Eugenie (1970)
Plaisir à trois (1974)
La Comtesse perverse (1974)
Eugènie (1975)
von Jess Franco
De Sades "La Philosophie dans le boudoir, ou Les Instituteurs immoraux" (1795) hat Franco immer wieder beschäftigt: die sadoerotische Erziehung einer unschuldigen jungen Frau durch verdorbene Befürworter einer bedingungslosen Lusterfüllung schlägt sich - in zahlreichen Variationen - gerade ab Beginn der 70er Jahre immer wieder in seinen Filmen nieder. "Eugenie" (1970), "La Comtesse Perverse" (1974), "Plaisir à trois" (1974), "Eugénie" (1975) sind beliebte Vertreter aus Francos fruchtbarer Phase (die mit seiner - mehr furcht- als fruchtbaren - Arbeit für Erwin C. Dietrich endete) - späten Widerhall findet das Motiv noch in seinen eher schäbigen S/M-Phantasmagorien seit der Jahrtausendwende.
"Eugenie" ist mittlerweile Francos populärste Annäherung an de Sades verruchten Erziehungsroman (dem man noch den Zweiteiler "Justine" (1791) und "Juliette" (1796) an die Seite stellen könnte), was nicht zuletzt an der prominenten Besetzung dieses vor einigen Jahren wiederentdeckten, lange verschollenen Films liegen dürfte - mit Christopher Lee, Jack Taylor, Herbert Fux, Maria Rohm, Paul Muller und Marie Liljedahl spielt hier die Crème de la Crème des europäischen Exploitationsfilms der 60er und 70er Jahre mit... und auch Franco selbst hat einmal mehr eine kleine Statistenrolle.
Die Handlung folgt in groben Zügen de Sades Vorlage, weicht aber nach und nach immer stärker von ihr ab: bei Franco wie bei de Sade wird [Achtung: Spoiler!] die unschuldige Eugenie von einem sadistischen Geschwisterpaar und dem Libertin Dolmancé allmählich verführt, genötigt und mit einem bedingungslos egoistischen Lustprinzip konfrontiert. Doch wo bei de Sade die unschuldige Eugenie nach ihrer Erziehung zum Sadismus noch die Seiten wechselt und gar an der Misshandlung der eigenen Mutter teilnimmt, da bleibt Eugenie bei Franco trotz mancherlei Verzückungen und Gewalttaten (an ihren Vergewaltigern) letztlich doch ein Opfer. Christopher Lee wacht bei Franco als exquisit sadistischer Dolmancé über eine Intrige, die das sadistische Geschwisterpaar Madame de Saint-Ange (Rohm) und Mirvel (Taylor) nicht überleben wird und aus der Eugenie letztlich als Hauptverdächtige eines Mordfalls hervorgeht. Dabei ist Lees Dolmancé nicht bloß einfach eine Figur aus der Feder de Sades, sondern eine Figur, die de Sade und dessen Werk kennt und genießt - und die "La Philosophie dans le boudoir, ou Les Instituteurs immoraux" als reales Spektakel in Szene setzt, als Strippenzieher jedoch zugleich Änderungen vornimmt, die aber durchaus vom Geist de Sades durchdrungen sind: Dolmancés Genuss am Leid macht bei Franco nicht mal mehr vor dessen Verbündeten halt. Wo bei de Sade noch die eigenen Mütter misshandelt werden, weil sie so schrecklich sittlich sind, da lässt Francos de Sade-Kenner Dolmancé als Figur de Sades sogar die eigenen Weggefährten misshandeln, obwohl sie so sadistisch & lasterhaft sind wie er selbst.
