Review

Es ist schwierig, diesen einzigartigen Film in Worte zu fassen. Aber allein die Tatsache, dass sich hier noch keiner dieser Perle des Kinos angenommen hat, rechtfertigt die Mühe.


Es liegt mittlerweile eine geraume Zeit zurück, dass ich Béla Tarrs WERCKMEISTER HAMÓNIAK einem kleinen gemütlichen Kino sehen durfte und doch dauert die Wirkung, die der Film auf der großen Leinwand entfaltete, bei mir bis heute an - vor allem aufgrund der einzigartigen Musik des Films, die ich hier in der OFDB aufspüren konnte und die mich seither immer wieder aufs Neue zu verzaubern vermochte. Doch zunächst zum Inhalt des Films.

WERCKMEISTER HARMÓNIAK führt den anspruchsvollen Zuschauer mit traumartigen, geradezu apokalyptisch anmutenden Bildern in ein kleines ungarisches Dorf, das sich bereits in der famosen Eröffnungssequenz durch eine seltsame, extrem bedrückende Lethargie auszeichnet. Die Einwohner treffen sich in einer Art Dorfkneipe und praktizieren mit skurrilen Mienen einen rituell anmutenden Tanz, bis schließlich die Hauptfigur, János Valuska (Lars Rudolph) den Raum verlässt und sich begleitet von der mitreißenden Musik Vig Mihálys auf einer apokalyptisch ausgeleuchteten 'Straße der Finsternis' auf den Heimweg begibt. 'Apokalyptisch' muss hier als Schlüsselbegriff gesehen werden: Tarr und Kameramann Gábor Medvigy entfalten in WERCKMEISTER HARMÓNIAK düstere, expressiv beleuchtete schwarz-weiß Bilder absoluter Melancholie, welche vermuten lassen, dass Dorf befände sich direkt am Schlund zur Hölle und würde jeden Moment im Feuer des Jüngsten Gerichts niederbrennen. Umso erstaunlicher sind immer wieder völlig unvermittelt auftretende, zutiefst anrührende Momente bisher ungesehener Schönheit, anrührende Momente, wie ich sie in kaum einem anderen Film sonst erlebt habe - Spielberg für erwachsene Pessimisten.
Doch weiter im Text:
Die skurrile Ausgangssituation nimmt nach und nach ihren Lauf: Die ohnehin gespenstische 'Idylle' des Dorfes wird durchbrochen als ein düsterer Wanderzirkus Halt macht und mit besonderen Attraktionen zu werben beginnt. Ein gewaltiger, ausgestopfter Wal wird in einem nicht sonderlich einladenden, riesigen Container ausgestellt und kann von den Dorfinsassen im Zentrum der Ortschaft besichtigt werden. Zudem wird die Ankunft eines ominösen Prinzen angekündigt, der das Dorf besuchen soll. Mit dem Einzug der mysteriösen Attraktion beginnt eine zunehmende Unruhe unter der Bevölkerung auszubrechen, welche sich immer weiter steigert und sich schließlich entladen muss...

Ich denke nicht, dass es Sinn macht, mehr vom Geschehen preiszugeben, da die Ereignisse einerseits sehr surreal anmuten bzw. kaum verständlich erscheinen würden und andererseits die einfache Beschreibung ohnehin nicht die spezifische Atmosphäre spürbar machen kann, welche sich beim Genuss des Films im Kopf des Zuschauers einschleicht. Ich für meine Teil wurde an manchen Stellen des Films regelrecht weggeblasen von der Intensität der Bilder und wirklich zu Tränen gerührt, obwohl die Gestaltung des Films dem Reich tiefster Depression zu entstammen scheint. Hinzu kommt, dass der Film bei einer Dauer von ~145 min nur rund 40 Schnitte aufweist und wie sein großer bzw. langer(!) Bruder SÁTÁNTANGÓ so gar nicht in gängige dramaturgische Muster passen will, was einer emotionalisierenden Wirkung allem Anschein nach eher entgegen zu stehen scheint. Nun ja, ich hatte es vermutet: Jede Erklärung ist unzureichend. Ich kann Fans von nur innigst empfehlen, sich selbst auf die Reise in Béla Tarrs Traumwelt zu begeben.


Neben der expressiven, surrealistisch geprägten Gestaltung des Films sollte abschließend noch darauf hingewiesen werden, dass Tarr eine große Versiertheit im Umgang mit sozialen Thematiken zu besitzen scheint, was sich bei der Betrachtung seines neorealistisch geprägten Frühwerks (Bsp. SZABADGYALONG (1981) und PANELKAPCSOLAT (1982)) zusätzlich bestätigt. WERCKMEISTER HARMÓNIAK muss unbedingt im Kontext der europäischen bzw. ungarischen Geschichte gesehen werden, damit er vollständig verstanden werden kann und ist keinesfalls als rein surreales Kuriosum zu begreifen (vgl. hierzu die Romanvorlage: The Melancholy of Resistance (1989) von László Krasznahorkais dessen Schaffen auch für Tarrs imposanten Film SÁTÁNTANGÓ (1994) die Vorlage lieferte und der bis heute eifrig mit Tarr zusammenarbeitet.).


FAZIT:
Ohne seine zweifellos vorhandenen, soziopolitischen Subtexte ausreichend zu verstehen, habe ich WERCKMEISTER HARMÓNIAK in jedem Fall als poetisches, verstörendes, surreales, melancholisches und zutiefst rührendes Meisterwerk in mein Herz geschlossen, das ich bis heute mit absolut keinem Film direkt vergleichen kann und niemals wieder vergessen werde.


10/10 Punkten!

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