Sie zog einst aus, um der neue deutsche Star am Hollywood-Himmel zu werden: Franka Potente („Lola rennt“, „Anatomie“). Doch zu mehr als Nebenrollen in Hits wie „The Bourne Identity“ oder kleineren Auftritten in „Blow“ reichte es nie und so kehrte sie der Traumfabrik enttäuscht wieder den Rücken, um sich in heimische Gefilde zurückzuziehen. Wohl der berechende Versuch wieder auf sich aufmerksam zu machen, trieb sie nach „Anatomie“, ihrem damaligen Durchbruch, wieder zurück in den Horrorsektor, geradewegs in die Arme von „Creep“. Die deutsch-britische Co-Produktion bietet sich dank grafischer Brutalität, fehlender Selbstironie und vorhandenem Skandalpotential dafür aber auch an.
Christopher Smiths Regie- und Autordebüt erinnert mit seiner erzählerischen Stringenz, die für sich gar keinen Background oder gar wirkliche Charaktere einfordert, an die Slasher-Formeln der Achtziger. Die Prämisse steht, der Mörder wird vorstellig und alsbald wird nur noch geflüchtet und blutig gestorben.
Jedenfalls hat Smith sich seinen Film wohl so vorgestellt. Mit 78 Minuten bleibt er ganz ohne Nebenschauplätze eng bei der Sache, kümmert sich nur vage um, inzwischen bei gängigen Genrekollegen ja schon elementare, Aspekte wie die Identität des Killers und konzentriert sich auf puren Horror, womit er auch überraschend gut fährt. Der Mann hat definitiv seine Hausaufgaben gemacht, die Vorbilder studiert, bedient sich auch derer Ideen, schafft es aber innerhalb der U-Bahn-Katakomben von London seine eigene, reichlich finstere Welt auf den Zuschauer loszulassen. Die Dunkelheit gehört bekanntlich zu den Urängsten von uns Menschen und die versteht Smith für sich zu instrumentalisieren.
Nach dem traditionsbedingten Appetizer, der zwei Inspekteure der Kanalisation zeigt, werden wir mit einer extrem selbstbewussten Frau namens Kate (Potente, etwas zu nuttig geschminkt) konfrontiert. Sie, besser ihr Charakter, mag nicht dem Typus einer Traumfrau entsprechen, doch als Mitarbeiterin einer Modellagentur wähnt sie sich zumindest sicher genug, um George Clooney, der zufällig just an diesem Abend in London eine Party besucht, abzuschleppen. Der Weg dorthin führt, weil die Freundin schon früher verduftet ist, über die U-Bahn und einen Schluck Alkohol, der sie schließlich schläfrig werden lässt. Als sie aufwacht, ist der Bahnhof verrammelt und verriegelt und kein Mensch mehr dort unten. Ein letzter, scheinbar leerer Zug fährt ein und sie entgeht nur knapp der Vergewaltigung eines Lustmolchs. Warum? Weil der Creep ihn sich holt und von nun an steht für Kate verzweifeltes Flüchten mit allem was dazu gehört auf dem Programm: Hysterisches Kreischen, Verzweiflung, lähmende Angst und der primitive Trieb zur Selbsterhaltung. Am letzten Fingerspitzengefühl, um die Anspannung kontinuierlich aufzubauen mangelt Smith, der fast umgehend in die Vollen (u. a. wird der Creep früh und später dann auch zu oft gezeigt) geht, zwar, aufgrund der Kürze des Films fehlte ihm aber wohl auch die Zeit dafür.
Mit den düsteren, dreckigen und unüberschaubaren, labyrinthartigen Tunnelsystem Londons hat er sich immerhin eine urbane Location ausgesucht, die hervorragendes Potential für so eine Hetzjagd um Leben und Tod bietet. Schauplätze, wie das Gefängnis und der sicke Operationsraum des degenerierten, entstellten Creeps, der jedem Backwoodthriller im übrigen alle Ehre machen würde, sind mit Liebe zum Detail (u.a. Embryonen in Petroleumgläsern) reichlich siffig, widerlich und unsteril kreiert. Meist tappen die Protagonisten oder besser Opfer im Dunkeln, verirren sich hoffnungslos, werden dabei von der Kamera aus der gern angewandten Perspektive des heimlichen Beobachters gefilmt und rennen dabei ein ums andere Mal in eine Sackgasse. Wer sich darauf einlässt, dem sind Schweißpfoten und eine erhöhte Herzfrequenz zumindest garantiert.
