Im Jahre 1970 drehte José Mojica Marins seinen kontroversesten Film. "Awakening of the Beast" wurde in Brasilien für 20 Jahre verboten, und wurde erst in den letzten Jahren wirklich im Kino gezeigt. Jedoch erwartet den Zuschauer kein überzogenes Schlachtfest, das mit Gore und Sex ausgestattet ist, sondern eher ein persönlicher Experimentalfilm, der sowohl die Exploitation-Wurzeln Marins' abdeckt, wie auch einen cleveren Kommentar zur Gesellschaft in Brasilien abgibt.
Der Film beginnt episodenhaft: Wir sind Zeuge einer Live-TV-Show, in der Dr. Sergio sein neuestes Buch verteidigt, in dem es um Drogen und deren Wirkung auf die Menschheit geht. Viele Psychiater und Doktoren sitzen mit ihm am Tisch im dunklen Rund, und reden darüber ob es die Drogen sind, die jene Perversitäten, die von Sergios Testpersonen zu Tage gefördert werden, verursachen, oder ob sie bereits im Menschen verwurzelt sind, und die halluzigenen Wirkstoffe erst ein Ventil für das Ursprüngliche, das Böse im Menschen bereitstellt. Wir sehen Ausschnitte von bearbeiteten Fällen Dr. Sergios. Eine Orgie einer Studentengruppe, die eine einzelne junge Frau unter Drogen setzen und sie zu sexuellen Handlungen ermutigen; eine wohlständige, drogenabhängige Dame, die ihren Butler ermutigt, mit ihrer Tochter zu schlafen, und dabei zusieht; und ein fetter Geschäftsmann, der bei einem Vorstellungsgespräch eine gutaussehende Jungfrau vor sicht hat, und, um sie ins Bett zu bekommen, vorgibt, Filmproduzenten kennen zu würden, und sie ganz groß ’rausbringen würde.
Der Höhepunkt des Films ist ein LSD-Experiment, in dem Dr. Sergio vier Personen aus den vorangegangenen Episoden zusammen teilhaben lässt. Da die Filme des ebenfalls im Fernsehstudio anwesenden José Marins die intensivste Wirkung auf die vier Testpersonen haben, wird das Filmerlebnis mit dem Drogentest gekoppelt. Danach nutzt Marins den fabelhaften Trick aus "This Night I'll possess your Corpse": Er schwenkt von einer realistischen Schwarzweiß-Handlung zu einer völlig überhöhten, surrealen Farbsequenz, in der weder Inhalt, noch Erzählweise den gängigen Filmkonventionen unterliegen. Für die Visualisierung des LSD-Trips kombiniert Marins psychedelische Farben mit völlig halluzinatorischen Bildern zwischen Gewalt und Sex. Nach diesem Spektakel spielt Dr. Sergio sein letztes As aus: Das injizierte LSD war nur destilliertes Wasser, die ängstliche, perversive Reaktion auf den Film liegt in einer Grundstrebung des Menschen, und kann höchstens durch Drogen intensiviert werden - so zumindest die Theorie des Films.
"Awakening of the Beast" ist mit Sicherheit ein überraschend zurückhaltendes, subtiles Werk, das nicht mit offenen Plattheiten provoziert, sondern es dem Zuschauer überlässt die heiklen, perversen Gedankengänge zu Ende zu führen. Bis auf die Brüste nackter Frauen haben wir es kaum mit offenkundigem Sexploitation-Material zu tun - Der Rest wird nicht mehr als angedeutet. Marins zeigt uns viel lieber wie verkommen und paradox unsere Gesellschaft, unsere Kirche und unser Leben geworden sind. Und dabei dokumentiert er auch ein wenig sein eigenes Leben: In "Awakening of the Beast" sind wir Zeuge, wie sehr sein alter Ego Zé do Caixão doch Einzug in die Kulturkreise Brasiliens gefunden hat. Seine Filme, sein Merchandising, seine TV-Show, ja, sogar sein selbst gesungener Popsong wird erwähnt.
"Awakening of the Beast" ist kein Film über Zé do Caixão, beziehungsweise Coffin Joe - Es ist ein Film über José Mojica Marins. Marins spielt hier sich selbst, und nicht seine selbst erschaffene Comicfigur. Und in der Weise, wie Marins hier eine gefakete Dokumentation über den Werteverfall und die sexuelle Revolution, über das Hippietum und über die christliche Kirche, mit einem surrealen Filmerlebnis kombiniert, ist Marins einzigartig. Ein kleiner, irrer Klassiker, der sicherlich schwer zu konsumieren ist, besonders aufgrund seiner kulturellen Andersartigkeit, aber dennoch voll von inhaltlicher und visueller Faszination strotzt!