Insofern wird "Eugenie" mit seinem düsteren Ende der Vorlage de Sades in gewisser Hinsicht durchaus gerecht: die sadistischen Gelüste sind wahrlich erschreckend. Zugleich aber wird der Punkt der Erziehung zum Sadismus nur noch sehr vage verfolgt. Letztlich wird (wie erwähnt) niemand zum Bösen verführt - weder Eugenie, noch das Publikum. Eugenie ersticht in Notwehr Mirvel, der sie vergewaltigen will... ihre Gewalt bleibt fortan stets Notwehr oder Rache, folgt jedoch nie ausschließlich einem egoistischen Lustprinzip: Als Dolmancé Eugenie erst durch Madame de Saint-Ange malträtieren lässt, um dieser sogleich in den Rücken zu fallen und Eugenie ihre Rache zu ermöglichen, nimmt Eugenie in ekstatischer Verzückung am gemeinsamen Lustmord an der Sadistin teil - und ist später dann sogleich über sich selbst entsetzt. Die Geschwister und Dolmancé leben ihren Egoismus & Sadismus ungehindert aus - Dolmancé tut dies sogar noch uneingeschränkter als bei de Sade; Eugenie hingegen verfällt lediglich nach ihrem Martyrium ihren Rachebedürfnissen, befindet sich danach aber gleich wieder voller Reue in der Opferrolle. (Einmal mehr bleibt ein Franco-Film in seiner Aussage unausgewogen und widersprüchlich...)
Das ist letztlich doch bloß de Sade light und atmet allenfalls noch den Geist seines Doppelromans über Juliette und Justine: nur die Verdorbenen können ihre Ziele erreichen.
Wie Robbe-Grillets spielerische S/M-Filme der 60er & 70er Jahre wirkt der seinerzeit skandalöse Film inzwischen ausgesprochen zahm - und anders als bei Robbe-Grillet fehlt Francos S/M-Streifen das Widerspenstige, Sperrige: "Eugenie" ist trotz der bösartigen Momente über weite Strecken ein bloß gefälliger & bildhübscher Soft-Erotikfilm geworden, der sein verstörendes Potential nicht vollständig entfalten kann. Exotische Kulissen (eine idyllische Insel), höchst artifizielles Dekor (mal nostalgisch, mal poppig-modern), wundervolle Kostüme und schöne nackte Leiber werden in warmen Farben und Farbfiltern, in teils verschwommenen Konturen und stilvollen Bildkompositionen zu chilliger lounge music dargeboten: formal ist das ein schwelgerischer Film ohne jeden Widerhaken. Gerade damit könnte er noch als Ästhetisierung des Bösen fungieren, als Verführung zum Bösen - doch wie gesagt: die Verführung zum Bösen findet eigentlich nirgends statt. Letztlich ist "Eugenie" eher eine Fingerübung für spätere Werke, mehr eye candy mit tollem Soundtrack - und weniger eine adäquate de Sade Verfilmung. (Das hat er freilich wieder mit beinahe jeder de Sade Verfilmung gemeinsam.)
6,5/10
"La Comtesse perverse" reiht sich in die Reihe loser Variationen ein und verbindet de Sadeschen Sadismus mit einer Hommage an RKOs Sadismus-Klassiker "The Most Dangerous Game" (1932): Die adeligen Zaroffs (Alice Arno & Howard Vernon) jagen gemeinsam auf ihrer Insel junge Frauen, schlachten sie, hängen sich ihre Köpfe als Trophäen and die Wände und verspeisen ihre Körper, stest kultiviert und feingeistig. Nachschub bekommen sie [Achtung: Spoiler!] von Bob und Moira, die nicht weit entfernt an einer Küste leben und den Zaroffs gegen Bares schöne Urlauberinnen zuführen, welche sie zuvor in ihre eigenen, leicht sadomasochistischen Dreier eingebaut haben. Doch zumindest Bob ist kein reiner Sadist wie die Zaroffs, deren nonkonsensuelle sexuelle Gewalt vermehrt sein Gewissen belastet. Bei der Übergabe eines neuen ahnungslosen Opfers (Lina Romay) muss Bob, der sich längst in die junge Frau verliebt zu haben scheint, angewidert das gemeinsame Festmahl verlassen, das freilich aus einem der früheren Opfer besteht. Die junge Frau wird von den Zaroffs zunächst verführt, dann jedoch mit deren sadistischen Vorlieben konfrontiert: man fesselt und schlägt sie und bereitet sie für die anstehende Menschenjagd am nächsten Tag vor. Bob erwürgt daheim die kühle Moira, die nur allzu unbekümmert am Menschenhandel teilgenommen hat und begibt sich - mit Pfeil und Bogen bewaffnet - wieder auf die Insel der Zaroffs. Dort muss derweil das neue Opfer um sein Leben rennen - nackt und unbewaffnet, gejagt von der ebenfalls nackten, aber mit Pfeil und Bogen ausgestatteten Gräfin. Diese erlegt ihr Opfer, Bob schießt kurz darauf einen Pfeil in den Rücken der Gräfin und wenig später stehen Bob und Graf Zaroff jeweils an den Leichnamen der geliebten Frauen. Bob wählt den Liebestod und trägt die Geliebte, deren Tod er selbst in die Wege geleitet hat, in die Fluten, bis er ertrinkt - und Graf Zaroff macht sich verzückt daran, sich die Freude seines Lebens zu erfüllen, nämlich den Körper der einstigen Partnerin zu verspeisen. Die zwei Sadisten (von denen einer konsensuellen Sex, der andere hingegen nonkonsensuellen Sex gepflegt hat) bewältigen noch den Tod der jeweils geliebten Person auf völlig konträre Arten und Weisen, die als romantischer Liebestod und als kannibalisches Einverleiben ganz unterschiedlich Gewalt und Erotik koppeln.
