauer zumindest eine vage Vorstellung von der Freiheit und der Sehnsucht nach ihr, die der Film sonst nur als Slogan – oder besser: als Camouflage - für eine Art ‚Mad Max im Mittelalter’-Plot benutzt. Robert aber gibt uns eine Ahnung der Bedeutung von Freiheit und ihrem Wert, wenn er den Film mit den martialischen Worten beschließt: „Ihr habt mit William Wallace geblutet, nun blutet mit mir!“ Man glaubt ihm seinen Wandel und spürt seine Sehnsucht nach Freiheit, die ihn endlich seinen Mut finden und zur Tat schreiten lässt. Dies ist der Zeitpunkt, an dem er die innere Freiheit erlangt, als König für die Freiheit Schottlands zu kämpfen. Überhaupt nimmt der Film letztendlich doch gefangen, er hat emotionale Wucht und das Ende trifft trotz aller Mängel des Films mitten ins Herz. Dafür muss man sich fast schämen, aber in diesem Film steckt doch Leidenschaft. Der erdige, schmutzige und ungekünstelte Look des Films hebt ihn wohltuend von den älteren (und den jüngsten) Filmen des gleichen Genres ab. Die vielgerühmten Kampf- und Schlachtszenen sind absolut stilprägend gewesen und immer noch konkurrenzfähig, auch wenn sie mittlerweile von einigen anderen Filmen überboten worden sind. Hier ist noch alles handgemacht und die Action kommt ganz ohne digitale Effekte aus. Da kennt Gibson sich als Actionstar alter Schule aus und fühlt sich dementsprechend wohl. Es geht recht hart zur Sache, darauf muss man sich einstellen. Dazu kommt, dass „Braveheart“ aufgrund seines Genres und als echte Pionierleistung auf dem Gebiet des modernen Historienfilms bei mir einen gewissen Bonus besitzt. Aber das ist höchst subjektiv. (Unter rein ‚objektiven’ Gesichtspunkten würde ich dem Film wohl 7 von 10 möglichen Punkten verleihen, aber aufgrund meiner subjektiven Vorlieben holt er sich noch einen Extrapunkt und bekommt so 8 von 10 möglichen Punkten von mir.)

P. S.: Aus der heutigen Perspektive betrachtet hätte ich mir gewünscht, dass dieser Film ein anderer gewesen wäre, mit dem gleichen Thema, aber mit einer leichten inhaltlichen und auch einer perspektivischen Verschiebung: weg von William Wallace, hin zu Robert ‚The Bruce’, dem wohl interessanteren Charakter. Als Regisseur hätte ich mir Ridley Scott gewünscht, als Robert (in meinem Wunschfilm die Hauptrolle, während Wallace dort nur eine Nebenrolle bliebe) Russell Crowe. Aber die Zeit dieser beiden sollte ja fünf Jahre später kommen.

P. P. S.: Sorry, Mel, für mich bleibt Martin Riggs die Rolle deines Lebens.

Details
Ähnliche Filme