Review

Enthalt’ ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
Dass schlecht die Welt durch eure Habsucht ist,
Die Guten sinken, und die Schlechten ragen.
(aus „Die göttliche Komödie“, 19. Gesang von Dante Alighieri)

Nur die Flucht in literarische Höhen lässt Commissario Tartamella (Nino Manfredi) eine Umwelt ertragen, mit der er täglich konfrontiert wird – die Schönen und Reichen von Rom. Ein Haufen korrupter und eitler Selbstdarsteller, die nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben. Moral, Respekt vor Anderen oder den Gesetzen des Landes? - Fehlanzeige. Als Polizist bleibt ihm nur wenig Handlungsspielraum. Mal darf er den verarmten Baron Maurizio Di Vittis (Vittorio Caprioli) verhaften, bis dieser den wertvollen Ohrring von Silvia Santi (Virna Lisi) auf der Wache wieder ausgeschieden hat – wegen seiner adligen Herkunft ist der notorische Kleptomane ein gern gesehener Gast auf den diversen Feierlichkeiten – , aber darüber hinaus kann er trotz klarer Beweislage Niemanden überführen. Weder bei einer vorgetäuschten Kindesentführung, noch bei Gatten-Mord. Die Beziehungen der Beschuldigten reichen bis in höchste politische Kreise.

„Arme brauchen einen Grund zu feiern, Reiche haben immer Party“

sind die ersten Worte des Commissario auf die Frage seines Adjutanten, aus welchem Anlass gerade zahlreiche Gäste mit ihren Luxus-Karossen vor einem römischen Palazzo vorfahren. Von oben betrachtet sieht Rom in der abendlichen Dunkelheit sehr friedlich aus. Die Silhouette des Kolosseum thront zwischen dem Lichtermeer, während ein von Luis Bacalov komponierter Song melancholisch erklingt. Alles „bene“ in Rom? – Zumindest für die fröhliche Gesellschaft im Hause Silvia Santi, deren Mann Giorgio (Philippe Leroy) gerade geschäftliche Kontakte mit China eingefädelt hat. Sexuelle Revolution und linke Ideologie lassen sich elegant mit Kapitalismus und Dekadenz kombinieren. Entsprechend ausgelassen wird gefeiert, während im intimen Rahmen politische und wirtschaftliche Entscheidungen getroffen und die nächste Sex-Affäre eingeleitet werden.

Ähnlich illustre wie die hier versammelte Gesellschaft war auch die Schauspielergarde, mit der die italienisch-französisch-deutsche Co-Produktion unter der Leitung von Carlo Lizzani aufwarten konnte, der seine zynische Komödie zudem ganz zeitgemäß mit viel Erotik würzte. Leider ohne den gewünschten Erfolg. Trotz bester Voraussetzungen geriet „Roma bene“ schnell in Vergessenheit, denn wirklich neu war nichts an Lizzanis Werk. An kritischen Kommentaren über die sogenannte „bessere“ Gesellschaft hatte es im italienischen Film zuvor ebenso wenig gefehlt, wie an einer ironischen Aufarbeitung der sexuellen Liberalisierung und der Protestbewegung. Besonders der ab Mitte der 60er Jahre in Italien intensiv gepflegte Episodenfilm war früher Mittelpunkt respektloser und gesellschaftskritischer Statements einer Vielzahl italienischer Filmkünstler. Auch Carlo Lizzani hatte als Regisseur an drei Episodenfilmen (zuletzt „Amore e rabbia“ (Liebe und Zorn, 1969)) mitgewirkt.

Der gesamte Cast liest sich wie ein „Who is who“ des Episodenfilms und der aufkommenden „Commedia sexy all’italiana“. Vittorio Caprioli führte früh Regie bei „I cuori infantri“ (1963) und wurde als Schauspieler quasi omnipräsent im erotischen Film („L’insegnante“ (Die Bumsköpfe, 1975)). Senta Berger hatte in „Quando le donne avevano la coda“ (Als die Frauen noch Schwänze hatten, 1970) ebenso unter Komödien-Spezialist Pasquale Festa Campanile gespielt wie Episodenfilm-Dauergast Nino Manfredi in „Adulterio all’italiana“ (Seitensprung auf Italienisch, 1966). Auch Virna Lisi („Le bambole“ (Die Puppen, 1965)), Michèle Mercier („I nostri mariti“ (Unsere Ehemänner, 1966)), Gastone Moschin („Le fate“ (Die Gespielinnen, 1966)) und Philippe Leroy („L’idea fissa“ (Wenn das die Männer wüssten, 1964)) gehörten zur regelmäßigen Besetzung im Episodenfilm. Und mit Ely Galleani („La dottoressa sotto il lenzuolo“ (Der Kleine mit der großen Schnauze, 1976)), Margaret Rose Keil („Il decamerone proibito“, 1972) und Malisa Longo („La bella Antonia, prima Monica e poi Dimonia“ (Wehe, wenn die Lust uns packt, 1972)) zeigten sich in „Roma bene“ schon attraktive kommende Darstellerinnen der „Commedia sexy“.

