„Das Leben hat so viele Formen, die nicht unbekannt bleiben dürfen!“
Der von Alfred Weidenmann („Die Buddenbrooks“) inszenierte und von Reginald Puhl produzierte Film „Unter den Dächern von St. Pauli“ aus dem Jahre 1969 ist ein naives Milieu-Kriminaldrama, das in Hamburgs berüchtigtem Vergnügungsviertel St. Pauli über einen Zeitraum von ungefähr 24 Stunden angesiedelt wurde und daher über einen nicht unwesentlichen Erotik- bzw. Sleazeanteil verfügt.
„Lübeck muss vernichtet werden!“
24 Stunden auf St. Pauli entscheiden über so manches Schicksal: Rotlicht-Mafioso Hausach (Werner Peters, „Das Mädchen Rosemarie“) kommt vor Gericht ungeschoren davon, nachdem er Harrys Frau Maria ermordet hat. Harry (Ralf Schermuly, „Der Gorilla von Soho“) sinnt auf Rache, doch sein Bruder Willi (Manfred Seipold, „Bitte lasst die Blumen leben“), Polizist der Davidwache, hat ein besorgtes Auge auf ihn. Geschäftsmann Pasucha (Jean-Claude Pascal, „Liebe lässt alle Blumen blühen“) hat die Trennung von seiner Frau nie überwunden und tötet die Stripperin schließlich. Studentin Inge (Inger Zielke, „Frisch, fromm, fröhlich, frei“) wollte bei ihr eine Tätigkeit als Putzfrau annehmen und findet ihre Leiche, woraufhin Pasucha sie als Geisel nimmt. Der ältere Beamte Mills (Alfred Schieske, „Pippi in Taka-Tuka-Land“) aus Flensburg sucht seine noch minderjährige Tochter Agnes (Alena Penz, „Der Ostfriesen-Report: O mei, haben die Ostfriesen Riesen“), die als Stripperin in einem Nachtclub arbeitet. Als er sie findet, versucht man ihn davon zu überzeugen, dass es sich um einen ehrenwerten Job mit guten Verdienstmöglichkeiten handele. Und eine Gruppe Abiturienten aus Lübeck, die mit ihrem Lehrer (Joseph Offenbach, „Mit 17 weint man nicht“) auf Ausfahrt ist, erpresst denselben, nachdem sie ihn mit einer Hure verkuppelt hat…
Zwischen all diesen Handlungssträngen, Schauplätzen und Charakteren bewegt sich der Film, bis sie sich teilweise überschneiden bzw. aufeinandertreffen. Das verleiht „Unter den Dächern von St. Pauli“ eine episodenhafte Leichtfüßigkeit, die sich dem von viel Zeit- und Lokalkolorit geprägten Blick auf Sex und Kriminalität auf Hamburgs „sündiger Meile“ anpasst. Die Handlung wird durch Striptease-Einlagen und weitere Gelegenheiten, nackte Haut zu zeigen sowie durch Schlägereien, aber auch komödiantische Einlagen aufgelockert, was nicht immer allzu gut und schon gar nicht geschmackssicher zueinander passen will. Ein ungesühnter Mord trifft auf Dumme-Jungen-Streiche, Erotik auf zerstörte Existenzen. Andererseits spiegelt dies bis heute ein Stück weit die Realität auf St. Pauli wider, wenn auch in anderer Form als hier gezeigt.
Ein fragwürdiges Bild wird beispielsweise vermittelt, wenn ein Zuhälter seine als Prostituierte arbeitende Lebensgefährtin erst beschimpft und schlägt, sie daraufhin mit ihm knutscht und Peter Thomas‘ fröhliche Musik dazu erklingt. Befremdlich mutet es auch an, wenn die 17-jährige Agnes sich vor ihrem Vater (der aussieht wie ihr Opa) entblättert. Nicht sonderlich viel mit der Realität dürfte auch gemein haben, dass sich die Geisel Inge mir nichts, dir nichts mit Mörder Pasucha anfreundet. Am gelungensten ist der Konflikt zwischen Harry und Hausach ausgefallen, da man Harry die Verbitterung abnimmt und beide in spannenden Szenen aufeinandertreffen, bis es schließlich eskaliert – was zugleich eine Anklage einer in Fällen wie diesen unfähigen Justiz bedeutet. Die Etablierung Pasuchas als tragische Rolle hingegen gelingt nicht 100%ig, weshalb die Dramatik im Finale des Films nicht ihre volle Wirkung entfalten kann. An den Running Gag um einen kauzigen Trunkenbold (Walter Bluhm, „Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse“) gewöhnt man sich vergleichsweise schnell, zumal mit ihr eine gewisse Sympathiebekundung für diejenigen, die zwar auf dem Kiez, aber dennoch ganz unten sind, einhergeht.
Letztlich ist „Unter den Dächern von St. Pauli“ ein gerade für Freunde des St.-Pauli-Films unterhaltsamer, jedoch nicht sonderlich ernstzunehmender Film, der allzu offensichtlich seiner naiven Begeisterung für das Rotlichtmilieu freien Lauf lässt, u.a. indem er die noch relativ neuen Möglichkeiten der spekulativen Erotikszenen auf der Leinwand ausnutzt. Für Kenner des Milieufilms zweifelsohne ein besonderer nostalgischer Spaß.