„Speed“ ist nicht „Stirb langsam“ im Bus. Er ist keiner der unzähligen (und zumeist minderwertigen) Epigonen des „Stirb langsam“-Prinzips. Zwar gibt es eine gewisse Familienähnlichkeit zwischen beiden Filmen, denn beide minimieren den Plot, um aus einer möglichst einfachen Idee, die letzten Endes in der Beschränkung auf einen möglichst überschaubaren Schauplatz mündet, ein Maximum an Spannung herauszuholen. Aber ansonsten unterscheiden sich beide Filme doch deutlich voneinander. In „Stirb langsam“ ist der Schauplatz statisch: ein von einer Gruppe von Supergangstern hermetisch abgeriegeltes Hochhaus in L.A., in dem sich der Durchschnittscop John McClane zu einen Guerillakampf gezwungen sieht, um das Leben der unschuldigen Geiseln zu retten und den bösen Jungs den ganz großen Raubzug zu verderben. In „Speed“ ist der Schauplatz dagegen dynamisch: ein von einem erpresserischen Einzeltäter mit einem geschwindigkeitsempfindlichen, hochexplosiven Sprengsatz präparierter Linienbus, der trotz Rush Hour in L.A. nicht langsamer als 50mph fahren darf, da er sonst mitsamt der Passagiere in die Luft fliegt; Elitecop Jack Traven ist den ganzen Film über fast ausschließlich mit der Rettung der im fahrenden Bus gefangenen Geiseln beschäftigt (letztendlich wird der Übeltäter fast schon beiläufig zur Strecke gebracht). Während „Stirb langsam“ gewissermaßen der Vater eines eigenen Subgenres ist, ist „Speed“ vielmehr ein später Sohn des in den 70er-Jahren populären Katastrophenfilms, als dessen moderne Miniatur er sich präsentiert. Beide Filme unterscheiden sich nicht nur durch den Charakter der Schauplätze (immobil vs. mobil) und der Helden (politisch unkorrekt vs. politisch korrekt), der Anzahl der Gegner (Gang vs. Einzeltäter), sondern auch bezüglich des Härtegrads und des daraus resultierenden actionfilmtypischen Humors.
„Speed“ ist ein Film, den ich gerne übersehe, obwohl er das überhaupt nicht verdient, gehört er doch eindeutig zu den unterhaltsamsten Vertretern des boomenden 90er-Jahre-Actionkinos. Auf beispielhafte Weise transportiert er das durch den Filmtitel suggerierte Hochgeschwindigkeitsgefühl. „Speed“ ist purer Eskapismus und lässt dem Zuschauer aufgrund seiner schieren Rasanz die ganze Zeit über keinen Augenblick zum Durchatmen und Nachdenken. Die ausgedehnte Eröffnungssequenz, die zugleich als Exposition dient, unterhält bereits prächtig, ehe im eigentlichen Hauptteil des Films das Gaspedal ungebremst durchgetreten wird; demgegenüber fällt der Showdown des Films etwas ab, bleibt dabei dem Geschwindigkeitsprinzip des Films jedoch treu und führt auf ungebrochen unterhaltsamem Weg alle Beteiligten ihrem genregemäß unvermeidlichen Schicksal zu. Sicher ist der Film an der einen oder anderen Stelle etwas hanebüchen oder unrealistisch, aber aufgrund der kompetenten Regie des Debütanten Jan De Bont, der davor bei vielen Actionfilmen Kameramann war (unter anderem ausgerechnet auch bei „Stirb langsam“), fällt das nicht sonderlich schwer ins Gewicht. Nach seinem Erstling hat er bisher keinen guten Film mehr hinbekommen. De Bont setzt verstärkt auf spektakuläre Stunts, Kollisionen und Explosionen, zu Kämpfen kommt es nur an absolut unvermeidlichen Stellen, d.h. im Showdown. (Auch das unterscheidet „Speed“ von „Stirb langsam“, der eben auch reichlich bewaffnete und unbewaffnete Kämpfe bietet.) Getragen wird die atemlose Jagd durch sympathische Darsteller. Keanu Reeves ist bekanntermaßen kein guter Schauspieler, doch kann er hier seine zweifellos vorhandenen Sympathiewerte als engagierter Jungbulle optimal in die Waagschale werfen und feiert hier nach der soliden Gesellenprüfung in „Gefährliche Brandung“ seinen richtigen Durchbruch als Actionstar, ehe im einige Jahre später die Meisterprüfung in „Matrix“ gelingt. Sandra Bullock verströmt wirksam ihren hier noch unverbrauchten Charme des unkomplizierten Mädchens von nebenan. Jeff Daniels hat als Sidekick auf Standby bei den kurzen, den Filmfluss nur unmerklich behindernden Einschüben polizeilicher Ermittlungsarbeit den ganzen Film über nicht besonders viel zu tun. Dennis Hopper gibt den unvermeidlichen Bösewicht, so wie er ihn davor schon und danach noch viele Male verkörpert hat. Hoppers Interpretation des Pyromanen Howard Payne ist zwar routiniert, aber auch nicht unbedingt inspiriert. Es funktioniert, und das soll reichen. Aufgrund des ungewöhnlichen Szenarios kann der Film übrigens viele Actionfilm-Klischees vermeiden, was ich immer angenehm finde.
„Speed“ ist in meinen Augen ein echtes kleines Highlight des Actionkinos, das sich durch Eigenständigkeit wohltuend von der großen Masse der austauschbaren Bombast-Actionfilme der 90er-Jahre abhebt, indem es allen überflüssigen Ballast abwirft, auf die umständliche Erzählung einer Alibigeschichte weitgehend verzichtet, durchaus eigenständig auf allzu stereotype Genrekonventionen pfeift und stattdessen unbekümmert den Fuß in der Ölwanne lässt, bis das Szenario ausgereizt aber nicht überreizt ist, sodass der Film trotz vieler Vorhersehbarkeiten stets ein hohes maß an Spannung verbreitet, dass er aus der punktgenauen und temporeichen Inszenierung bezieht.