>>The sense of touch<<
24 Stunden. 1440 Minuten. 86400 Sekunden.
24 Stunden im Moloch Los Angeles.
24 Stunden, die das Leben zahlreicher Menschen verändern.
24 Stunden, in denen einzelne Schicksale aufeinander prallen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Einzelschiksale… Doch darauf kann in der Regel keine Rücksicht genommen werden.
Zivile Kollateralschäden in den Wirren des Alltags.
Crash beginnt, wie sollte es anders sein, mit einem Autounfall. Doch dieser ist unwichtig. Wichtig ist, dass dort unterschiedliche Menschen unterschiedlichster Couleur aufeinander treffen.
Ausgehend von diesem Punkt springt Crash 24 Stunden zurück und beginnt zahlreiche Storyplots zu verfolgen, die mal eng, mal lose miteinander verbunden sind.
Im Mittelpunkt dieser Einzelplots stehen Menschen aus völlig verschiedenen kulturellen und sozialen Milieus, die ausser dem Unfall vor allem eines gemeinsam haben: Sie bilden ein Spiegelbild der heutigen amerikanischen Gesellschaft. So erzählt Crash sowohl vom weißen Staatsanwalt, wie vom schwarzen Kleinkriminellen. Sowohl vom Ladenbesitzer aus dem Mittleren Osten, als auch vom schwarzen Filmschaffenden. Sowohl vom weißen Cop, als auch vom hispanischen Schlüsseldienstmitarbeiter.
Und so ist dann auch der rote Faden, der sich durch alle Geschichten zieht, und der aus Crash einen so extrem harten, gar schockierenden Film macht, das gesellschaftliche Phänomen des Rassismus.
Dieses Mosaikspiel an sich, das auch schon Filme wie Magnolia, Amorres Perros oder Short Cuts gut bis hervorragend zum Stilmittel erhoben haben, wäre ebenso wenig ein Herausstellungsmerkmal, wie die Thematisierung von Rassismus in der heutigen Gesellschaft, die auch schon zahlreiche Filme vorher dargestellt haben.
Doch was „Crash“ so einzigartig, so verdammt hervorragend macht, ist die Schonungslosigkeit mit der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Paul Haggis das amerikanische Gesellschaftsbild demontiert und zeigt, dass der Rassismus ein Phänomen ist, dass sich wie ein Krebsgeschwür durch alle Bereiche des Lebens gefressen hat und eine Allgegenwärtigkeit erreicht hat, an der man letzten Endes nur noch verzweifeln kann.
Ein Weißer diskriminiert einen Schwarzen aufgrund seiner Herkunft, der wiederum beleidigt einen Araber in der nächsten Szene und der wertet dann wieder einen Hispanic ab, nur weil er eben anders aussieht. Hier ist es ein offen zur Schau getragener Rassismus, dort eine unterbewusste Abwertung und dann wieder eine subtile Diskriminierung.
Haggis lässt trotz gelegentlicher kathartischer Lichtblicke keine seiner Figuren in eben jenem positiven Licht erscheinen. Jeder hat hier Dreck am Stecken, ob gewollt oder ungewollt.
Selbst der Wendung manches „Bad Guys“ haftet doch ein fader Beigeschmack an, so dass sich während des Filmes nie auch nur ein ernsthafter Schimmer Hoffnung breit macht.
Dazu inszeniert Haggis einfach zu gnadenlos. Gnadenlos gut.
Stand er beim Oscarträchtigen „Million Dollar Baby“ als Drehbuchautor noch in der zweiten Reihe, so wird er hier zum Allround-Talent an vorderster Front und kann in allen Belangen überzeugen. Die komplexe Story fängt er in teils detaillierten, teils verwaschenen Einstellungen ein, und verbindet durch eine unaufgeregte, aber immer präzise Regie die einzelnen Plots, so dass selbst die größeren Zufälle als völlig natürlich und glaubwürdig erscheinen.
Ohnehin, Glaubwürdigkeit. Ein gutes Stichwort, um ein paar Worte zu den Darstellern zu verlieren.
Es fällt immer schwer bei solchen Ensemblefilmen, die einzelnen Figuren wenig Leinwandzeit gestatten, etwas zu den Leistungen zu sagen. Es wird sicherlich der Vorwurf von Kritikern des Films kommen, dass sich Haggis zu wenig Zeit lässt, um einzelnen Charakteren ein wirkliches Profil zu geben. Doch dieser Vorwurf greift meines Erachtens bei „Crash“ kaum. Jede Figur ist auf ihre Art absolut authentisch und glaubwürdig. Keine der zentralen Personen ist eindimensional geraten, sondern zeigt sowohl Facetten der positiven als auch der negativen Art, und das in jedem Fall vollkommen nachvollziehbar. Keine Entwicklung wirkt hier an den Haaren herbeigezogen, keine Wendung irgendwie aus der Luft gegriffen.
„You think you know who you are. You have no idea.” So lautet der Slogan zu diesem Film, und er passt wie die berühmte Faust aufs Auge.
Haggis ist mit seinem Debüt „Crash“ eine wirklich brutal ehrliche Darstellung der heutigen amerikanischen Gesellschaft gelungen, die auch genauso zutreffend für andere Gesellschaften ist, und eben durch diese Schonungslosigkeit markerschütternd ist. „Crash“ besticht aber eben nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern kann auch auf jeglicher formaler Ebene volle Punktzahl für sich verbuchen. Authentische Darsteller, eingefangen in teilweise hypnotischen Bildern, unterlegt mit einem kongenialen Score. Dazu noch zwei Szenen, die in ihrer emotionalen Intensität und Dichte in diesem Jahr, und auch darüber hinaus nur extrem schwer getoppt werden können. Wann treibt es mir schließlich schon mal die Tränen in die Augen?
„Crash“ ist nicht herzerweichend, sondern herzzerschmetternd.
„Crash“ ist selten brutal, aber immer brutal ehrlich.
„Crash“ ist das Beste, was ich seit langem gesehen habe.
Doch auch ich bin nur ein Einzelschicksal. Und auf mich kann keine Rücksicht genommen werden.