Warum man in Deutschland vor den Titel „Crash“ noch ein „L.A.“ setzen mußte, wird mir ein Rätsel bleiben, denn damit wird angedeutet, das wäre eventuell ein lokal begrenztes Problem, was Paul Haggis in seinem Filmdebut bemüht ist, auszuleuchten. Tatsächlich seziert er ein wenig in allen gesellschaftlichen Schichten Amerikas herum, um aufzuzeigen, wie latenter Rassismus in seiner modernsten Form und ethnische Ressentiments alle Volksgruppen durchdrungen haben.
Das sind die höhergestellten weißen (Brendan Fraser, Sandra Bullock), die schon klinisch zwei Schwarzen auf der Straße mißtrauen, obwohl scheinbar keine Gefahr droht, um dann doch gerade von denen überfallen zu werden. Da setzt Vorurteile gegen einen hispanischen Schlüsseldienstmitarbeiter in Gang, der wiederum dann wieder in ein Verständnis- und Vorurteilsgefecht mit einem persischen Ladenbesitzer gerät. Gleichzeitig verleitet sozialer Frust einen Polizisten zu sexueller Nötigung eines farbigen Pärchens, das daraufhin in eine existenzielle Krise gerät, während des Kollege des Polizisten glaubt, von so etwas unberührt bleiben zu wollen, um am Ende die schwerste Sünde zu begehen.
Es sind noch mehr Figuren und Handlungsstränge, die sich bisweilen in diesem Film überkreuzen oder einfach aufeinander prallen, kleine Crashs allenthalben. Dabei zeigt Haggis keinen von ihnen wirklich, meistens nur das Ergebnis, aufgebrachte oder verzweifelte Menschen, Wracks eines Unfalls, der bereits passiert ist.
Das erste Mal, daß man es rumsen hört, ist bei der Staffelübergabe in der Schlußszene, bis dahin finden die wahren Crashs in den Figuren statt.
Und was da zu sehen ist, ist bestenfalls bitter, meistens säureartig und nur in wenigen Momenten optimistisch oder versöhnlich. Haggis läßt draufhalten, beschönt nichts, übertreibt es auch nicht, bleibt immer im Rahmen des Realistischen, auch wenn einige Figuren leicht platt überzeichnet sind (so ist etwa Sandra Bullocks Staatsanwaltsgattin eine relativ klischeehafte Zicke, was aber nicht heißen soll, daß es solche Leute nicht gibt).
Der Fokus liegt dabei auf der Botschaft: „Erkenne dich selbst!“, man muß für sich prüfen, wieviel von den dargebotenen Meinungen, Ansichten und Stimmungen man schon selbst auf sich vereint. Film und seine Wirkung als Selbstversuch.
Dabei hat man das Drehbuch weitestgehend um Tiefe in der Figurenzeichnung bemüht, und wenn man auch nicht Verständnis mit den Figuren entwickeln kann, dann doch wohl immerhin Nachvollziehbarkeit. Und so steuert man mitunter auf kleinere und größere Katastrophen mit einer Ausweglosigkeit zu, die dennoch in letzter Konsequenz immer mal wieder überraschen kann.
Einige Sequenzen beweisen dabei wahre Meisterschaft, quälend und brutal emotionstreibend zugleich: die schon fast an eine Vergewaltigung gemahnende Leibesvisitation Thandie Newtons durch Matt Dillon; die später geradezu nervenzerreißende Rettung Newtons aus ihrem bald explodierenden Auto durch eben ihren Peiniger vom Vorabend und der Augenblick, in dem der persische Ladenbesitzer auf den Schlüsseldienstmitarbeiter anlegt, möglicherweise der Nackenhaaraufsteller des Jahres.
Am Ende kommt keiner heil und rein davon, alle sind schuldig, alle sind sich ihrer Schuld ein bißchen bewußter geworden und dennoch springt der Film nie unversöhnlich mit ihnen um, bietet immer ein ergänzendes, ein erweitertes Bild an, denn nichts ist in einem Film über Simplifikation und Rassismus tödlicher, als seine Charaktere genau diesem Trend zu opfern.
„L.A.Crash“ schafft tatsächlich den Spagat zwischen einem Filmerlebnis und harter Arbeit, zwischen Aufrütteln und emotionaler Teilnahme und ist deswegen schon allein sein Geld wert. Haggis Film ist ein kunstvoll verflochtenes Konstrukt, in dem es für niemanden ein Entkommen gibt, nicht vor sich und nicht vor den Anderen, bei dem gleichzeitigen Wunsch, endlich wieder jemanden nahe zu sein. Crashs sind vorprogrammiert. (8,5/10)