Wie oben schon erwähnt, konzentriert sich Smith auf das Wesentliche, was sich auch in der enorm kurzen Laufzeit widerspiegelt. Weitere Erklärungen bezüglich der Identität des Killers fallen hier genauso weg, wie selbstreflexiver Humor. „Creep“ sieht sich als blanken Horror und schreckt dabei auch nicht vor der Anwendung äußerst expliziter Goreeinlagen, die mit Sicherheit eher eine Freigabe „Keine Jugendfreigabe“ rechtfertigen würden, zurück, die zarten Gemüter schon mal, auch aufgrund ihrer instinktiven, drastischen Durchführung, an die Nieren gehen kann.
Sicher werden hier auch Fragen bezüglich des Unerklärlichen, weil sich unterscheidenden Umgangs des perversen Creeps mit seinen Opfern aufgeworfen, doch das soll hier kein Anlass zur Kritik sein, steht doch Spannung und Dramatik im Vordergrund. Die genreüblichen Fehler, den Killer, wenn man ihn denn schon mal angeschlagen am Boden hat, nicht endgültig zu töten, lassen einmal mehr sauer aufstoßen. Verdammt, so blöd ist in Wirklichkeit doch kein Opfer!
Um in den Genreolymp aufzusteigen haftet „Creep“ zu wenig Unverwechselbarkeit an. Ohne Frage ist er dank seiner Location atmosphärisch und der exzellenten Inszenierung spannend, aber Innovationen sucht man hier vergebens und so kommt letztlich dabei nur ein, wenn auch gut umgesetzter, handelsüblicher Slasher heraus. Wenn man eine Frau durch dunkle Gänge um ihr Leben rennen und vor einem krankhaften Mörder flüchten lässt, muss man sich heutzutage mehr einfallen lassen.
Nichtsdestotrotz hält Smith die Schlagfrequenz bis zum Schluss hoch und den Zuschauer damit bei Laune. Wirklich böse kann man ihm auch gar nicht sein, bei seinem Regiedebüt auf Bewährtes gesetzt zu haben, anstatt sich mit Experimenten die weitere, verheißungsvolle Karriere zu verbauen. Die Schocks sind handelsüblicher Natur und das Spannungspotential sinkt für wenige Minuten auch mal ab, doch im Guten und Ganzen kann man „Creep“ schon allein weil so konsequent durchgezogener Horror im Kino heute selten geworden ist, als gelungen bewerten.
Fazit:
Genrekonformer Slasher-Horror mit hervorragenden Make Up-Effekten und absolut flottem Ablauf, der hier kein Motiv, geschweige denn sein Metier neu erfindet, dafür jedoch über die volle Distanz sich selbst treu bleibt und kompakte Grusel-Unterhaltung abliefert. Festgehalten in einer düster-schmutzigen und hin und wieder auch unterkühlten Optik, versetzt mit richtig eingesetzten Toneffekten, gestaltet der Horrorthriller sich, trotz der üblichen Defizite (Oberflächliche Charaktere, etc.) als europäische Alternative.
Schauspielerisch gibt es im Slasher-Bereich bekanntlich selten mehr als Kreischen, panisch Schauen und Laufen zu tun, weswegen Franka Potente hier auch schwer zu bewerten ist. Ohne zu glänzen, schlägt sie sich als blondiertes Opfer zumindest brauchbar.
Wenn auch lediglich die Standardformel umsetzend, empfiehlt sich Regisseur Christopher Smith mit „Creep“ für weitere Projekte. Atmosphäre und Spannung sind hier jedenfalls genauso vorhanden wie detaillierte Sterberituale. Auch wenn der letzte Schliff noch fehlt, bleibt nur die Empfehlung für einen unbequemen Gruselabend.