Die Handlung reduziert Franco auf ein Minimum, seine Figuren bleiben Schablonen, die durch eine Geschichte geistern, die gerade gegen Ende immer symbolischer und immer weniger realistisch gerät: wenn Bob sich ausgerechnet mit der Waffe bewaffnet, die auch von den Zaroffs auf ihrer Jagd eingesetzt wird, ist das weniger ein blöder Zufall als vielmehr eine Spiegelung der zwei verschiedenen, sadistischen Parteien.
Doch weniger die so straffe, wie geordnete Dramaturgie hebt den Film unter Francos Œuvre hervor, sondern vor allem seiner beachtlichen formalen Gestaltung verdankt der Film seine faszinierende Wirkung: "La Comtesse perverse" ist einer von Francos hysterischsten Filmen, wenn nicht gar sein hysterischster: wilde Reißschwenks, schnelle Zooms und nahezu durchgängig eingesetzte Weitwinkel-Objektive präsentieren neben beispielhaften Höhepunkten der 70er Jahre Mode mit Ricardo Bofills Villa El Xanadu auch noch eine beeindruckende Kulisse, die Franco schon häufiger, aber kaum jemals so beachtlich wie in "La Comtesse perverse" eingefangen hat. Gelegentlich laut aufspielende Orgelklänge bringen in die fremdartig verzerrten Bilder der sperrigen, abweisenden Architektur einen zusätzlichen Touch der Unruhe. "La Comtesse perverse" ist ein Film der Dissonanz: im extremen Weitwinkel scheinen Vorder- und Hintergrund nicht mehr zu harmonieren, in Bofills El Xanadu gibt es keine glatte Fassade mehr, sondern nur noch irrsinnig verschobene Blöcke, die Tonspur ergeht sich bisweilen in einem aufreibenden, disharmonischen Stakkato. Trotz langen, teils gemächlichen Einstellungen gelingt Franco in den besten Momenten auf diese Weise eine hysterisch-unruhige Atmosphäre, die - mit Abstrichen - an vergleichbare Momente im Werk Andrej Zulawskis erinnert. Dass eine später vom Produzenten geforderte Langfassung ("Les Croqueuses" (1974), "Sexy Nights" (1975)) stilistische Einbrüche mit sich brachte, dürfte kaum überraschen - leider waren diese Langfassungen lange Zeit die einzig zugänglichen Veröffentlichungen von "La Comtesse perverse".
"La Comtesse perverse" ist ein cleverer, stilsicherer kleiner Schmuddelfilm über den Sadismus, der die sexuelle Erziehung früherer de Sade Verfilmungen Francos in eine legitime, sadomasochistische Beziehung und eine verbrecherische, sadistische Beziehung aufteilt. Romay, Arno und vor allem Vernon geben ihre Rollen zudem mit einer Intensität, die sie unter Franco nur selten erreichten: vom schmierigen, lächerlichen Touch der Frauengefängnisfilme Francos bleiben ihre sadistischen Gewaltmenschen und unschuldigen Opfer vollkommen frei.
