Nachdem John Sayles seine Karriere als Drehbuchautor und manchmal auch Regisseur von Genrefilmen startete (u.a. „Piranha“, „Alligator“, „Wenn er in die Hölle will, lass ihn gehen“), etablierte er sich später auch als Schaffer Award-nominierter Ware wie „Lone Star“. Wobei Genre und tiefergehende Gedanken in seinen Filmen oft eine Symbiose eingehen, so auch in „Wild Thing“, den Max Reid nach Sayles‘ Drehbuch inszenierte.
Es beginnt im Jahr 1969, als ein Hippie-Pärchen mit kleinem Sohn einen Anhalter mitnimmt. Der ist dummerweise Drogenkurier und mit der Ware von Chopper (Robert Davi) abgehauen. Der zwingt den Kurier zur Überdosis und erschießt die Eltern als unliebsame Zeugen, während dem Sohnemann die Flucht gelingt. Er strandet in den Slums, wo die obdachlose Leah (Betty Buckley) ihn aufzieht. Diese hat einen leichten Hau weg, redet von Polizisten nur als gefährlichen Blauanzügen, welche die Leute an die noch gefährlicheren Weißanzüge (Mediziner) weitergeben und im Dienste der Firma (vermutlich der Staat) stehen, weshalb der Junge nun als Einzelgänger und Jäger aufwächst, als ein moderner Kaspar Hauser, der nur selten spricht und nur mit Vertrauenspersonen.
Sprung in die Gegenwart des Jahres 1987, in dem Wild Thing (Robert Knepper), in der deutschen Fassung Asphalt Kid, nun zum Beschützer des Ghettoviertels The Zone geworden ist, das immer noch von Chopper und seiner Bande beherrscht wird, die mit dem korrupten Cop Jonathan Trask (Maury Chaykin) auch noch einen Gesetzeshüter in der Tasche haben. Obwohl die Bande mit Drogenhandel ordentlich Knete scheffelt, sind ihre Mitglieder auch Terror und Vergewaltigung nicht abgeneigt, da sie schalten und walten kann wie sie möchte, wie Sozialarbeiterin Jane (Kathleen Quinlan) beinahe am eigenen Leib erfährt, ehe Wild Thing sie als moderner Tarzan aus den Klauen der Schurken rettet – der Name seines Love Interests stellt die Bezüge zu Edgar Rice Burroughs‘ Figur noch stärker heraus.
Nach diesem Vorfall werden allerdings sowohl die Polizei als auch Chopper verstärkt auf den Helden des Großstadtdschungels aufmerksam, der den Dealern in die Suppe spuckt. Als Chopper ihn beseitigen will, bekommt Wild Thing die Chance zur Rache am Mörder seiner Erzeuger…
„Wild Thing“ ist nicht nur ein urbaner Tarzan-Film mit Kaspar-Hauser-Einschüben, er speist sich auch aus anderen Bezügen zur Popkultur. So erinnert Wild Thing als mythischer Großstadtvigilant an Nachbarschaftsbeschützer aus Comicheften, vom freundlichen Spider-Man bis zu den deutlich rabiateren Gesellen Batman und Daredevil. Dass Wild Thing sich zwar nicht direkt kostümiert, aber mit Kriegsbemalung, Tarzan-Outfit und selbstgebastelten Waffen zur Tat schreitet, unterstreicht diesen Eindruck nur noch. Auch eine Referenz in Richtung des eigenen Werks baut Sayles ein, wenn Jane ihren Beschützer bei einem Trip durch die Kanalisation auf den Mythos der Alligatoren im Untergrund anspricht – einen Mythos, den Sayles mit „Alligator“ höchstselbst befeuerte. Vor allem aber sind eben Dschungelhelden wie Tarzan das Vorbild, was auch der Soundtrack von George S. Clinton unterstreicht, wenn er mit Buschtrommeln, Urschrei-artigen Klängen und traditionell afrikanisch anmutenden Instrumenten arbeitet.
