Bevor wir zu der Besprechung von „The Boys from Brazil“ kommen, möchte ich eine Anmerkung zu der Darstellerriege machen. Ist es nicht in super Erlebnis, all die viele Nebendarsteller hoher Qualität (die in ihrem normalen Umfeld oft viel zu selten zu voller Leistung auflaufen) zu sehen, die erkennbar einen Film tragen können? Ich gebe Euch hierzu einen Tipp: ladet alle Euch bekannten Film-Maniacs zum gemeinsamen Sehen von „The Boys from Brasil“ ein. Wer die meisten Nebendarsteller erkennt, kriegt eine Kiste Bier. Es ist Wahnsinn, welche (mit Verlaub) Leichen aus irgendwelchen Serien und Filmreihen sich hier ein Stell-Dich-Ein geben und phantastisch sind. Wir alle kenne Guttenberg doch nun wirklich nur von „Police Academy“. Hey, der Mann kann auch einen Nazi-Jäger spielen. Und was ist mit der „Großmutter“ von ALF. Viola, auch sie ist eine Vollblutmimin. Nicht zu verschweigen Harry Fox jr. Und dann noch die Größen aus dem Britischen B-Movies. Und so ziemlich jeder Darsteller mit einem Schurken-Charakterkopf. Faszinierend. Aber man kann auch noch was lernen! Wir treffen Bruno Ganz wieder, Jahre vor „Der Untergang“. Und Frau Hagen. Und wir wissen endlich, dass Sky Dumont doch ein Schauspieler ist (okay, in der mäßigen Rolle eines Neo-Nazis und noch unter dem Namen Guy Dumont). Alleine aus dieser Sicht lohnt sich der Film schon komplett – ob man ihn nun mag oder nicht!
Und ich mag diesen Film. Er hat all das, was man von einem retro-politischen Thriller erwarten kann. Zuerst einmal einen sehr guten Plot. Nicht nur weil er spannend ist, sondern weil die Geschichte von „The Boys from Brazil“ durchdacht ist. Das kriegt man heute nicht mehr an jeder Straßenecke. Man stelle sich einmal vor, Mengele lebt (zum Zeitpunkt des Films) in Süd-Amerika. Das ist nicht besonderes – und der Film nimmt diese Tatsache ebenfalls als Banalität auf. Nun ist Mengele clever und klont Hitler, um all die kleinen Adolfs unter möglichst identischen Rahmenbedingungen überall in der Welt als Adoptivkinder groß werden zu lassen. In seinem angedichteten Genie will Mengele perfekt sein und dafür sorgen, dass die familiären Bedingungen für seine Brut auch passen. Dazu reichen nicht nur eine alter, verbeamteter Vater voller Strenge und Gottesfurcht und die deutlich jüngere Mutter. Nein, Mengele will auch noch den frühen Tod des Vaters umsetzen und gibt den Mordauftrag für alle Gastväter aus, der auch auf Seiten der Nazijäger publik wird und auf Umwegen den teuflischen Plan erkennen lässt. Nachdem der Hauptjäger Erza Liebermann erkannt hat, was Mengele vorhat, kommt es zum Showdown, bei dem Mengele von Hunden zerfleischt und Liebermann schwer verwundet wird. Er lässt trotzdem nicht zu, dass die anderen Nazijäger die Brut ermorden wollen. So leben unter uns fast hundert kleine Adolfs, alle schwarzhaarig, blauäugig und schwer von sich überzeugt.
Eine Stärke der Geschichte ist auch die veränderte Situation innerhalb der Nazi-Welt. Es sind nach Ende des Genozids Jahre ins Land gegangen und sowohl die Opfer als auch die Täter nehmen das Erlebte nur noch schemenhaft wahr. Das wird in der Gefängnisszene eindrucksvoll vermittelt. Auch die alten Unwerte wie strikte Befehlserfüllung sind den Altnazis nicht mehr ganz geheuer, obwohl sie mit Inbrunst immer noch groteske Nazifeiern abhalten. Es wurde scheinbar aus dem blanken Totalitarismus bunte Folklore, deren Wesen niemand mehr zu hinterfragen wagt. So ist der Bruch zwischen Mengele und seinen Geldgebern eine logische Konsequenz. Die Altnazis wollen ihren beschaulichen Lebensabend und keinen neuen Führer.
Der Plot ist aber bei „The Boys from Brazil“ nur die halbe Miete. Der Genuss wird komplett, wenn die Hauptdarsteller zeigen, was sie in ihrer sehr langen Schauspielerlaufbahn gelernt haben. Von den drei Stars des Films wirkt James Mason noch am langweiligsten. Die Rolle gibt auch nicht besonders viel her. Im krassen Gegensatz zu Gregory Peck, der das fragwürdige Vergnügen hat, Joseph Mengele zu verkörpern. Das tut Peck mit einer beängstigenden Intensität. Ich hätte das dem netten Mann aus „Wer die Nachtigal stört“ und „Ein Herz und eine Krone“ nie zugetraut. Es wirkt fast so, als wollte Peck einmal im Leben einen richtigen Kotzbrocken spielen. Und übler als Mengele geht nun schwerlich.
Sicher gehört zu so einer Rolle nicht nur Talent, sondern auch Mut. Den hat ein Mann wie Peck natürlich, da er seinem stabilen Image nicht mehr schaden konnte. Noch mehr Mut und Talent zeigt Laurence Olivier, der den Nazijäger Liebermann verkörpert. Den Helden spielen ist ja okay, aber einen schon leicht senilen, bornierten und tatterigen Opi mit gebrochenen Englischkenntnissen in Perfektion mit Leben zu erfüllen ist eine Glanzleistung, die Olivier vielleicht mehr fordert als Shakespeare…
In der Regie ist „The Boys from Brazil“ nur Standard. Nicht schlecht, nicht berauschend. Die Musik passt auch, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Aber ich vermutet, dass neben der Leistung aller Schauspieler und dem guten Plot ohnehin nicht geklappt hätte, einen weiteren positiven Eindruck zu etablieren.
Für mich ist „The Boys from Brazil“ ein großartiger Film, der jedem ans Herz gelegt sei, der Verschwörungstheorien liebt, sich für die Entnazifizierung interessiert und schlicht einfach nur gerne einen intelligenten Polit-Thriller sehen möchte. Und wer immer sich an brillanten Schauspielern erfreuen kann, darf diesen Film nicht verpassen. Für mich eine klare 10.