7/10
"Plaisir à trois" ist nahezu zeitgleich mit "La Comtesse perverse" entstanden und mutet ein wenig wie dessen stilistische Blaupause an: extreme Weitwinkel, aggressive Zooms und schillernde 70er Jahre Mode gehören auch hier zu den Stilmitteln des Films, wobei deren Einsatz im direkten Vergleich eher verhalten wirkt - zumal sich hier die Ergänzung durch die Musik und die Architektur als weniger fruchtbar erweist. Inhaltlich steht der Film über ein sadistisches Paar, das sich seine jungen Opfer erzieht, dem 1970er "Eugenie" wieder etwas näher als das Back-to-back-Produkt "La Comtesse perverse", wobei auch hier Anleihen beim 30er Jahre Horrorfilm zu finden sind: es sind nicht mehr die Köpfe der Opfer, die wie bei Graf Zaroff als Trophäen die Wände zieren, sondern es sind - wie einst in Michael Curtiszs "Mystery of the Wax Museum" (1933) - gleich die konservierten Körper der Opfer, die als Statuen den heimischen Folterkeller füllen. (Auch diese Berufung auf den klassischen Horrorfilm ist hier weniger gelungen als in "La Comtesse perverse": der Verweis wirkt etwas beliebig, Fetisch und Sadismus sind in Curtiszs kleinem Klassiker allenfalls Randerscheinungen, während sie in Schoedsacks RKO-Klassiker den Hauptbestandteil abgaben.)
Die Handlung dreht sich diesmal um eine Sadistin namens Martine (erneut: Alice Arno), die [Achtung: Spoiler!] nach einer langen psychiatrischen Behandlung entlassen wird und nun gemeinsam mit ihrem Mann nach jungen Frauen zum Verführen und Unterwerfen Ausschau hält. Zunächst vergnügen sie sich in ihrem Anwesen zu dritt mit Lina Romay, die mit Bravour das debile & stumme Dienstmädchen Adele gibt, das man bisweilen nach Herzenslust peitscht und demütigt; doch bald hat man Cecile, die Tochter der neuen Nachbarn ins Auge gefasst - schließlich beobachtet sie man schon seit Tagen beim Duschen und Masturbieren. Bald hat man die junge Dame mit der Erlaubnis des Vaters (schon das: eine Parallele zu "Eugenie"!) eingeladen: Martine steigt nackt zu ihr in die Wanne, man lässt sie durch Adele verführen und wohnt dem Liebespiel in voyeuristischer Erregung bei... und schließlich kann man sie zu einem frivol-erotischen Gesellschaftsspiel in kleiner Runde überreden, das nahtlos in eine Orgienszene mündet: Howard Vernon schafft als eingeweihter Chauffeur die schaufensterpuppenhaften Puppen herbei, man beginnt beim Nackttanz und endet beim Gruppensex. (Diese Szene variiert eine vergleichbare Verführungsszene aus dem deutlich früher entstandenen, aber später uraufgeführten "Eugènie".) Wie bereits in "Eugenie" wird auch hier der Exzess in ein knalliges Rot getaucht; und wie bei dem Geschwisterpaar in "Eugenie" kocht auch hier in der Sadistin der Neid hoch, wenn ihr Gefährte sich mit dem gemeinsamen Objekt der Begierde vergnügt. Sein Vergnügen und ihr Neid führen dann auch die Pointe des Ganzen herbei: wenn Martine die junge Cecile mit einem indischen Gift in eine (zunächst noch lebende) Statue zu verwandeln gedenkt, fällt ihr der Partner in den Rücken - Cecile sei schon seine Geliebte gewesen, als Martine sich noch in Behandlung befand. So ist es Martine selbst, die in ihrem Kabinett aus konservierten Frauenkörpern vollkommen gelähmt dem baldigen Tod ins Auge blicken muss, während ihr Partner, ihr Dienstmädchen und ihre jüngste Eroberung in trauter Dreisamkeit mit dem Chauffeur von dannen ziehen. Zurück bleibt nur ein geistesschwacher Gärtner, der die gelähmte Martine im Keller findet, aber nichts - oder zumindest nicht das richtige - mit ihr anzufangen weiß.