Den Eindruck einer Art Bestandsaufnahme der 60er Jahre betonte noch die Anlage des Films, der seinen episodenhaften Charakter nur wenig verbarg. Zwischen der Eingangs- und Endsequenz, in der die Darsteller-Riege jeweils zusammen kommt, werden die wenig schmeichelhaften Worte des Commissario zu Beginn mit einzelnen Stories untermauert. Zuerst setzte Carlo Lizzani die Prinzessin Dede Marecscalli (Senta Berger) ins Bild bei ihrem sexuellen Einsatz für ein großes Immobilienprojekt. Nach mehreren Bettgeschichten, die die Planung voranbringen, läuft ein Abendessen mit einem einflussreichen Politiker nicht wie vorgesehen. Statt Dede erweist sich ihr Mann Rubio (Umberto Orsini) als größere Attraktion, der in diesem Fall den Job übernimmt. Abgesehen von der unlauteren Einflussnahme die sympathischste Episode – ein Gradmesser, der zunehmend abnimmt.

Beginnt die Geschichte um das Ehepaar Wilma und Nino Rappi (Michèle Mercier und Franco Fabrizi) noch komisch, als sie ihn in einem Edel-Bordell erwischt und ihm die Hölle heißmacht, ohne dass er ahnt, dass sie eine lesbische Beziehung mit dessen bevorzugter Prostituierten (Annabella Incontrera) hat, gleiten die einzelnen Episoden zunehmend in bösartigere Gefilde. Bei dem Versuch des zuvor gescholtenen Ehemanns Rappi, in die China-Connection des Industriellen Giorgio Santi einzusteigen, stirbt er in der Sauna an Herzversagen. Den Marathon aus sportlicher Betätigung und Gruppensex, bei dem er an der Seite des durchtrainierten Santi mitmachen musste, überlebte der korpulente Mann nicht. Seiner Witwe ringt das keine Träne ab. Im Gegensatz zu Irene Papas als griechische Millionärs-Gattin Elena Teopoulos, die aus Anlass des Todes ihres reichen Ehemanns eine klassische Tragödie aufführt.

Womit sie Commissario Tartamella aber nicht täuschen kann, der den gemeinschaftlich mit ihrer Mutter ausgeführten Mord sofort durchschaut. Unternehmen kann er ebenso wenig, wie bei der durch die verwöhnten Santi-Kinder Vivi und Lando (Ely Galleani und Dado Crostarosa) mit Hilfe der Mutter inszenierten Selbst-Entführung, mit der sie ihren Vater um Kleingeld für ihre Spielsucht und Shopping-Gelüste erleichtern wollten. Der Commissario durchkreuzt ihren Plan, aber der reiche Papa verzichtet großzügig auf eine Bestrafung, auch um negative Schlagzeilen zu verhindern. Weniger kriminell, mehr entlarvend ist die Episode um einen Kardinal (Gaston Moschin), der ein Doppelleben führt. Schwerreich im Ölgeschäft tätig und ebenfalls an der China-Connection interessiert, führt er ein angenehmes Dasein zwischen Privatyacht und Vatikan. Fließend gelingt ihm der Übergang zwischen dem Absetzen der Geliebten per Ferrari und dem Einstieg als „Il monsignore“ in den Chauffeur gesteuerten Dienst-Mercedes.

Provokativ war das 1971 allemal, gehörte aber zum guten Ton im italienischen Episodenfilm. Noch im späten „I nuovi mostri“ (Viva Italia, 1977)) wurde die Verlogenheit der katholischen Kirche genüsslich zelebriert. Einzig mit der abschließenden, alle noch lebenden Protagonisten zusammenführenden Sequenz, betrat Carlo Lizzani Neuland. Er bestrafte sie. Versammelt, um sich nach erfolgreichen Wochen hemmungslos zu vergnügen, vergessen sie einen Moment, dass sie ohne Personal auf der Yacht des Monsignore im Mittelmeer kreisen, der als Einziger neben Giorgio Santi noch anderweitig beschäftigt ist. Als sie von der Sonne erhitzt alle gemeinsam von Bord springen, um ein kühles Bad zu nehmen, stellen sie zu spät fest, dass Niemand die Leiter herunter gelassen hatte. Im Gegensatz zu den vorherigen Episoden, die die Realität ironisch bis sarkastisch zuspitzten, wirkt die abschließende Szene wie reines Wunschdenken.

Tatsächlich symbolisierte sie die Verlorenheit des Einzelnen auch innerhalb dieser scheinbar glücklichen Gemeinschaft. Der Kardinal und der mit dem Privat-Jet herüberfliegende Santi hätten sie retten können, aber sie waren nur mit sich selbst beschäftigt, ohne Interesse an ihren Freunden und Verwandten. Minutenlang zeigt der Film die zunehmend Verzweifelten bei ihrem Versuch noch irgendwie auf das Schiff zu gelangen, während zwei leere Champagner-Gläser über das hölzerne Deck kullern. Am Ende treibt Jeder im Wasser für sich allein. Auf den Punkt gebracht, als Baron De Vittis die einzelnen Namen ruft und sie jeweils mit „anwesend“ antworten. Ins Tragische will diese Situation nach den zuvor gezeigten Ereignissen nicht abkippen, Schadenfreude bereitet sie aber auch nicht. Ein zwiespältiges, zum Nachdenken anregendes Ende, das Lizzanis Film auch nicht mehr retten konnte, dessen launig böse Abrechnung mit den „Schönen und Reichen“ für das damalige Publikum offensichtlich zu spät kam. Für 1971 mag das gegolten haben, aus heutiger Sicht hat „Roma bene“ dagegen wieder an Aktualität zugenommen. (8/10)

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