Ende der 80er machte dieser Film gewordene Industrial-Albtraum aus Japan international Furore und seinen Regisseur Shinya Tsukamoto auf Festivals bekannt: „Tetsuo“ ist eine wilde Tour de Force durch unterbewusste Urängste des Menschen. Der kaum 70-minütige Streifen begleitet einen jungen Mann, der sich eines Tages urplötzlich in ein metallisches Monster verwandelt, das alles, was es berührt, ebenfalls in wilde Metallwucherungen entarten lässt. Ohne zu wissen, wie es dazu kommt und was er dagegen tun kann, taucht dann auch noch ein gnadenloser Gegenspieler auf, der ihn um jeden Preis vernichten will.
„Tetsuo“ ist eines jener Filmbeispiele, die vor allem inhaltlich schwer zu beschreiben sind. Das liegt zum einen daran, dass die Story bestenfalls rudimentär entwickelt scheint: Gleich mit der ersten Szene beginnt die monströse Verwandlung (die hier allerdings als bewusster Akt der Selbstverstümmelung bzw. -erweiterung gezeigt wird, was das Ganze noch etwas mysteriöser macht), findet keinerlei Erklärung, sondern zeitigt nur immer weitere Extremsituationen, die selbst wiederum nicht immer einen selbsterklärenden Zusammenhang zueinander aufweisen. So scheint der Film erst ein wenig in typische Horror-Elemente zu kippen, wenn der Mann daheim seine monströse Verwandlung vor der Freundin zu verheimlichen sucht, die ihm schließlich helfen will, dann aber Angst bekommt und ein erstes Opfer seiner ansteckenden Krankheit (?) wird. Das Auftauchen des Antagonisten erfolgt dann auch recht willkürlich und ihre endlosen Kämpfe lassen zugegebenermaßen selbst diesen kurzen Film im letzten Drittel ein wenig durchhängen, bevor er in eine so böse wie unvorhergesehene Schlusspointe ausbricht. Alles in allem also inhaltlich ziemlich wirr und schwer nachvollziehbar.
Und trotzdem erweist sich „Tetsuo“ als radikales, durchaus sehenswertes Genre-Experiment, das aufgeschlossenen Zuschauenden einen Mehrwert bringen kann. Vor allem optisch besticht er dabei durch seine pure Einzigartigkeit: In tristem Schwarz-Weiß gehalten, durch eine irrwitzig rasante Kamera und phänomenale Schnittgewitter dominiert, bleibt er rein formal durchgehend temporeich. Die Kamera bleibt meist dicht an den Protagonisten, geht oft sogar auf Detailaufnahmen kleiner Wunden oder Körperstellen, aus denen Metall wuchert; der Schnittrhythmus bleibt durchgehend hoch, explodiert mitunter gar in wilde Stakkato-Momente. Dazu kommt ein Score, der ob seiner Industrial-Herkunft kaum von den maschinellen Geräuschen der Handlungen zu unterscheiden ist, und beeindruckend inszenierte Spezialeffekte. Unglaublich rasante Stop-Motion-Effekte, die wild wucherndes Metall wie Krebs die Umgebung verschlingen lassen, Zeitraffer, Bildspiralen, originelle Kameraschwenks und -perspektiven – hier gibt es keine Sekunde Atempause, sondern wird durchgehend Tempo und aberwitzige Ästhetik zelebriert, alles im Geiste finsterster Industrial- und Steampunk-Fantasien.
Das alles wird mit aussagekräftiger Metaphorik unterfüttert. Kann man auch der Oberflächenstory nur teilweise folgen, wird in Bildsprache und -symbolik relativ klar, was „Tetsuo“ will: die Ängste des modernen Menschen vor der Überformung der Welt durch moderne Technik artikulieren. Das alles verschlingende Metall, der Mensch, der bald keiner mehr ist, in seiner Verwandlung aber nicht „RoboCop“-ähnlich vorteilhafte Fähigkeiten entwickelt, sondern ganz im typischen Body-Horror-Stil vor dieser unaufhaltsamen Verwandlung zurückschreckt, sind Allegorien auf die Schattenseiten der modernen Welt, die vom natürlichen Charakter des menschlichen Seins immer weniger übrig lässt. Dass der Protagonist eine ganze Zeit lang mit einem Fernseher zu kämpfen hat, der unentwegt weitersendet, ist da noch das offensichtlichste Symbol. In den grotesken Körperverformungsorgien kann man vielleicht auch – ähnlich radikal wie bei einigen Teilen der „Guinea Pig“-Reihe – das japanische Trauma entstellter und verseuchter Körperlichkeit wiederfinden.
Wie auch bei Filmen wie etwa „Haze“ scheut Tsukamoto dabei auch nicht vor harten Splatterszenen zurück (vor allem die Einleitung, in der sich ein Mann umgeben von Müll den Oberschenkel aufschneidet und ein Metallrohr in die klaffende Wunde schiebt, bleibt im Gedächtnis), lässt diese aber nie zum bloßen Selbstzweck verkommen, sondern stellt sie stets in den Dienst seiner nicht leicht zu durchschauenden, symbolträchtigen und visuell überwältigenden Horror-Vision. Fernab herkömmlicher dramaturgischer Erzählweisen, optisch und akustisch überwältigend (und beängstigend) und von allegorischer Tiefe beseelt, ist „Tetsuo“ ein mitunter anstrengender, aber durchaus lohnenswerter Ausflug in filmische Industrial-, Body-Horror- und Underground-Arthouse-Welten der ausgehenden 80er, irgendwo zwischen David Lynch und - nun ja, etwas tatsächlich vollkommen Neuem.