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Quentin Tarantino ist eine diebische Elster. Das sagen jedenfalls seit 1992 die Filmkritiker und spätestens seit „Kill Bill“ auch der Volksmund. Immer wieder stößt man auf Filme, an deren Nest sich Tarantino offensichtlich vergriffen hat, um aus den einzelnen geklauten Teilen für sich selbst das schönste Nest der gesamten Nachbarschaft zu bauen.
Sieht man sich mal die Gangster-Combo aus „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“ näher an, wird man erkennen, dass offensichtlich auch dieser Geiselthriller von Joseph Sargent Opfer des Diebesfeldzugs geworden ist. Natürlich nur in Bezug auf ein Detail, nämlich die Incognito-Namensgebung der Geiselnehmer durch wertneutrale Farbbezeichnungen anstatt von Nachnamen (Mr. Blue, Mr. Grey...). Trotzdem: darf man das nun als Qualitätsmerkmal und Huldigung an einen großen Film der Zeit verstehen?

Nun, zumindest an Spannung mangelt es nicht, selbst für heutige Verhältnisse. Die Story um eine Gruppe von Kriminellen, die eine U-Bahn samt Fahrgästen kidnappen und dafür eine Million Dollar verlangen, mag zwar nach heutigen Maßstäben nicht mehr up to date sein, und ich will auch nicht beurteilen, wie „fresh“ diese Idee im Jahr 1974 war, doch wird das alles irrelevant, wenn man die Umsetzung sieht. Das Geschehen ist zweifellos eine einzige tickende Zeitbombe, bei der man jede Minute mitfiebert und auf eine Auflösung hofft.

Nach heutigen Kriterien sollte man sich eine Art Schüttelshake aus „Stirb Langsam“ (allerdings ohne einen herausragenden Helden!), „Speed“ und „Money Train“ vorstellen, wenn auch optisch schon etwas vergilbt und ganz offensichtlich aus den Siebzigern stammend. Das Genre bleibt dabei etwas unbestimmt, findet man doch Charakteristika aus den Bereichen Krimi, Thriller, Polizeiaction, Komödie und Heist-Movie vereint. Diese Mischung ist in dem Kontext etwas gewöhnungsbedürftig, aber durchaus verträglich. Gerade der Humor bricht stellenweise konsequent durch (man denke nur an die „Wer ist losgefahren?“-Szene), wobei man sich nicht immer sicher sein kann, ob das auch wirklich humoristisch gedacht war. Eines aber wird dabei in jedem Fall vermieden: Langeweile.

Der umfangreiche Mittelteil bezieht seine Spannung aus einer Kommunikationslinie zwischen den Geiselnehmern (Kopf: Robert Shaw) und dem Bahnpolizisten Garber (Walter Matthau), der alles andere als der perfekte Mann für eine solche Situation ist. Nur leider hatte er gerade Schicht, war also zur falschen Zeit am falschen Ort, und muss sich nun mit den Kriminellen verständigen, um die Geiseln nicht in Gefahr zu bringen. Garber wiederum erhält von beiden Flanken Hilfe, wie beim Kontakt mit den Geiselnehmern über ein Funkgerät. Die eine Flanke wird besetzt von Jerry Stiller (der hier genauso aussieht wie heute in „King of Queens“ nur mit weniger Falten), der in der städtischen Polizeizentrale für Rückhalt sorgt, die andere von einem schwarzen Police Officer, der mit seinen Mannen im Außendienst tätig ist und bevorzugt für den Transport des geforderten Lösegelds verantwortlich ist.
Im folgenden werden wir Zeuge eines Hin-und Herschneidens zwischen der Situation in der U-Bahn und der U-Bahn-Zentrale, inmitten deren Hektik (verdeutlicht durch im Hintergrund hin- und herlaufenden Statisten ganz im Stil von „Aktenzeichen XY ungelöst“) Knautschgesicht Matthau verzweifelt am Funkgerät hantiert und einmal mit dem Gegner Kontakt aufnimmt, dann wieder mit den Verbündeten. Er ist das Medium, transportiert Informationen und Anweisungen seiner Hintermänner zu den Geiselnehmern, wird dabei aber auch selbst aktiv und kommt mit eigenen Ideen auf.