Allerdings kann sich das Ergebnis dann nicht so ganz entscheiden, ob es denn nun Sozialdrama oder comicartiger Vergeltungsfilm sein will, denn irgendwie ist es beides so halb und nichts so richtig. So zeichnet „Wild Thing“ einerseits das Bild einer Gesellschaft, die ihre Armen und Schwachen allein mit Kriminalität und Elend lässt. Ratten knabbern die Obdachlosen an, für Straßenkinder erscheint Prostitution als Ausweg und psychische Krankheiten sind bei den Bewohnern der Zone an der Tagesordnung. Allerdings bleiben all diese Aspekte eher Randnotizen, da „Wild Thing“ selten tiefer in die Materie einsteigt. Noch dazu werden die Figuren noch oberflächlich entwickelt, was sich auch am Verhältnis der beiden Hauptfiguren zeigt: Dass Wild Thing und seine Jane eine Romanze haben und gemeinsam eine Nacht verbringen, scheint eher genretypischen Anforderungen und dem Burroughs-Vorbild zu entspringen als tatsächlich gezeigten Gefühlen. Schließlich läuft das Ganze binnen weniger Tage ab, in denen Jane gleichzeitig Ersatzpflegekraft für den verängstigten Sozialphobiker und seine Geliebte ist, während dieser sich einfach urplötzlich in die junge Frau verliebt hat, weil das Herz eben manchmal grundlos will was es will.
Als Actionfilm nimmt „Wild Thing“ allerdings auch wenig Fahrt auf, da er in rund 90 Minuten erst einmal lang und breit Wild Thing samt Umfeld vorstellt, Chopper erst spät so wirklich auf den Plan tritt und viel Zeit für Jane und die Straßen-Kids verwendet wird, diese aber nicht genug Profil gewinnen. Die meiste Action konzentriert sich dann auf das Finale, in dem Wild Thing mit Choppers Gang aufräumt, die aber gerade einmal sechs Mitglieder umfasst. Jedoch sind die Stunts, Kämpfe und Jagdszenen (trotz einiger unsauberer Szenenanschlüsse) brauchbar inszenierte Action der bodenständigen Sorte, in denen Underdog Wild Thing gegen Schurken mit Autos, Gewehren und Pistolen antritt. Der Held legt akrobatische Sprünge hin, benutzt selbstgebastelte, einfache Waffen und schlägt taktisch klug aus dem Hinterhalt zu, was für kleiner skalierte, aber durchaus packende Gefechte und Jagdszenen sorgt.
Zu den Stärken des Films gehören kleine Details am Rande, mit den Sayles und Reid dem Film mehr Profil geben. Da ist zum einen die Riege der Obdachlosen, darunter ein Beinloser, der sich auf einem Rollbrett fortbewegt, oder einer, der mit Degen und Tuch Torero mit Autos im laufenden Verkehr spielt. Auch die Gang von Chopper hat ein paar illustre Gestalten, etwa einen Punk mit Haaren in allen Regenbogenfarben und eine Bodybuilderin. dabei – leider wird die Schurkentruppe über solche optischen Einfälle kaum ausgearbeitet, was schade ist. Denn einerseits erkennt „Wild Thing“ damit zwar, dass die besten Fieslinge jene sind, die nicht nur als gesichtsloses Fallobst daherkommen, aber denkt diesen Gedanken nicht zu Ende. Immerhin: Die Nebenfiguren auf guter Seite sind etwas besser ausgearbeitet, bleiben aber eben auch nur kleine Nebenfiguren.
Aus heutiger Sicht mag es etwas ironisch wirken, dass ausgerechnet der derzeit auf Schurkenrollen abonnierte Robert Knepper (siehe „Prison Break“, „Transporter 3“, „Hard Target 2“ usw.) den Helden spielt, aber er verkörpert den unzivilisierten Wild Thing durchaus überzeugend. Kathleen Quinlan ist okay, aber mehr auch nicht, während Maury Chaykin unterbeschäftigt hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Im Gegensatz dazu liefert Robert Davi eine extrem launige Performance als Oberfiesling ab, mit der er definitiv alle anderen an die Wand spielt: Chopper ist ein sarkastischer wie eiskalt berechnender Lebemann, nie um einen Spruch oder eine Gemeinheit verlegt. Weitere Akzente setzt Betty Buckley als durchgedrehte Pflegemama, auch wenn sie nur kurz mit von der Partie ist. In einer Nebenrolle zu sehen: Der spätere Regisseur und Produzent Shawn Levy.
„Wild Thing“ ist kein vergessener Klassiker des Genrekinos der 1980er, aber dennoch einen Blick wert: Der Mix aus comicartiger Vigilantenaction, modernem Tarzan-Abenteuer und sozialkritischen Aspekten ist definitiv etwas, das man nicht alle Tage sieht. Für den letzten Kick mangelt es zwar ein wenig an Schauwerten, Tempo und Figurentiefe, jedoch bleibt „Wild Thing“ in seiner Einzigartigkeit länger im Gedächtnis als mancher Wegwerf-Actioner nach Standardschema.