Brav + hart = Blödheart
(Vorsicht, diese Kritik enthält Bemerkungen zum Ende des Films)
Es gibt zwei Arten von Kritiken, die ich am liebsten schreibe: Erstens positive Kritiken über Filme, die kaum jemand kennt, und zweitens Verrisse von Filmen, die die überwiegende Mehrzahl ganz obersuperklasse mit Sahne obendrauf findet. Meine Begutachtung von Mel Gibsons "Braveheart" hat letzteres zum Ergebnis.
Der Streifen heimst eine Menge positiver Wertschätzung nicht zuletzt wegen seiner luxuriösen Ausstattung und vieler schöner Bilder ein, nach inhaltlichen Aspekten wird dann scheinbar nicht mehr gar so viel gefragt.
Nun ja, der Reihe nach: William Wallace (nein, der hat keine Krimis geschrieben) ist zunächst mal ein Kind mit ordentlich Dreck im Gesicht (wir sind ja soooo realistisch). Er wird von seiner erzkatholischen Verwandtschaft zu einem tapferen Knaben erzogen. Leider wird ein großer Teil selbiger vom ultrabösen Anglo-König Edward Longshanks ("a cruel pagan" - häääää???) an einer Stubendecke zum Trocknen aufgehängt, was Klein William mitbekommt, gruselige Sprechleichen-Vision mit Blaufilter inklusive.
Aber das hindert ihn fürderhin nicht daran, ein friedlicher Bauersmann zu werden, nachdem er aus unbekannten Gründen offenbar sämtliche Sprachen gelernt hat ("Was, du kannst kein Latein? Da müssen wir aber was tun"), die es damals gab und natürlich nach Rom gepilgert ist, wo es sooo "beautiful" war. Aber nicht so beautiful wie eine Schottenmaid mit dem klangvollen Namen "Murron", von der er mal eine Distel geschenkt bekam, was ihn natürlich total rattig auf sie gemacht hat. Dann zeigt er seinem inzwischen bärenstarken und etwas unterbelichteten Freund Hamish, worauf es bei einem richtigen Mann ankommt, nämlich "hier" (+an die Stirn tippen). Das beweist er Hamish, indem er ihn mit einem Kieselstein k.o. wirft. Ach ja, gähn, alles super. Leider hat der englische König seinen in Schottland ansässigen Adligen das "ius primae noctis" (im O-Ton des Films heißt es allerdings falsch "nocte") gewährt, weswegen bei jeder Vermählungsfeierlichkeit perverse Sado-Engländer mit grotesken Rundkopf-Helmen aufkreuzen und hastenichgesehen die Braut abgreifen, wozu ihre Soldaten dämonischst geifernd herumkichern. Da wird der brave Schotte natürlich ungehalten.
Wallace entgeht dem Problem unglaublich geschickt, indem er äußerst romantisch mitten in der Nacht heiratet. Dieser Film lässt übrigens keine Gelegenheit aus, um hölzerne lateinische Betrituale zu zeigen, woran man Gibsons erzkatholischen Hintergrund unweigerlich erkennt. Wenn das Latein dann wenigstens richtig wäre... aber nein, wie fast alle Filme, die die berühmte "In nomine..."-Formel bringen, sie kommt fast immer falsch. So auch hier, wo es "et spiritus sanctus" statt "et spiritus sancti" heißt. Nachdem also die Romanes das Haus gegangen sind, schlägt das Schicksal bei Mel gnadenlos zu. Seine Frau wird erst von animalischen Engländern begrapscht, und weil sie sich ihrer heldenmütig erwehrte, wird sie an einem Marterpfahl befestigt und macht Bekanntschaft mit des Offiziers Küchenmesser. Gibson ist total außer sich, er macht mit seinen Kumpels ein paar Engländer nieder (auch der bewährte Kieselsteinwurf kommt wieder zum Einsatz), kann aber das Schicksal seiner Gattin nicht verhindern und sorgt immerhin dafür, dass dem Anglooffizier Gleiches widerfährt.
Ab jetzt wird der Film wirklich immer dümmer. Ein paar Schotten aus dem Nachbardorf haben Wind von der Sache bekommen und wollen auch ein paar Engländer niedermachen. Und schwups, auf einmal hat Wallace nur wegen dieser Privataktion eine Armee zusammen. Woher kommt die denn auf einmal? Nur die schottischen Adligen, allen voran Robert the Bruce (neben dem englischen König noch die interessanteste Figur in diesem Pseudohistorien-Schmalz), können sich verständlicherweise nicht so recht für den drauflosmetzelnden Wallace erwärmen. Auch ein irischer Kriegstourist (auch die Iren sind erzkatholisch, na, geschnallt?) schlägt sich auf Mel Gibsons Seite und darf für ein bisschen comic relief sorgen.
Wallace greift in einer Feldschlacht ein englisches Heer an und liquidiert überraschend die englische Reiterei, indem er gespitzte Holzpfähle gegen die Pferde richtet (dass das beim Dreh ohne Tierquälerei abgegangen ist, kann mir schwerlich jemand weismachen). Dies führt zu einem Sieg, den er gleich zum nächsten Schritt nutzt, indem er die Stadt York angreift. Typisch für die Verlogenheit des Films, dass nicht gezeigt wird, was die Schotten im eroberten York anstellen - das hätte doch glatt das schwarzweiße Werteschema des Films in Frage gestellt (zumindest, wenn man mal die Handlungsweise unterstellt, die im Mittelalter üblich war, nämlich plündern, vergewaltigen, morden und dann wieder von vorne).