"Plaisir à trois" ist wie "La comtesse perverse" eine ausgesprochen freie Variation des „La Philosophie dans le boudoir"-Stoffes, stilistisch sehr ähnlich und ebenfalls mit Referenzen auf den klassischen Horrorfilm versehen. Inhaltlich sind die Verschiebungen deutlicher: wo "La Comtesse perverse" noch von de Sade ausgehend über die Verbindung von Sadismus mit konsensuellem und nonkonsensuellem Sex sinnierte, da gerät "Plaisir à trois" zum relativ deutlichen Remake von Francos "Eugenie". Was dort jedoch noch fehlte, darf nun vier Jahre später seinen Platz finden: Sympathieträger(innen), die wahrlich verdorben, pervers und darüber hinaus noch moralisch verkommen sind. War Eugenies Racheakt in "Eugenie" noch eine durchaus aus dem Affekt geborene Handlung, die hinterher auch noch für Entsetzen bei Eugenie selbst sorgte, da ist Ceciles Intrige eiskalt durchgeplant: hier wurde - wenn auch außerhalb dessen, was der Film einem zeigt - tatsächlich eine keusche Tochter zur grausamen Sadistin erzogen. Dieser Franco ist wie "La Comtesse perverse" inhaltlich sicherlich spannender, faszinierender und perverser als "Eugenie"; formal ist diese Abwendung vom schwelgerisch-süßlichen Tonfall seines "Eugenie" allerdings deutlich unausgereifter als jene in "La Comtesse perverse", dessen Reflexionsvermögen der Film ebenfalls weitestgehend einbüßt.
6,5/10
"Eugènie" mutet dem Titel zufolge wie ein Remake von "Eugenie" an, ist allerdings eine freie Verfilmung von de Sades Novelle "Eugènie de Franval" (1788/1800), die bereits im Jahr der Veröffentlichung von "Eugenie" entstanden, aber erst fünf Jahre später uraufgeführt worden ist. So wie auch de Sades Novelle als Variation von Bestandteilen seines "La Philosophie dans le boudoir, ou Les Instituteurs immoraux" auftritt (und im Grunde hat de Sade stets nur Variationen eines recht festen Kerns niedergeschrieben), erscheint auch Francos "Eugènie" als Variation seines "Eugenie".
Hier ist Paul Muller der egoistische, sadistische Radeck, der sich [Achtung: Spoiler!] seine Stieftochter Eugènie (Soledad Miranda) zur sexuellen Gespielin und Sadistin erzieht (wenn auch weniger konsequent, als es in de Sades Vorlage geschieht), um mit ihr Frauen zu verführen, zu quälen und zu ermorden - ultimative Macht, ultimative Freiheit. Am Ende kommt es wegen eines geplanten Lustmordes an einem Musiker zum Zerwürfnis zwischen Stiefvater und Stieftochter: er verwundet sie schwer und entleibt sich selbst. Jess Franco höchstselbst spielt den ermittelnden Schriftsteller Tanner, der den Machenschaften Radecks auf die Schliche kommt, zugleich aber auch dem Faszinosum dieses Souveräns erliegt und daher nicht in den Lauf der Dinge eingreift, sondern bloßer Beobachter bleibt - am Ende trifft er dann zu spät ein und wird zum Zuhörer der sterbenden Eugènie, um durch ihren Bericht eine psychologisierende Biographie Radecks schreiben zu können. (Damit beginnt und endet der Film, der Rest ist die visualisierte Erinnerung Eugènies...)
Wenn man Franco dann dabei zusieht, wie er als Zuschauer eine Szene aus "Eugènie" betrachtet, bei der es sich um eine Snuff-Produktion Radecks handelt, gewinnt der Film sogar eine selbstreflexive Note und bringt die Faszination eines Publikums am Bösen und am Sadismus ins Spiel. Man versteht dann auch Francos ausgiebiges Interesse für Voyeure & S/M-Bühnenshows viel besser: immer schon hat die Schaulust als Motiv in Francos Filmen einen metafilmischen Zugang eröffnet. Berücksichtigt man etwa Francos Rolle als Tanner in "Eugènie", dann rückt beispielsweise auch das Ende von "La Comtesse noire" (1973) in ein neues Licht.