Da dieses Kommunikationsnetz den Hauptteil des Filmes ausmacht, sehe ich diesen auch als Parabel auf die Kommunikationsrevolution, die im Zuge technischer Innovationen in den 70ern wohl aktuell gewesen sein dürfte. Es wird eine Hektik dargestellt, die man sicher auf die ein oder andere Art bewerten kann; in Bezug auf den Film sorgt sie allerdings wie gesagt für Spannung, die dem Thriller-Grundgerüst zugute kommt.
Negativ anzumerken ist jedoch der Umstand, dass im Rahmen des ständigen Hin- und Herblendens kaum Zeit für Charakterzeichnung bleibt. Wir erfahren einfach zu wenig über den im Ansatz unglaublich interessant erscheinenden Charakter Garber, im Gegenzug ebenso wenig über die Motivationen der Gangster. Diese weisen zwar differenzierte Verhaltensmuster auf (da hätten wir zum einen den schießwütigen Killer, zum anderen den rationalen Kopf der Bande und die stillschweigenden Mitläufer), erlangen aber zu keinem Zeitpunkt genug Tiefe, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Kein Gruber („Stirb Langsam“), kein Payne („Speed“) wird geschaffen, es bleiben anonyme Gesichter, die selbst nach der Demaskierung noch im Verborgenen zu bleiben scheinen und sich hinter den Decknamen verbergen. Auf der anderen Seite ebenso: Regisseur Joseph Sargent erlaubt es Walter Matthau, geschweige denn Jerry Stiller nicht, den dargestellten Charakter zum Prototyp eines John McClane oder Jack Traven auszubauen. Dies mag auf der einen Seite seinen Sinn haben, da hiermit der zentrale Filmaspekt mit all seiner Rasanz und seinem Tempo gewährleistet werden kann; andererseits bleibt aber eine gewisse Restsperrigkeit zum wahren Klassiker bestehen, weil sich die „Todesfahrt“ nie ganz aus der Oberflächlichkeit befreien kann.

So sollte gerade der Bleifuß, der ohne Gnade auf das Gaspedal drückt, als eigentlicher Verdienst des Films betrachtet werden. Im Finale wird er dann endgültig zur Inspirationsquelle für spätere Filmemacher. So erweist sich neben Tarantino auch Jan DeBont als diebische Elster, wenn auch der eindeutige Beweis für den Klau ausbleibt. Dennoch weisen die U-Bahn-Fahrten aus „Speed“ und „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“ in ihrer Grundkonzeption verblüffende Ähnlichkeiten auf.

Es folgt noch ein kurzes Nachspiel mit altbewährter Polizei-Ermittlungsarbeit, wo den Geiselnehmern nach dem scheinbaren Sieg noch mal stark auf die Pelle gerückt wird. Das ironische Ende in Anlehnung auf ein unscheinbares Detail aus der Mitte des Films ist dabei durchaus amüsant, wenn auch etwas weit hergeholt. Dennoch ist es der witzige Abschluss einer aufregenden Achterbahnfahrt, die man mit Genuss verfolgt hat.

So ist „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“ eine aufregende Mischung aus Action, Thriller und Comedy, hinter deren Adrenalin-Fassade primär das Kommunikationsnetz der 70er unter die Lupe genommen wird. Zu einem wirklich guten Film fehlt bei aller Begeisterung für das Tempo der Charakterausbau, der zugunsten der anderen Qualitäten ausgespart werden musste. Dennoch ein Film, den man sich wegen der Kurzweil auch heute noch ansehen kann.
Gute 6/10

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