König Edward ist alarmiert, wirft den schwulen Bettgenossen seines Sohnemanns aus dem Fenster und schickt Sophie Marceau (die musste Sohnemann nämlich heiraten) zu Mel. Es beginnt natürlich gleich zu knistern. Kein Wunder, Mlle Marceau (die ist so was von deplaziert in diesem Quatschfilm) wurde ja von ihrem weibischen Gemahl bislang nicht zur Frau gemacht. Mit Schmollmund in Bereitschaft und begleitet von ihrer schnippischen Zofe (die neben Mel Gibson von mir meistgehasste Figur in diesem Film), soll sie mit Wallace einen Waffenstillstand aushandeln, der nichts werden kann, weil der König Wallace bereits einkreist. Es kommt zu einem Kampf, den Wallace nicht zuletzt wegen des schnöden Verrats einiger schottischer Adliger verliert. Er überlebt jedoch und stellt seine unglaubliche Heldenhaftigkeit unter Beweis, indem er die Verräter im Bett (!) ermordet.
Schließlich wird Mel nach einigem Hin und Her gefangengenommen und nach England gebracht, wo der Film dann seinen geschmacklosen Höhepunkt erreicht. Gibson inszeniert sich dermaßen als mittelalterlicher Jesus, dass es kaum mehr erträglich ist. Er wird an einem kreuzförmigen Pranger auf den Marktplatz gefahren, um wenig später auf ein weiteres kreuzförmiges Gerüst geschnallt zu werden, wo er dann erst ein wenig hin- und hergedehnt wird, um dann schließlich ausgeweidet zu werden (Man sieht NICHTS!). Er darf dann noch ein Wort sagen und gröhlt seinen Lieblingsbegriff in diesem Film: "Freedom"! Lächerlich. Währenddessen erzählt Marceau dem aus dem letzten Loch pfeifenden König, dass sie von Mel geschwängert wurde. Den Schluss stellt ein sinnloser Angriff einiger Schotten auf ein englisches Heer dar, mit dem sie eigentlich den Frieden aushandeln sollen ("and they found their freedom" - ja, alles klar)
Trotz des riesigen Aufwands, der für diesen Film getrieben wurde, ist der stärkste Eindruck für mich doch die inhaltliche Flachheit, die hier unter Beweis gestellt wird.
1. Es geht um Freiheit, Freiheit und nochmal Freiheit. Erstens jedoch gab es diesen Wertbegriff im christlichen Mittelalter nicht, da der "Sinn des Lebens" in der Loyalität zu Autoritäten wie Gott und Herrscher gesehen wurde. Zweitens erweckt der Film den Eindruck, dass Freiheit ausschließlich im Kämpfen bestehe und jeglicher Kompromiss im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens als "Sklaverei" einzuschätzen sei. Wallace verkündet zwar ab und zu, dass er ja eigentlich nur sein Getreide anbauen wollte und ähnliches, aber sein Handeln steht dazu in völligem Gegensatz.
Dass er so viele Leute für den Feldzug gewinnen kann, der ja auch in erster Linie seiner Rache an den Engländern gilt, lässt den Eindruck entstehen, die Leute hätten damals kein Interesse am Überleben gehabt bzw. wenn sich dieses bemerkbar macht, dann braucht Mel Gibson nur ein paar hanebüchene Reden zu schwingen und sie gehen freudig in den Tod. D. h. die Freiheit, die hier angeboten wird, besteht nur darin, abgeschlachtet zu werden, wie auch der Schluss des Films zeigt, wo "They found their freedom" als Synonym für "Sie wurden niedergemetzelt" steht. Ich habe nichts gegen die Darstellung von Heldentum, aber hier haben wir es mit MÄRTYRERtum zu tun, und das geht mir auf die Nerven.
2. Mel Gibson, Mel Gibson und nochmals Mel Gibson. Eine derart peinliche Selbstinszenierung gibt es wohl in kaum einem anderen Film. Mel Gibson vor blauem Himmel, Mel Gibson auf einem Berggipfel, Mel Gibson am Kreuz. Wie ein anderer Kommentator hier schon sagte: Er kann alles, weiß alles, erträgt alles, bricht die Herzen der stolzesten Frau'n u. s. w. Das ist gegenüber dem historischen Wallace natürlich der reine Hohn. Außerdem ist Mel Gibson ein sehr schlechter Schauspieler, ich verweise nur auf die Szene, wo er dümmlich lachend um die englischen Unterhändler herumreitet, oder auf seine pathetisch in Szene gesetzten Urschreie, wenn er mal wieder ein Scharmützel gewonnen hat.
3. Dann wären auch noch die Anfälle von peinlichem Humor zu nennen, z. B. die Begegnung der Schotten und Iren im Kampf mit dem gaaar nicht vorhersehbarem Ergebnis oder auch die Szene, wo die Schotten lasziv die Röcke lüpfen und trotzdem nicht von den Engländern in den A**** gef**** werden.
Der Film ist aufwendig, aber sehr, sehr dumm.
Zwei Punkte für die Landschaftsaufnahmen und die nett daherdudelnde Musik.