Die naive Haltung aus dem nur kurz zuvor entstandenen „Eugenie" ist hier bereits einem reflektierenden Blick gewichen, der de Sades Sadismus konsequenter einfängt und vor allem die von ihm ausgeübte Faszination auf ein Publikum thematisiert: Von den 1970er-de-Sade-Variationen verhält sich "Eugènie" zu "Eugenie" quasi so, wie sich von den 1974er-de-Sade-Variationen "La Comtesse perverse" zu "Plaisir à trois" verhält - mehr Gehalt, mehr Reflexionsvermögen. Formal fällt dieser Franco allerdings ein wenig aus dem Rahmen: viele nahezu statische Einstellungen, gemächliche Zooms (bei denen immer wieder irgendwelche Gitter oder Zweige im Vordergrund das Bild interessanter machen sollen), Aufnahmen aus fahrenden Autos heraus & schlichte Schuss-/Gegenschuss-Strukturen dominieren den Film, der mit größtenteils gewöhnlichen Kulissen und einem einlullenden (wenngleich charmanten) Soundtrack in erster Linie überraschend trist wirkt. Dass gerade die psychologische Charakterzeichnung trotz einigen Bemühens doch arg eindimensional ausfällt, mindert den Gesamteindruck des Films zusätzlich. Übrig bleibt ein recht unaufgeregter Franco, durchsetzt mit eher ärgerlicheren Francozismen, der vor allem wegen Soledad Miranda und Paul Muller, sowie seines selbstreflexiven Ansatzes im Gedächtnis bleibt... und wegen einiger irrsinniger Wendungen: da verlassen etwa Stiefvater und Stieftochter ein Nachtlokal, kleiden sich recht chic, fliegen kurzerhand nach Brüssel um ein Model zu ermorden und sind noch vor Ende der Vorstellung wieder zurück im heimischen Nachtlokal.
5,5/10
Wenn die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Francos filmischen Variationen der de sadeschen Variationen einer Erziehung zum Laster überhaupt Rückschlüsse zulassen, dann vielleicht den: dass nämlich Francos Œuvre keine geradlinige Entwicklung durchläuft, sondern eher eine Entwicklung, die zwischen alten Versatzstücken und ganz neuen & weniger neuen Erneuerungen kreiselt, die immer wieder zu alten Motiven zurückkehrt und diese zusammen mit vorherigen Variationen beständig neu variiert. Francos knapp 200 Filme leben von Variationen der vorangegangenen Filme (und noch in den späten 90ern beginnt er plötzlich wieder damit, seine Klassiker aus den 70ern aufzugreifen und neu zu gestalten): er kehrt immer wieder zu bestimmten Themen zurück, seine filmischen Beiträge zu ihnen entwickeln sich fließend, nicht sprunghaft... beständig zitiert & plagiiert sich Franco selbst und verknüpft auf diese Art und Weise seine Filme zu einem intertextuellen Gefüge, in dem die einzelnen Filme beinahe zu einem Gesamtwerk verschmelzen. Dieses beständige Neu-schreiben Francos erhellt nicht nur nachträglich die Stärken & Defizite des Vorangegangenen, sondern weist sogar auf die unendlich große Vielzahl zukünftiger, potentieller Variationen hin - und zwischen den Filmen eröffnet sich infolgedessen ein Zwischenreich, in dem jedes mögliche Denken über die beständig variierten Themen seinen Platz finden kann. Deshalb kann Franco auch nie mit einer verbindlichen Antwort auf die unzähligen Fragen eines Themas mit diesem Thema abschließen: er muss immer wieder neue (wenn auch nicht unbedingt völlig konträre) Sichtweisen durchlaufen (etwa die Sicht der Tugend in "Eugenie", des Lasters in "Plaisir à trois", des auteurs in "Eugènie" und "La Comtesse perverse") und kann daher nie fertig werden.