Review

„We’re young, hot and pissed off!“

Mit „Avere Vent’anni“ serviert uns Italo-Kultregisseur Fernando Di Leo („Milano Kaliber 9“, „Der Mafiaboss – Sie töten wie Schakale“) eine eigenwillige Mixtur aus lockerer Erotikkomödie bzw. -satire und bitterbösem Drama. 1978 veröffentlicht, nimmt er zunächst komödiantisch das Leben in Hippiekommunen aufs Korn:

Die attraktiven Mädchen vom Lande Lia (Gloria Guida, „Flotte Teens und heiße Jeans“) und Tina (Lilli Carati, „Im Knast der perversen Mädchen“) sind zwei eher gegensätzliche Charaktere. Tina ist laut, aufbrausend und brünett, Lia hingegen zurückhaltender und blond. Beide jedoch sind sich darin einig, nach Rom trampen zu wollen, um unter Gleichgesinnten dem Mief der Provinz entkommen und der freien Liebe frönen und ohne gesellschaftliche Zwänge ihre Jugend genießen zu können. Lebenslustig und rotzfrech treten sie ihre Reise an. In Rom angekommen müssen sie aber bald feststellen, es in erster Linie mit einer Bande Schlaffis zu tun zu haben, die sich ihre Libido größtenteils weggekifft hat. Andere verkleiden sich als Pantomimen und haben auf ihrem Selbstfindungstrip allem Weltlichen abgeschworen, während der Kommunenguru die Hand aufhält. Herrlich in diesen Szenen ist die temperamentvolle Tina, die vor frechen Sprüchen und Schimpfkanonaden nicht zurückschreckt. Selbstredend finden sich irgendwann doch willige Sexpartner und die beiden kommen zumindest kurzzeitig auf ihre Kosten. Dennoch müssen sie feststellen, dass sie mit ihrem fordernden Auftreten bzw. ihrem offensiven Eintreten für sexuelle Selbstbestimmung auf wenig Gegenliebe beim männlichen Geschlecht stoßen. Da auch das Leben in der Kommune Geld kostet, ist Tina gar gezwungen, einen Vertreterinnenjob für eine Enzyklopädie anzunehmen, wobei sie „mit Körpereinsatz“ erfolgreiche Abschlüsse forciert. Doch nur allzu bald stößt ein Filmteam in der Kommune hinzu und die Bewohner ergehen sich in ach so bedeutungsschwangerem, pseudofeministischem Geschwafel, bis irgendwann die brutale Polizei die Bude stürmt und alle mit aufs Revier nimmt.

War bereits die vorausgegangene Handlung zwar komödiantisch, aber mitnichten auf billigem Teenieklamottenniveau und präsentierte der Film seine desillusionierende Ausrichtung mit einem satirischen Augenzwinkern, so bekommt er ab diesem Zeitpunkt einen immer dominanter werdenden, ernsteren Tonfall. Letztendlich sind Lia und Tina gezwungen, Rom wieder zu verlassen und tanzen auf der Rückreise in einem ländlichen Lokal aufreizend zur Musik, begegnen der anwesenden Männergemeinschaft selbstbewusst und schnippisch. Das bittere Ende möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten, nur soviel: In seiner pessimistischen Desillusion schwindet sämtlicher zuvor noch vorhanden gewesener Humor ebenso wie die Erotik und mit seinem Abgesang auf das Ausleben eines gesellschaftlich geächteten Lebensentwurfs erinnert es mich stark an „Easy Rider“, der eine einerseits ähnlich, andererseits doch ganz anders schockierende Pointe besaß. Das ist ein ziemlich fieser Magenschwinger und macht aus einer sleazigen Sommerkomödie – wenn auch nicht ohne entsprechende Vorzeichen – ein intelligentes, gesellschaftskritisches Drama, von dem ich vorher meine Zweifel hatte, ob es funktionieren würde. Aber das tut es. Die Träume naiver weiblicher Twens von Selbstbestimmung sterben unwiederbringlich durch die Hand das Patriarchats und der Zuschauer ist Zeuge jener schwer verdaulichen Tortur.

Die beiden Schauspielerinnen entstammen dem Erotikbereich, beweisen aber, dass sie ihr Fach auch über das natürlich auch hier ausgiebig stattfindende Blankziehen hinaus verstehen. Beide sind wahre Augenweiden und versprühen unter Di Leos Regie reichlich Erotik. An die filmischen Großtaten Di Leos wie seine berüchtigte Mafiatrilogie reicht „Avere Vent’anni“ zwar nicht heran, aber er unterhält dauerhaft ähnlich prächtig und nimmt den Zuschauer mit seinem Charme und seiner (trügerischen) Wohlfühlatmosphäre gefangen. Die bizarren und skurrilen Charaktere der Kommune sorgen für viel Kurzweil, darüber hinaus verfügt der Film über mit die schlimmsten Tanzszenen, derer ich Augenzeuge werden „durfte“. Die unheimlich fiese Mimik des patenhaften Oberhaupts der Hinterwäldlersippe am Filmende hingegen verheißt bereits nichts Gutes und ist der Auftakt zum grausamen Ende. Das immer wiederkehrende Titelthema ist wie so oft im italienischen Kino grandios und in seiner unbedarften Schönheit das akustische Pendant zu den Hauptrollen – gesungen von Gloria Guida persönlich!

Anscheinend wurde der Film gegen den Willen des Regisseurs umgeschnitten und in Deutschland zudem unter dem völlig danebenliegenden Titel „Oben ohne, unten Jeans“ schwer auf Sexklamotte getrimmt. Glücklicherweise gibt es eine italienische Doppel-DVD, die die ursprünglich beabsichtigte Schnittfassung enthält und über sehr gut verständliche englische Untertitel verfügt, so dass sich diese Sleaze-Perle mit Anspruch niemand entgehen lassen sollte, der etwas für den besonderen Erotikfilm übrig hat. Die Diskussion, inwieweit sich dieser inhaltlich antichauvinistische Film chauvinistischer Stilmittel bedient, um (s)ein Publikum zu erreichen und zu unterhalten und ob das gerechtfertigt ist, um es zunächst in Sicherheit zu wiegen, um es dann zu verstören oder ob es sich gar einfach um kalkulierte, geschmacklose Exploitation handelt, überlasse ich gern anderen.

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